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Kommentar Britische UnterhauswahlOhne Gespür, ohne Gefühl

Theresa May hat sich verzockt. Die Neuwahl wird ihr keine stabilere Mehrheit im Parlament bringen. Dass die Sache danebenging, lag vor allem an ihr.

Wird sie nun zurücktreten – oder Premierministerin bleiben und in zwei Wochen nach Brüssel reisen? Foto: reuters

Was für ein spektakuläres Eigentor! Als die britische Premierministerin Theresa May im April Neuwahlen ausrief, lagen ihre Tories bei Umfragen mehr als 20 Prozentpunkte vor Labour. Mays Ziel war es, die Opposition auf lange Zeit zu zerstören. Die Wahl sollte eine Art Krönung für sie werden.

Dass die Sache so schiefgegangen ist, liegt an ihr. May hat sich selbst in den Mittelpunkt des Wahlkampfes gestellt. Zu Beginn war sie für viele Wähler trotz ihrer langen Zeit als Innenministerin ein relativ unbeschriebenes Blatt. Je besser sie May kennenlernten, desto weniger mochten die Wähler sie. Demenzsteuer und Verweigerung einer direkten Debatte mit Labour-Chef Jeremy Corbyn, ihre hölzernen Interviews und ihre Art, die Wähler als Manövriermasse für ihre eigenen Berechnungen zu behandeln – Mays Wahlkampf war eine Katastrophe. Sie erwies sich als Politikerin ohne Gefühl, ohne Gespür, ohne Phantasie.

Corbyn dagegen wurde im Wahlkampf immer besser, was ihm kaum jemand zugetraut hatte, nicht mal in der eigenen Partei. Großbritannien hatte zum ersten Mal in diesem Jahrhundert eine echte Wahl. Mussten sich die Wähler bisher zwischen den Konservativen und einer weichgespülten Labour Party entscheiden, so trat Labour diesmal mit einem zumindest teilweise radikalen Programm an. Das hat viele, die bisher am Wahltag wegen des Mangels an Alternativen zu Hause geblieben waren, an die Wahlurne gelockt – zu Labours Vorteil.

Je besser sie May kennenlernten, desto weniger mochten die Wähler sie

Für eine Mehrheit hat es freilich nicht gereicht, die Tories werden mit Hilfe der nordirischen Democratic Unionist Party (DUP) an der Macht bleiben. Corbyn dürfte aber vorerst Ruhe vor seinen Feinden in der eigenen Partei haben, die seit seinem Amtsantritt als Parteichef an seinem Stuhl sägen. Theresa Mays Tage sind hingegen gezählt, ihr Rücktritt ist unausweichlich.

Kaum mehr Spielraum für Kompromisse beim Brexit

Durch das Wahlergebnis ist die britische Position bei den Brexit-Verhandlungen deutlich geschwächt worden. May wollte in knapp zwei Wochen mit gestärkter Rückendeckung zu den Verhandlungen nach Brüssel reisen. Nun muss sie – beziehungsweise ihr Nachfolger – ständig über die Schulter auf die eigenen EU-feindlichen Hinterbänkler schauen, so dass kaum Spielraum für Kompromisse mit der EU bleibt.

Die beiden anderen Wahlverlierer sind die Scottish National Party, die mehr als 20 ihrer 56 Sitze einbüßte, wodurch ein zweites Referendum für Schottlands Unabhängigkeit in weite Ferne gerückt ist, sowie die rechtspopulistische United Kingdom Independence Party (Ukip), die nach dem Brexit-Referendum Opfer ihres eigenen Erfolgs geworden war.

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13 Kommentare

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  • Man könnte auch sagen, Theresa May hat die Wahl gewonnen. Sie wird es jetzt nicht mehr sein müssen, die diesen beknackten - im Grunde gar nicht verlustfrei durchzuführenden - Brexit auf den Weg bringen muss. Jetzt wird vermutlich erst noch ein paar Mal rumgewählt, bis keine Sau mehr irgendeinen Sinn in Wahlen sieht und dann schlägt am Ende wieder die Stunde der Torys.

    • @Rainer B.:

      Bislang sieht es nicht so aus, als würde irgendwer zucken und sich als Ersatzopfer positionieren, das den Brexit dann statt Mays durchleiden darf - was Wunder. Deshalb wird sie wohl erst einmal im Amt bleiben.

      • @Normalo:

        Bis zur nächsten Neuwahl - eben.

  • Und Corbyn, der auch Zeitungen wie der Süddeutschen so angegriffen wurde, als ob er vom Mars käme,

    ist in Islington und Finsbury Park (London) zum neunten Mal gewählt worden!

    Wenn Deutschland nicht so viele CDU-CSU Wähler hätte, könnte es ein soziales Land werden. Aber hier spricht ja niemand über Umverteilung oder die Diktatur des Kapitals oder die Machtfrage im Wohnungssektor. Hier sind sie alle wie Schafe und pennen. Wenn sie aufwachen, ist das gute Lebensgefühl in versifften, gentrifizierten Innenstädten mit den ewig gleichen Ketten längst dahin.

    • @Ataraxia:

      Es sprechen hier 10-20% der gewählten Politiker von Umverteilung. Plus die SPD, der viele das nicht mehr glauben.

    • @Ataraxia:

      "Aber hier spricht ja niemand über Umverteilung oder die Diktatur des Kapitals oder die Machtfrage im Wohnungssektor...."

       

      Oh doch. Haufenweise sogar. Sie zum Beispiel. Aber die Zuhörer haben andere Prioritäten, bzw. sie kennen die Alternative und befürchten, dass es ihnen mit der erheblich schlechter erginge. Oder sie wollen schlicht nicht so sozial sein, wie die Drüberreder es gerne von ihnen erwarten (und nötigenfalls erzwingen) würden. Oder, oder, oder...

       

      Ist es wirklich notwendig, sich Andersdenkende immer gleich als verblendet, dumm oder böswillig vorzustellen? Funktioniert Ihre Welt nur so, oder gibt es da vielleicht doch noch Platz für ein wenig ganz natürlichen Pluralismus?

      • @Normalo:

        Ach sie wissen doch was auf linker Seite Worte wie "Pluralismus", "Meinungsfreiheit" und "Demokratie" wert sind.

         

        Nix - nutzlose Worthülsen, die man nur raus holt wenn man mit seinen Argumenten nicht überzeugen kann.

  • Alte Spieler-Erkenntnis: Wer pokert, der kann sich verzocken.

     

    Dass Theresa May "the hard way" lernt, kann ich mir leider nicht so richtig vorstellen. Gewisse Schrauben im Gehirn scheinen dieser Person vollständig zu fehlen (Gefühl, Gespür, Fantasie etc.). Und wo nichts ist, da kann auch nichts weiterentwickelt werden.

     

    Womöglich gilt das auch für den "ex-bürgermeister von würselen". Dass Gott da etwas machen wird, ist ziemlich unwahrscheinlich. Das soll schon so, vermute ich. Der alte Herr da oben (oder die alte Dame, je nachdem) wird höchstwahrscheinlich wissen wollen, ob seine deutschen Schäfchen wenigstens "the hard way" lernen können - oder ob sich der Aufwand mit der Arche auch diesmal wieder nicht lohnt.

  • Glücklicherweise reicht es nun auch nicht mehr zu einem Machterhalt gemeinsam mit den Westentaschen-Faschisten aus Belfast. Zusammen kommen die beiden Parteien auf 322 Sitze. Vier zu wenig für eine Mehrheit.

     

    Auf die echten Faschisten der Ukip kann nun auch nicht mehr zurückgegriffen werden. Die flogen hochkant raus, die Implosion der Partei der "alternativen Fakten" war mit dem Sturz der Stimmanteile von 12,6% vor zwei Jahren auf 1,9% ein hübsch anzuschauendes Wetterleuchten am Rand des demokratischen Spektrums.

     

    Niemand hat nun eine politische Mehrheit in England und niemand kann das Land bei den eigentlich nächste Woche beginnenden Austrittsverhandlungen aus der EU glaubwürdig vertreten. Die Gespräche werden wohl verschoben werden müssen.

     

    Als nächstes wird Thatcheresa May ihren Platz räumen müssen für eine/n Nachfolger/in an der Spitze der Tories. Für die in Koalitionen eher ungeübten Briten dürfte es dann auf Neuwahlen hinauslaufen - die vierten Wahlen innerhalb von drei Jahren.

  • UND WENN...

    jetzt noch jemand im willy-brandt-haus anklopfen und den artikel aushändigen ... und wenn dann noch jemand bei der spd den artikel verstehen und ihn dem ex-bürgermeister von würselen vorlesen und erklären ... und wenn dann der kandidat sich vor die büste von willy-brandt stellen und verkünden würde: wir schaffen das mit corbyn's programm ! - mein gott...

    • 8G
      83379 (Profil gelöscht)
      @hanuman:

      Hat bei Corybn nicht zur Regierung gereicht, wenn man sich seine Prozente anschaut ist das nicht mehr als linker Flügel SPD+ Linkspartei, und dann hat er noch Remainer Wähler von den Tories angezogen. Wahlen gewinnt der man nicht, Achtungserfolge ja, aber zieht man die Brexit enttäuschten ab, reicht das bei weitem nicht zur Regierungsmacht

  • "Corbyn dagegen wurde im Wahlkampf immer besser, was ihm kaum jemand zugetraut hatte, nicht mal in der eigenen Partei."

     

    Und das obwohl solche Flagschiffe des "linken Liberalismus" wie "The Guardian" ihn seit 2 Jahren genauso attackiert hatten, wie die rechte Presse.

    Also so etwa wie die taz und die Linke ;).

  • Ich gehe davon aus, dass es nicht nur die Fehler von Frau May waren, sondern das deutlich bessere Wahlprogramm des Herrn Corbyn. Wenn er schon mit einem unwilligen rechten Labour-Flügel fast die Mehrheit erreicht hat hätte es mit mehr Unterstützung aus den eigenen Reihen sicherlich geklappt. Es wäre zu wünschen, dass jetzt wenigstens im Rahmen der "Selbsterkenntnis" der Tories endlich etwas für den Normalbürger erreicht wird.