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Kommentar Enttarnung in Roter FloraSchlag ins Gesicht

Katharina Schipkowski
Kommentar von Katharina Schipkowski

Eine weitere Ermittlerin in der Roten Flora wurde enttarnt. Das dokumentiert die Hinterhältigkeit und Fehlerhaftigkeit des Systems.

Begehrt bei der Polizei: Blick ins Innenleben der Roten Flora Foto: dpa

M it der Polizeibeamtin Astrid O. ist nun die dritte verdeckte Ermittlerin innerhalb von anderthalb Jahren in der linken Szene Hamburgs aufgeflogen. Schon die früheren Enttarnungen zeigten die Fehlerhaftigkeit des Systems, das den Bruch mit seinen eigenen Regeln einplant. Verdeckte Polizeieinsätze können nicht im Rahmen des Gesetzes stattfinden – so sind sie nicht angelegt, so funktionieren sie auch nicht.

Iris P. hatte in ihrer Einsatzzeit Liebesbeziehungen mit Menschen aus ihrem Ermittlungsumfeld und infiltrierte einen Radiosender – ein Angriff auf Persönlichkeitsrechte und Pressefreiheit. Maria B. hatte sexuelle Beziehungen mit Menschen aus der Szene und beging vermutlich Straftaten unter ihrer Tarnidentität.

Über Astrid O. sind nun viele Details noch nicht bekannt. Aber vor dem Hintergrund der früheren Enttarnungen schließt die 7-jährige Dauer ihres Einsatzes nahezu aus, dass sie währenddessen keine Grenzverletzungen begangen hat. Schon jetzt ist klar: Ein Schlag ins Gesicht ist die Enttarnung für diejenigen, die mit der vermeintlichen Aktivistin „Astrid Schütt“ befreundet waren, Debatten geführt und Aktionen geplant haben. Auch war Astrid O. Namensgeberin für die Jugend-Antifa-Gruppe „Nella Faccia“, die sie mit aufgebaut hat. Vom Italienischen ins Deutsche übersetzt heißt das „ins Gesicht“.

Das LKA hat sich den Zugang zur linken Szene erschlichen, indem sich O. an Jugendliche hängte. Jugendliche sind unerfahren und schöpfen nicht so schnell Verdacht, sie sind politisch nicht so gefestigt, sondern leichter zu beeindrucken und zu manipulieren. Es ist höchst verwerflich, sie zu benutzen, weil es noch skrupelloser ist, als jahrelang Erwachsene zu betrügen oder sich ihnen auf der Straße entgegenzustellen.

Ein Schlag ins Gesicht ist es aber auch für die Gesellschaft, wenn zum wiederholten Mal bekannt wird, dass der Staat Politgruppen ausspioniert hat, in denen sich junge Menschen ehrenamtlich gegen Nazis, Armut, den Klimawandel oder globale Ungerechtigkeit engagieren. Was sagt uns das über das System, in dem wir leben, wenn linker Politik und gesellschaftlichem Engagement mit derartiger Repression begegnet wird?

Es ist ein Armutszeugnis für den Staat. Er wendet hinterhältige Methoden an, um soziale Bewegungen zu überwachen und im Zaum zu halten. Die Polizei kämpft dagegen, dass Leute in ihrer Freizeit versuchen zu verhindern, dass Nazis Flüchtlingsheime anzünden. Klar, das tut die Polizei immer, wenn sie Nazidemos beschützt oder linke Demos blockiert. Im Fall von Astrid O. war es nur hinterhältiger.

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Katharina Schipkowski
Redakteurin | taz Nord
Jahrgang 1986, hat Kulturwissenschaften in Lüneburg und Buenos Aires studiert und wohnt auf St. Pauli. Schreibt meistens über Innenpolitik, soziale Bewegungen und Klimaproteste, Geflüchtete und Asylpolitik, Gender und Gentrification.
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13 Kommentare

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  • Danke für die klaren Worte, dem ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen.

  • "Ein Schlag ins Gesicht ist es aber auch für die Gesellschaft, wenn zum wiederholten Mal bekannt wird, dass der Staat Politgruppen ausspioniert hat, in denen sich junge Menschen ehrenamtlich gegen Nazis, Armut, den Klimawandel oder globale Ungerechtigkeit engagieren. Was sagt uns das über das System, in dem wir leben, wenn linker Politik und gesellschaftlichem Engagement mit derartiger Repression begegnet wird?"

    ...Aber nur die DDR war ein Unrechtsstaat!

  • 8G
    8545 (Profil gelöscht)

    Bei Nazis haben die VertrauensLeute...

  • Das werden noch mehr solcher Fälle ans Licht kommen. Und was haben sie überhaupt rausbekommen? Vermutlich nicht viel, weil die Arbeitshypothese einer extrem gewaltbereiten, terroristisch und durchgeknallten 'linken' Szene einfach nicht haltbar ist.

     

    Aber die menschlichen Enttäuschungen,die solche Menschen schaffen, sind für die Betroffenen sehr schlimm. Und oft wohl angeordnet. Dass solche Agenten ohne Zutun der Polizeiführung und ohne Steuerung agieren, kann man ausschließen - eher im Gegenteil. Der Weg hier über Jugendliche legt nahe, dass das sehr genau ausgearbeitet wurde - so wie früher auch bei der Stasi. Der Staat hängt sich an seine vermeidlichen Feinde und geht hier bewusst über Grenzen. Und das mit viel Geld und Aufwand. Von großen Prozessen bzw. Anklagen kann aber nicht die Rede sein - diese Einsätze sind pure Infiltration und nach m.E. nicht vom Recht abgedeckt.

  • "Direkt gegen Null"? Kommt ganz drauf an, was man unter "Ausbeute" versteht.

     

    Wenn alle paar Monate ein neuer Spitzel enttarnt wird, dann untergräbt das auf die Dauer jedes Vertrauen der Szene-Mitglieder zu einander. Irgendwann wird eine Mehrheit der Leute glauben, dass jeder und jede ein Polizist oder eine Polizistin sein könnte. Dann implodiert die Gemeinschaft.

     

    Das MfS der DDR hat diese Strategie "Zersetzung" genannt. Sieht aus, als hätte die Hamburger Staatsmacht von

    Mielkes Leuten das Siegen gelernt. Und weit und breit kein Tagebau...!

    • @mowgli:

      Sorry, dass ich hier immer noch demokratische, rechtsstaatliche Maßstäbe ansetze. Ich meinte nur, dass kein einziges "Ermittlungsergebnis" von nennenswerter Bedeutung durch diese Spitzel erlangt worden ist. Das wird beim MfS allerdings auch nicht wesentlich anders gewesen sein. "Zersetzt" haben sich bislang nachweislich immer nur die Polizeispitzel-Konstrukte selbst.

      • 8G
        8545 (Profil gelöscht)
        @Rainer B.:

        wäre hübsch wenn die polizei "...demokratische, rechtsstaatliche Maßstäbe ansetzen..." würde

        • @8545 (Profil gelöscht):

          Überwiegend tut sie das ja auch. Hier aber eindeutig nicht.

  • Nur ein kranker Staat kann so unverhältinsmäßig agieren. Bei einem Erdogan findet man sowas normal und lacht hier aus der Distanz darüber, aber dieselben ekelhaften Methoden sind - zumindest in Hamburg - seit Jahren gang und gäbe. Polizei in einer Demokratie darf grundsätzlich so nicht arbeiten. Die dritte verdeckte Ermittlerin ohne gesetzliche Grundlage und wahrscheinlich werden es sogar noch mehr. Die Ausbeute dieser Aktionen ging jedesmal direkt gegen Null. Mehr Inkompetenz muss man auch in Hamburg lange suchen.

  • WIe wäre es mit Recherchen in Kaninchenzüchter-Vereinen? Ich habe zwar keinerlei Informationen, aber angesicht der galoppierenden Staatsparanoia bin ich dennoch fest davon überzeugt, daß selbst dort verdeckte Ermittler tätig sind.

  • Genau auf dieselbe Weise infiltriert der Verfassungsschutz die Jugendprojekte, die als Prävention vor Salafismus-Rekrutierung gedacht sind.

    Das führt zu enormen Vertrauensbrüchen.

    Die Behörden zerstören diese Projekte.

  • Hinterhältige Methoden? Das hört sich nach ein bisschen Verschlagenhalt an. Hamburg hat eine kriminell agierende Polizei, ums mal klar zu sagen. Verfassungswidrige Spitzeleinsätze, Gefahrengebiete, in denen Menschenrechte ausser Kraft gesetzt werden, gesetzteswidrige Einkesselungen auf Demos...es ist zum Kotzen, was sich Polizei und Innenbehörde in Hamburg rausnehmen, und es gehört geändert.

    • @Wu:

      Vollkommen richtig.

      Und im Verkehrsbereich agiert sie, wenn vielleicht auch nicht kriminell, aber rückwärtsgewandt und viele Verkehrsteilnehmer gefährdent, indem sie nicht bereit ist die Geschwindigkeit zu drosseln. Auch bei der Radwegebenutzungspflicht bei Schnee z.B. musste sie vom Bundesverkehrsministerium zurückgepfiffen werden. Sie agiert von der Politik völlig unkontrolliert.