Kommentar Bundestagswahl 2017: Der Aufstieg der Angstmacher
Die SPD wird abgestraft, die AfD ist stark, auch weil sie Themen setzen konnte. Gegen das Schäumen der Rechten hilft jetzt nur kühle Sachlichkeit.
W ir waren schon weiter. Vom Bundestag aus wurde Europa mitgebaut, er stritt über Rezepte gegen den Klimawandel, über den medizinischen Fortschritt und über die Gentechnik. Zuletzt ermöglichte er die Ehe für alle. Das deutsche Parlament hat eine weltoffene Perspektive. Doch in diesen Bundestag ziehen nun Leute ein, die die Welt durch die Brille der Beleidigten betrachten. Die Retros, die Rassisten – sie sind jetzt drin. Und wie.
Die AfD wird provozieren und brüskieren, wird übertreiben und herunterspielen, Ängste wird sie ausbreiten und Aggressionen schüren. Davon lebt sie. Die Plenardebatten verfolgt nur selten ein breites Publikum vor dem Fernseher. Dennoch ist der Bundestag ein politischer Mittelpunkt, er ist das Nervenzentrum der Demokratie. Wenn das Nervenzentrum angegriffen wird, kann dies den Organismus lähmen. Das muss verhindert werden.
Der Wahlkampf hat schon gezeigt, was passiert, wenn ein kostbares Gut namens Aufmerksamkeit verplempert wird. Gauland und Weidel haben eine Falle nach der anderen gestellt. Die Politiker tappten sehenden Auges hinein – und oft genug auch die Medien. Nicht wir haben uns aufgeregt. Sondern sie haben es geschafft, uns aufzuregen. So geht es nicht. Wenn die AfD im Bundestag schäumt, sollten die anderen mit der Sachlichkeit einer Grundbuchratsschreiberin reagieren.
Aufgabe der anderen Parteien ist es auch, Wählerinnen und Wähler zurückzugewinnen. Es bleibt richtig, dass Martin Schulz aufrichtig versuchte, Menschen anzusprechen, die in Deutschland gerne leben, aber nicht gut. Dem Sozialdemokraten blieb der Erfolg brutal versagt, schade, er ist ein großer Kämpfer. FDP-Retter Christian Lindner hat mit Stimmungen gespielt, die die AfD erzeugt hat, um ihr so Stimmen abzunehmen. Diese Wahlkampftaktik darf keine politische Strategie werden. Denn wer die Agenda der Rechten bedient, macht sie stark.
In dieser Hinsicht schmutzelte CSU-Chef Horst Seehofer dieses Mal kaum, aber schon mit Blick auf die bayerische Landtagswahl in einem Jahr kann das anders kommen. Seehofer wird seine ganz persönliche AfD-Frage zu beantworten haben.
Für die Grünen hat es sich ausgezahlt, dass sie ernsthaft bei ihren Themen blieben, statt sich am AfD-Grusel aufzurichten. Ob die Linkspartei jetzt mehr Protestpartei wird? Rot-Rot-Grün im Bund kann man jedenfalls vergessen. Bisher brachten die drei trotz Mehrheit im Parlament nichts zustande. Jetzt könnten sie nicht mal, wenn sie wollten. Dafür wird über Jamaika verhandelt werden, denn die SPD will erst einmal nicht über eine neue Große Koaliton reden.
Empfohlener externer Inhalt
Verständlich, denn Schwarz-Rot ist den Wahlergebnissen nach von der Groko zur Kleinko geworden. Jamaika: kein politisches Projekt, sondern ein pragmatisches Bündnis, in dem jeder ein bisschen Profil sucht. Angela Merkel ging als Königin der Umfragen in den Wahlkampf, aus dem sie jetzt als Bettlerin mit miserablem Ergebnis herauskommt. Nun muss sie eine Vier-Parteien-Regierung zusammenkratzen.
Merkel wird nun im Bundestag auch ein eigenes politisches Scheitern vor Augen sitzen. Wer so lange das Land geprägt hat, kann sicher sein, am Aufstieg der Angstmacher Anteil zu haben. Immerhin, indem Merkel das Brüllen und Trillern im Wahlkampf ignorierte, hat sie es vorgemacht: Gegen diese neurechte Bewegung hilft nicht Hitze, sondern Kühle.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei