Kommentar Deutsches Ost-West-Gefälle: Ernüchternde Zahlen
Der Osten müsste endlich mit dem Westen gleichgestellt werden: bei Löhnen, Renten und Behördenstandorten. Doch zu Hoffnung besteht kein Anlass.
D ieser Kommentar wird geschrieben, während am Redaktionsfenster ein stinkender Autokorso der Marke Trabant vorbeipfeift. „Trabi Safari“ heißt das ostalgische Spektakel, das sich Tag für Tag in der einst geteilten Stadt Berlin zuträgt. Für sechzig Euro darf sich jeder Depp in ein kleines Pappauto quetschen und „brilliant fun“ (The Sunday Times) entlang des Todesstreifens haben.
Und tatsächlich fragt man sich, wenn sie in Chemnitz und Köthen mal wieder den rechten Arm heben: Wäre nicht alles einfacher, wenn der Osten noch immer eine Art ummauerter Menschenzoo wäre? Bizarre Autos und Politgrusel inclusive?
Aber so ist es nun mal nicht. Ostdeutschland ist eine Region, die seit 27 Jahren zur Bundesrepublik gehört. Und dieses mehrheitsgesellschaftliche Deutschland versucht seither so beharrlich wie vergeblich, die Probleme des Ostens wahlweise zu ignorieren, kleinzureden, zu verhöhnen oder auszublenden. So wird das nichts. Man kann sich die Verwandtschaft bekanntlich nicht aussuchen. Und da der Beziehungsabbruch grundgesetzlich ausgeschlossen ist, wäre eine andere Möglichkeit, den Osten endlich gleichzustellen. So richtig mit Löhnen, Renten, Konzern- und Behördenansiedlungen. Vor allem mit aufrichtigem Interesse, das etwas anderes meinen müsste, als in Autos in Zebraoptik durch Innenstädte zu heizen.
Doch zur Hoffnung besteht kein Anlass. Gerade hat das Statistische Bundesamt frische Zahlen vorgelegt. Und ja, sie sind ernüchternd. So wie eigentlich immer seit jenem 3. Oktober, an dem Helmut Kohl ehrlich gerührt am Berliner Nachthimmel das Feuerwerk zum Tag der Deutschen Einheit bestaunte. 27 Prozent weniger Gehalt bei prozentual gleich hohen Konsumausgaben, dafür 25 Prozent mehr Alleinerziehende …
Noch da? Schon klar, das Gejammer ermüdet. Ein letzter Satz: Demokratiepraktisch könnte der Osten ein Vorgeschmack für den Westen sein. Jetzt wieder wach? Dann mal los!
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Treibhausgasbilanz von Tieren
Möchtegern-Agrarminister der CSU verbreitet Klimalegende
Ägyptens Pläne für Gaza
Ägyptische Firmen bauen – Golfstaaten und EU bezahlen