Kommentar Brexit-Beratungen: Die Folgen von Salzburg
Die EU lässt die britische Premierministerin Theresa May brutal auflaufen. Was auch immer dahintersteckt – es ist brandgefährlich.
E s hätte alles so nett werden sollen bei den Beratungen zum Brexit in Salzburg. Ein paar freundlich-unverbindliche Worte, ein öffentliches Bekenntnis zu einer Einigung. Stattdessen ging die britische Premierministerin am Donnerstag gedemütigt vom Platz, und ihre Brexit-Strategie liegt in Scherben. Nicht nur hat EU-Ratspräsident Donald Tusk Mays „Chequers Plan“, der Großbritanniens Beibehaltung von EU-Regeln zum Warenverkehr vorsieht, rundheraus als undurchführbar zurückgewiesen.
Er machte in sozialen Medien außerdem geringschätzige Witze über die britische Regierungschefin, während Frankreichs Emmanuel Macron Brexit-Befürworter als „Lügner“ bezeichnete und andere Gipfelteilnehmer sich öffentlich wünschten, den Brexit ganz zu stoppen. Deutlicher konnte die EU nicht klarmachen, dass sie nicht mehr das geringste Interesse an einer gütlichen Einigung mit Großbritannien über den britischen EU-Austritt hat.
Damit gesellt sich die Europäische Union letztendlich zu Boris Johnson, Nigel Farage und anderen Brexit-Hardlinern in Großbritannien. Sie predigen seit dem Referendum von 2016: Austritt zuerst, dann Gespräche über alles andere.
Keine Übergangsfristen, keine Sonderregeln, keine Zahlungen, kein Chequers Plan – einfach ein klarer Schnitt. Theresa May hat vor Salzburg bei jeder Gelegenheit gesagt: Es gibt nur meinen Plan oder gar keinen. Wenn die EU ihren Plan ablehnt, leistet sie bewusst einem Austritt ohne Vereinbarung Vorschub.
Gespielte Aufregung
Für all das gibt es mehrere mögliche Erklärungen, keine davon schmeichelhaft. Die eine geht so: Die Aufregung ist nur gespielt. Eine Einigung ist längst unter Dach und Fach, aber weil May dafür nur dann zu Hause eine Mehrheit findet, wenn sie das als Sieg über die EU verkaufen kann, muss die EU jetzt so tun, als sei sie dagegen, um dann später so zu tun, als habe sie nachgegeben.
Abgesehen davon, dass es nicht das geringste reale Anzeichen für diese Annahme gibt, wäre diese Strategie in Salzburg deutlich über das Ziel hinausgeschossen. May hat in Reaktion die Gespräche mit der EU faktisch auf Eis gelegt und „Respekt“ gefordert.
Der Konsens in London ist jetzt nämlich: Mays Plan ist politisch tot. Und sie selbst eventuell auch, wenn sie auf das Auftrumpfen der EU nicht entsprechend hart reagiert. Wenn in gut einer Woche ihre Konservativen zum Jahresparteitag zusammentreten, geht es um ihr politisches Überleben.
Die andere mögliche Erklärung lautet: Genau das ist das Ziel. Die EU-Führer sehen, wie schwach May ist, und wetzen jetzt offen die Messer. Das Ziel: den Briten keine andere Option lassen als eine gescheiterte Premierministerin und einen Brexit ohne Vereinbarung – mit dem Kalkül, dass das britische Parlament das nicht akzeptieren wird und stattdessen ein neues Referendum ansetzt, das den Brexit kippt.
Der Weg zu einer neuen Brexit-Volksabstimmung
Aber wie realistisch ist dieses Szenario? Schließlich haben die Briten 2016 für den Brexit gestimmt, und entgegen manchen Behauptungen gibt es bis heute weder im Volk einen Sinneswandel noch im Parlament eine Mehrheit für ein neues Referendum.
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Großbritanniens Pro-EU-Strategen wollen nun beim Labour-Jahresparteitag ab diesem Sonntag als Erstes die Oppositionspartei auf ein zweites Brexit-Votum festlegen, gegen den ausdrücklichen Willen von Parteichef Jeremy Corbyn. Dann könnte eine parlamentarische Mehrheit in Sicht kommen, auch wenn die Zeit knapp ist.
Der Weg zu einer neuen Brexit-Volksabstimmung führt also über eine Labour-Revolte gegen Corbyn, zusätzlich zur ohnehin eingepreisten Tory-Revolte gegen May, der absehbaren offenen Revolte der Brexit-Befürworter gegen ein neues Referendum sowie einem Sabotagekurs im Staatsapparat gegen die aktuellen Brexit-Vorbereitungen.
Kurz gesagt: politisches Chaos allerorten, Verfassungskrise – und die EU trüge Mitverantwortung. Woher soll da plötzlich eine Mehrheit der Briten bei einer zweiten Befragung ihre Liebe zur EU entdecken? Und wie zynisch muss man als Europäer sein, um das alles zu wollen?
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