Kommentar Boris Johnson: Raus aus der EU, bevor sie untergeht
Londons Bürgermeister wirbt für den Brexit. Er hat gute Gründe dafür – mit denen sich EU-Befürworter auseinandersetzen sollten.
![Zwei Männer in Anzügen gehen nebeneinander, der eine hebt beim Sprechen den Zeigefinger Zwei Männer in Anzügen gehen nebeneinander, der eine hebt beim Sprechen den Zeigefinger](https://taz.de/picture/1018557/14/57697213.jpeg)
W enn der populärste Politiker Großbritanniens für einen Austritt seines Landes aus der EU wirbt, hat nicht nur David Cameron ein Problem. Natürlich hat sich Londons Oberbürgermeister Boris Johnson mit seinem Statement zunächst als Favorit für die Nachfolge des britischen Premiers empfohlen. Ein Nein der Briten zur EU beim Referendum am 23. Juni dürfte zu Camerons Sturz führen, und dann würde der wichtigste EU-Gegner zwangsläufig der nächste Premierminister.
Aber es geht um mehr: um ein Urteil über Europa, das alle Europäer zum Nachdenken bewegen sollte. Brexit-Befürworter wie Johnson sind keine kleingeistigen Nationalisten, die sich auf ihrer Insel verkriechen wollen. Sie nehmen die ganze Welt in den Blick und stellen fest, dass Europa davon nur ein schrumpfender kleiner Teil ist – mehr Vergangenheit als Zukunft. Sie wollen sich der ganzen Welt stellen, und dafür wollen sie die Kontrolle über die eigene Politik zurückgewinnen.
Das ist keine Empire-Nostalgie. Der imperiale Reflex liegt eher bei denen, die behaupten, nur vereint könnten die Europäer global „bestehen“ – also so mächtig sein wie früher, als das weiße Europa alle anderen beherrschte.
Aus Sicht der britischen EU-Gegner ist die Europäische Union dem Untergang geweiht, gescheitert am eigenen Anspruch der „immer engeren Union“ – dem Endziel eines politisch geeinten Europas. Dieser Anspruch, sagen sie, sei totalitär; er funktioniere nicht, wie Eurokrise und Flüchtlingskrise beweisen; er bewirke Gegenreaktionen wie das Erstarken des Rechtspopulismus, die Europa erst recht gefährdeten. Deswegen müsse die politische Gestaltungsmacht rechtzeitig zurück in die Nationalstaaten verlagert werden, um diese nicht den Nationalisten zu überlassen.
EU-Befürworter müssen diese Sichtweise nicht teilen – aber sie sollten sich mit ihr auseinandersetzen. In den geläufigen Europadebatten wird sie nicht wahrgenommen. Der EU-Enthusiast hält sich für den Nabel der Welt und den Hüter des Fortschritts, und wer davon abfällt, sündigt. Das greift zu kurz. Die Positionierung des Oberbürgermeisters der globalisiertesten Metropole Europas ist zwar eine innerparteiliche Kampfansage. Aber als politisches Statement ist sie relevant für ganz Europa.
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