Kommentar EU-Mauern gegen Flüchtlinge: Selbstsüchtige Stacheldrahtpolitik
Die Abschottungsversuche der EU sind unmenschlich. Und sie werden scheitern. Ihr Erfolg hätte fatale Folgen für die Länder des Westbalkans.
Was will Deutschland, was will die EU eigentlich? Wie Ungarn eine Mauer errichten – rund um die Wohlstandsgesellschaften? Die „armen Schweine“ aus dem Nahen Osten und Nordafrika draußen halten, da man ja nicht für jeden Dahergekommenen zahlen kann? Diejenigen, die es doch irgendwie in die gelobten Länder schaffen, so schnell wie möglich abschieben? Will man zum Stacheldraht greifen, metaphorisch und buchstäblich?
Einmal davon abgesehen, dass das unmenschlich wäre – es wird nicht klappen.
Wir sind Zeugen einer historischen Migrationswelle: Millionen Menschen sind von Krieg, Elend, Furcht und Leid betroffen, in Syrien, Afghanistan, Irak oder Libyen. Sie packen das Notwendigste, geben ihr letztes Geld für die lebensgefährliche Reise ins Ungewisse aus, viele sterben auf dem Weg zu einem besseren Leben. Sie legen tausende Kilometer in überfüllten Booten, in LKWs oder zu Fuß zurück, tun, was sie tun müssen, um zu überleben. Glaubt man wirklich, dass sie von einer Mauer, verschärften Grenzkontrollen oder irgendwelchen EU-Vorschriften aufgehalten werden?
Wer das in seinen Fernseher glotzend glaubt, der hat nie die Verzweiflung einer Mutter oder eines Vaters gesehen, die ihre erschöpften Kinder entlang der griechisch-mazedonischen oder serbisch-ungarischen Grenze schleppen; nie die verbissene Entschlossenheit von jungen Männern, die dem Tod entkommen sind und schlicht und einfach normal leben wollen; nie das grauenvolle Warten in griechischen Flüchtlingscamps.
Es geht nicht um Zahlen, es geht um Menschen. Man stelle sich vor, wie bedrückend Angst, Elend und Hoffnungslosigkeit sein müssen, dass man alles hinter sich liegen lässt und sein eigenes Schicksal und das seiner Familie Schmugglerbanden anvertraut.
Dutzende Tausend Flüchtlinge kommen jeden Monat illegal über die Türkei, Griechenland und Mazedonien nach Serbien, das, selbst wirtschaftlich ruiniert und mit einer Arbeitslosigkeit von rund 30 Prozent, völlig überfordert ist. Zwischenstationen auf der Balkanroute nach Deutschland und in andere reiche, europäische Staaten.
Sollte es den EU-Staaten tatsächlich gelingen, ihre Außengrenzen dicht zu machen, hätte das katastrophale Folgen für den Westbalkan. Gott sei Dank werden sie es, wie gesagt, nicht schaffen und Serbien und Mazedonien werden nach wie vor beide Augen zudrücken, wenn Flüchtlinge massenhaft illegal ihr Territorium Richtung Westen verlassen.
Für Deutsche, Österreicher oder Niederländer mag das egoistisch, unverantwortlich erscheinen. Das ist es aber nicht. Es geht ums Überleben. Die Bürger Westeuropas, die Christen und die Humanisten, sollten sich über ihre eigene Selbstsucht und menschliche, ja, politische Unverantwortlichkeit Gedanken machen, wenn sie die Horden der Verzweifelten in einer Region aufhalten wollen, die selbst verzweifelt ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Abschluss G20-Gipfel in Brasilien
Der Westen hat nicht mehr so viel zu melden
CDU-Politiker Marco Wanderwitz
Schmerzhafter Abgang eines Standhaften