piwik no script img

Kommentar Brand in Notre-DameSchichten aus Sehnsucht

Tania Martini
Kommentar von Tania Martini

In der Kathedrale als Symbol verdichten sich Sehnsüchte. Auch deshalb darf man ergriffen sein von den Bildern von Notre-Dame in Flammen.

Vom Feuer verwüstet: Kathedrale Notre-Dame Foto: reuters

K athedralen sind Fundamente der Ewigkeit. Deshalb schockiert es, wenn sie, wie jetzt Notre-Dame, brennen. Dabei ist es weniger ihre konkrete Erscheinung, die ewig ist, denn welche Kathedrale tritt uns heute noch in ihrer ursprünglichen Gestalt gegenüber. Und wo überhaupt liegt der Ursprung von Gebäuden, die über mehrere Jahrzehnte, gar über mehrere Jahrhunderte gebaut, verändert und auch immer wieder neu errichtet wurden? Ewig ist nur die Idee der Kathedrale selbst. Ewig ist sie als ein Raum, der der Zeitlichkeit enthoben ist. Unabhängig von den Zeitläufen, von jedem Zufälligen, Beliebigen oder Wirklichen, dem Leben selbst.

Deshalb hat man immer wieder versucht, diese Orte der Ewigkeit in eine politische Raum-Zeit ­hineinzubringen, die Macht, die sie repräsentieren, zu brechen und sich ihrer zu bemächtigen.

Aus der großen Notre-Dame sollte während der Französischen Revolution ein „Tempel der Vernunft und der Freiheit“ werden und an jedem zehnten Tag des neuen Revolutionskalenders das Fest der Vernunft begangen werden. Denn die Vernunft, aber eben auch die Feste und sogar die Märkte, sie erheben Einspruch gegen das Ewige.

Metapher für die Unvernunft

Doch das Profane verheißt nicht nur Freiheit, was auch dem französischen Schriftsteller Émile Zola deutlich vor Augen stand, der das erste Warenhaus der Geschichte, Le Bon Marché in Paris, im 19. Jahrhundert nicht zufällig als „Kathedrale des neuzeitlichen Handels“ beschrieb und die Kathedrale als Metapher für die Unvernunft setzte.

Ganz anders als die ihm vorausgehenden Romantiker, denen die gotischen Kathedralen als Symbol einer verloren gegangenen einheitlichen Welt galten. Mehr Ideal als tatsächliche Welt also – das ist vielleicht die beste Zusammenfassung für die Wünsche und Sehnsüchte, die sich in der Kathedrale als Symbol verdichten. Sie ist eine Art Supermetapher, was sich auch darin zeigt, dass, wenn in Frankreich von einer „Kathedrale der Liebe“ oder einer „Kathedrale der Poesie“ die Rede ist, von etwas gesprochen werden soll, das dem Gewöhnlichen enthoben ist.

Die Supermetapher ist eine französische Begabung, dort und nicht etwa in Deutschland spricht man von der „Kathedrale Europa“. Aber: Man muss die Dinge erden, um sie in den Griff zu kriegen. Und so muss man sehen, auch der Mittelpunkt Frankreichs, die so unfassbar schöne Notre-Dame, besteht nur aus Schichten, die ihr hinzugefügt wurden. Es gibt sie nicht als authentische.

Man darf ergriffen sein von den Bildern, die sie in Flammen zeigen, das ja. Aber weniger deshalb, weil sie eine Idee verkörpert, sondern weil es ihre Glocken waren, die läuteten, als Paris von den Nazis befreit wurde. Zum Beispiel.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Tania Martini
Politisches Buch/Kultur
Tania Martini war bis November 2024 Redakteurin für das Politische Buch und Theorie/Diskurs im Kulturressort. Mitherausgeberin des Buches "Nach dem 7. Oktober. Essays über das genozidale Massaker und seine Folgen (Edition Tiamat). Jurorin des Deutschen Sachbuchpreises 2020-2022 sowie der monatlichen Sachbuch-Bestenliste von ZEIT, ZDF und Deutschlandradio. Lehraufträge in Kulturwissenschaften und Philosophie. Von 2012 bis 2018 Mitglied im Vorstand der taz. Bevor sie zur taz kam: Studium der Gesellschaftswissenschaften, Philosophie und Psychoanalyse in Frankfurt/Main; Redakteurin und Lektorin in Wien.

10 Kommentare

 / 
  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Ein - hier selten - schöner Kommentar. "Mehr Ideal als tatsächliche Welt" - Worte, wie in Stein gemeißelt. Wie Teile des Betrachtungsgegenstands.

    Übrigens: ergriffen sein darf manfrau von Allem und Jedem. Ganz ohne Erklärungen.

  • Ja, es ist eine schöne, große und geschichtsträchtige Kirche, und dennoch nur eine von hunderttausenden auf diesen Planeten. Sie besteht aus Stein, Mörtel, Eisen, Holz und Farbe, d.h. sie kann wieder aufgebaut werden. Es ist jedoch widerlich, dass wegen einem Gebäude die Pinault und Konsorten hunderte Mio EUR spenden wollen, für notleidende Menschen jedoch (davon gibt es auch in Paris und Frankreich genug) hatte sie das Geld nicht übrig. Klar, als Spender kann man sich dann mit diesem Gebäude verewigen, wie früher die Könige.

    • @Lara Crofti:

      Nein, es ist nicht nur eine von 100.000 Kirchen. Sie ist das meistbesuchte Gebäude dieses Kontinents. Die Schätzungen schwanken zwischen 10 und 20 Millionen Besucher pro Jahr. Die Kirche ist damit mittelbarer Arbeitgeber für so viele Menschen, das übersteigt Ihre Vorstellungskraft!

  • 9G
    93649 (Profil gelöscht)

    „Aber weniger deshalb, weil sie eine Idee verkörpert, sondern weil es ihre Glocken waren, die läuteten, als Paris von den Nazis befreit wurde. Zum Beispiel.“



    Man, man, man... geht‘s noch?

  • Sehr empathischer Brschreibung. Danke schön, Fr. Martini.

  • "La Fenice" Venedig 1996 läßt grüßen. (vgl. "Die Welt" 22.11.1996)

  • Ach was!

    ”Kommentar Brand in Notre-Dame



    Schichten aus Sehnsucht



    In der Kathedrale als Symbol verdichten sich Sehnsüchte. Auch deshalb darf man ergriffen sein von den Bildern von Notre-Dame in Flammen.“

    “Dürfen - darf frauman alles.“ by Tucho



    Aber - Danke Frau Tania Martini.

  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    "Deshalb hat man immer wieder versucht, diese Orte der Ewigkeit in eine politische Raum-Zeit ­hineinzubringen, die Macht, die sie repräsentieren, zu brechen und sich ihrer zu bemächtigen."

    Von einer Ewigkeit weiss ich nach der religiösen Erfahrung gar nicht mehr. Nach meinem Verständnis ist nichts ewig. Aber ich bin schließlich auch nicht gläubig, wie die Verfasserin es wohl irgendwie doch ist, wenn sie sich mit der Ewigkeit so gut auskennt.

    Ich kann das obige Zitat auch gar nicht recht verstehen. Die Konzepte der "Idee", der "Ewigkeit" existieren meines Verständnisses nach schon/nur in einer politischen Raum-Zeit. Es gibt kein unpolitisches Heiligtum. Genauso wenig wie einen "der Zeit enthobenen Raum". Auch diese radikal kontrafaktische und im direktesten Sinne des Wortes utopische (ortlose) Idee eines "der Zeit enthobenen Raumes" wird nur solange existieren, wie Menschen derartig unterdrückt werden, dass sie an etwas Überirdisches glauben müssen, weil sie sonst nichts und niemanden haben, an dass / an dem sie sich halten können.



    Die Idee, ein "der Zeit enthobener Raum" könne in der Welt manifestiert oder auch nur repräsentiert werden, sehe ich als irrational an. Ich kann so etwas zwar grammatisch formulieren, aber vorstellen kann ich es mir nicht. Dazu müsste ich zuerst die Erfahrung eines solchen "zeitlosen Raumes" machen und die religiöse Erfahrung kann das nicht leisten

    Religion als unpolitisch zu betrachten, zu behaupten, "die Kathedrale" und damit "Gott" wären rational begreifbare Ideen und andererseits die Authentizität zu dekonstruieren - das liest sich sehr poetisch und schön, bleibt aber widersprüchlich

    Ergriffen war ich von den Bildern des Brandes trotzdem und den Tränen sehr nahe. Ein Weltkulturerbe brennt. Ein Verlust für alle Menschen. Wenn die Vergangenheit ausgelöscht ist, können wir aus ihren Fehlern und Erfolgen nichts mehr lernen. Dann geht uns auch etwas in unserer Zukunft verloren. Eine Zukunft, die in diesen Zeiten schon fragil genug ist.

    • @85198 (Profil gelöscht):

      Ich denke, die Ewigkeit ist hier nicht religiös gemeint, sondern auch dieses Gefühl von Ewigkeit, die auch das Pantheon in Rom vermittelt.

      In diese Ewigkeit versuchen sich die jeweiligen Mächten anzueignen, so wie diese Tage oder zu brechen, wie Revolution von 1789.

      Im Artikel sind ein paar Sprünge drin, das machts etwas schwierig.

  • 8G
    88181 (Profil gelöscht)

    "Aber weniger deshalb, weil sie eine Idee verkörpert, sondern weil es ihre Glocken waren, die läuteten, als Paris von den Nazis befreit wurde. Zum Beispiel."

    Großartig, danke.

    Und ich sehe immer die schöne Esmeralda die Quasimodo, der ausgepeitscht werden soll, Wasser reicht. Zum Beispiel.