Kommentar Dylans Absage an Stockholm: Der Meister enttäuscht
Bob Dylan bleibt der Verleihung des Nobelpreises für Literatur fern. Ärgerlich, dass er ausgerechnet jetzt zur Lage in den USA schweigt.
M it der Entscheidung ließ er sich Zeit: Bob Dylan kommt nicht persönlich zur Verleihung des Nobelpreises für Literatur, der ihm am 13. Oktober zuerkannt wurde. Wie er in einem Brief an die Nobelpreis-Akademie mitteilte, sei er „längerfristige Verpflichtungen eingegangen“, daher könne er Anfang Dezember leider nicht nach Stockholm reisen, um eine Laudatio zu halten sowie der feierlichen Preisverleihung beizuwohnen.
Kein Weltuntergang, aber doch eine Enttäuschung, zumindest für jene, die gehofft hatten, von dem Weltstar in seiner Preisrede auch ein paar Antworten zu erhalten auf die drängende Frage, wie sich sein Heimatland, die USA, in einen derart prekären Zustand manövriert hat.
Was ja auch einer der Gründe war, weswegen Dylan überhaupt in the first place mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wurde. Denn in dieser Entscheidung, das wussten alle, schwang sie durchaus mit, die Sorge vor einem Wahlsieg Donald Trumps, vor einer zunehmenden Polarisierung der USA und deren Folgen für die ganze Welt.
Ärgerlich, dass mit dem Singer-Songwriter Dylan, der in vielen brillanten Songs Sorgen und Nöte der „kleinen Leute“ thematisiert hat und ihre trostspendenden Traditionals seit Langem im Repertoire führt, ein hochgeschätzter Künstler ausgerechnet jetzt zur Lage in den USA schweigt. Er müsste ja nicht gleich das Weltgewissen eines Günter Grass vollführen bei seiner Rede.
Momentan käme es aber schon darauf an, die von US-Demagogen Aufgepeitschten von ihrem Irrglauben abzubringen. Dylan, der seit 40 Jahren fast ständig durch die USA tourt, wüsste sicher Interessantes über den Wandel der Gesellschaft zu erzählen. Vielleicht hebt er sich das nun alles für neue Songs auf.
Konzertengagements hat Dylan Anfang Dezember übrigens keine. Der Laudatio hingegen entkommt er nicht – die müssen frisch gekürte Nobelpreisträger innerhalb von sechs Monaten halten. Worauf warten Sie noch, Mister Tambourine Man?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Schraubenzieher-Attacke in Regionalzug
Rassistisch, lebensbedrohlich – aber kein Mordversuch