Dokumentarfilm über Spitzel: „Opfer ihrer eigenen Ermittlungen“
Ein Filmteam arbeitet an einer Doku über verdeckte ErmittlerInnen in der linken Szene. Verantwortliche vor die Kamera zu kriegen, ist schwer, sagt der Regisseur.
taz: Herr Obens, wie kommt man für einen Dokumentarfilm über verdeckte ErmittlerInnen an Material?
Hannes Obens: Es hat natürlich Zeit in Anspruch genommen, Leute von unserem Projekt zu überzeugen – einerseits auf staatlicher Seite, andererseits die Überwachten. Letztlich haben wir aber nicht nur Betroffene aus dem Umfeld der Roten Flora und dem Heidelberger Studentenkreis gefunden. Sondern auch von staatlicher Seite, zum Beispiel den früheren Generalbundesanwalt Kay Nehm, der den Einsatz der verdeckten Ermittlerin Iris P. veranlasst hat.
Haben sich auch politisch Verantwortliche vor der Kamera geäußert?
Bisher leider nicht. Das ist wirklich schwierig – viele haben komplett zugemacht, auch mit Argumentationen, die uns fragwürdig erscheinen.
35, Autor und Regisseur. Hat Literatur und Geschichte studiert und war früher selbst viel in der Roten Flora unterwegs. Jetzt lebt er in Berlin.
Zum Beispiel?
Hamburgs Innensenator Andy Grote, weil er zur Zeit der Einsätze noch nicht im Amt war. Aber zum Komplex verdeckte Ermittler könnte er sich ja trotz allem äußern. Es käme keiner auf die Idee, ihn rückwirkend verantwortlich zu machen. Wir wollen schließlich beide Seiten zeigen und keine Inquisitoren sein.
Ist es nicht ermüdend, Leute zu überreden, die sich eigentlich nicht vor laufender Kamera dazu äußern wollen?
Manchmal schon, aber das ist auch das Spannende. Die ganze Bandbreite an Betroffenen und Involvierten zeigt, was solchen Einsätzen implizit ist: Dass Dinge, die einen polizeilich-juristischen Hintergrund haben, schnell sehr persönlich werden können. Und die moralisch-ethischen, aber auch politischen Schwierigkeiten, die solche Polizeiaktionen zwangsläufig mit sich bringen.
Konnten Sie auch mit verdeckten ErmittlerInnen sprechen?
Wir sind ganz gut in diesen Kreis vorgedrungen und haben Gespräche geführt. Auch bei Polizisten besteht ein Bedürfnis, darüber zu sprechen. Die BeamtInnen sind ja auch selbst betroffen. Und werden zu Opfern ihrer eigenen Ermittlungen.
Wie meinen Sie das?
Man muss sich fragen: Wenn man Leute in ein persönliches Umfeld einschleust – was weckt das auch bei den BeamtInnen? Das hat dramatische Auswirkungen. Iris P. war sechs Jahre und Maria B. sieben Jahre im Einsatz. Du belügst dein Umfeld, lebst in der Szene, und nach sieben Jahren bist du plötzlich raus, verlierst deine zweite Heimat. Das ist der soziale Tod. Ich möchte mir nicht vorstellen, wie es den Menschen geht, die enttarnt wurden.
Was wollen Sie mit dem Film bewirken?
Wir wollen einen Diskurs anregen über das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit. Das Thema Überwachung ist abstrakt und scheint immer weit weg. Aber diese Fälle, in die Menschen reingezogen wurden, nur weil sie irgendwen kannten, machen greifbar, was mit Überwachung zwangsläufig einhergeht.
Das Thema verdeckte ErmittlerInnen interessiert auch viele, die damit keine Berührungspunkte haben. Was ist so faszinierend?
Einerseits spielt sicher das James Bond-Szenario eine Rolle – ein Geheimagent, der auch in Betten wütet – Sex and Rock’n Roll. Das Vortäuschen von Identitäten ist etwas, das Leute interessiert, auch auf der psychologischen Ebene. Und sicherlich hat es auch mit dem Stasi-Komplex zu tun. Wir haben viel darüber erfahren, wie die Stasi vorgegangen ist, die ja auch überhaupt keine Privatsphäre geachtet hat. Aber wir wissen relativ wenig darüber, was heute hier so passiert.
Wird man paranoid, wenn man sich so viel damit beschäftigt?
Das sollte man nicht und muss man auch nicht! Es ergeben sich einem aber viele Fragen. Zum Beispiel, gegen wen solche scharfen Waffen wie verdeckte Ermittler eingesetzt werden. Gerade bei dem Heidelberger Fall – da war ein studentisches Milieu betroffen. Wie kann so etwas passieren? Dass da ein Netz ausgeworfen wird, und man guckt dann, was ist da drin, auch so an Beifang. Ich glaube, so muss man sich viel von der Ermittlungstätigkeit vorstellen. Ich habe große Zweifel an dem Instrumentarium. Es ist sehr gefährlich.
Welche Gefahren sehen Sie?
Dass das Instrument zu sehr ausgeweitet wird und dem Staat ein zu großes Handlungsfeld eingeräumt wird, in Privatsphären vorzudringen. Man darf nicht vergessen, dass Menschen immer erpressbar werden, wenn man Informationen über sie gewinnt.
Warum fliegen ErmittlerInnen immer in Hamburg auf – und nicht beispielsweise in Berlin?
Ich glaube, dass der Fall Iris P. eine Lawine ins Rollen gebracht hat und die Leute danach intensiv recherchiert haben. Und, dass die linken Strukturen in Hamburg gut funktionieren. Ich glaube, dass in Berlin vieles oberflächlicher läuft, Bekanntschaften vielleicht auch. Da verdächtigt man jemanden und dann verläuft es sich. In Hamburg gibt es eine langjährige linksradikale Szene, die viele Erfahrungen im Umgang mit verdeckten Ermittlern hat, das Thema ernst nimmt und zusammenhält. Da gibt es eben auch ein staatliches Interesse dran.
Seit Sie an dem Film arbeiten, sind schon zwei weitere Ermittlerinnen aufgeflogen. Rennt Ihr Team immer den aktuellen Entwicklungen hinterher?
Die Entwicklungen halten uns ganz schön auf Trab. Aber man kann es auch positiv sagen: Die Relevanz unseres Themas wird ständig unterstrichen. Es gibt starke Bezüge zwischen den Fällen. Die saßen ja teilweise auf den gleichen Plena. Außerdem haben wir viel Neues rausgefunden, das noch nicht bekannt ist. Insofern ist man immer hinterher aber gleichzeitig auch voraus.
Sie haben sich um die Hamburger Filmförderung beworben – aber nicht bekommen. Warum nicht?
Das ist ein bisschen spekulativ, weil einem da keine Gründe genannt werden. Ich glaube, dass Scheuklappen eine Rolle spielen.
Sie meinen, es ist politisch nicht gewollt?
Ich glaube nicht, dass es sich sozusagen eins zu eins von oben nach unten widerspiegelt – da sitzen ja hoffentlich unabhängige Leute in der Jury. Aber bei dem Thema sind offensichtlich manche sehr voreingenommen. Nach dem Motto „Ihr wollt doch nur eure linksradikale Position durchziehen.“ Die gucken dann vielleicht gar nicht genau hin, oder fördern lieber einen Film, der weniger brenzlig ist.
Es gibt eine Spendenaktion um den Film zu finanzieren. Kann das Projekt noch scheitern?
Wir stehen vor finanziellen Schwierigkeiten, aber wir sind optimistisch, dass wir sie lösen können – aber wir brauchen Unterstützung. Selbst wenn das Filmteam auf alles Geld verzichten würde, kostet die ganze Technik ja auch Geld. Aber wir haben den unbedingten Willen, das durchzuziehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Preiserhöhung bei der Deutschen Bahn
Kein Sparpreis, dafür schlechter Service
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett