Kommentar Bamf-Affäre: Seehofer, der Chefaufklärer
Der Innenminister inszeniert sich als aufklärende Unschuld. Auch, wenn das nicht ganz ehrlich ist, könnte es ihm letztlich in die Hände spielen.
H orst Seehofer gibt den Chefaufklärer. Gut fünf Stunden hat der Innenausschuss des Bundestages in einer Sondersitzung am Dienstag den Bundesinnenminister und die zuständige Behördenchefin Jutta Cordt zu Missständen im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) befragt. Am Abend steht Seehofer vor den aufgestellten Mikrofonen, spricht von einem „handfesten, schlimmen Skandal“, entschuldigt sich im Namen der Bundesregierung und verspricht „totale Transparenz“. „Alles, was mir bekannt wird, wird auch den Parlamentariern zur Verfügung gestellt.“
Kurz vor der Sitzung hat das Innenministerium den Grünen auf 29 Seiten die Antworten auf ihren zuvor eingereichten Fragenkatalog zugestellt. Zwar bleiben danach auch weiter Fragen offen. Darunter: Warum ist niemand eingeschritten, obwohl es seit langem Hinweise auf Probleme in der Bremer Außenstelle des Bamf gab? Für die Grünen aber ist Seehofers Verhalten ein „richtiger, erster Schritt“. In der Debatte über das richtige Mittel zur Aufklärung hatten sie im Vorfeld betont, dies hänge auch vom Verhalten Seehofers ab. Die schnelle Einsetzung eines Untersuchungsausschusses ist damit unwahrscheinlicher geworden, auch wenn FDP-Chef Christian Lindner am Mittwoch darauf beharrt. Stattdessen soll es zunächst zeitnah eine zweite Sondersitzung des Innenausschusses geben. Es könnten Seehofers Vorgänger Thomas de Maiziére und auch zwei ehemalige Bamf-Chefs geladen werden.
Das macht Sinn. Parlamentarische Untersuchungsausschüsse sind langwierige Instrumente – und bei weitem nicht die einzigen, über die das Parlament verfügt. Es würde Monate dauern, bis ein Untersuchungsausschuss seine Arbeit aufnehmen könnte, Ergebnisse würden erst Jahre später vorliegen. Reformen im Bamf aber müssen schnell erfolgen. Denn die Misstände sind massiv und das gilt nicht nur für die Außenstelle in Bremen, wo Mitarbeiter und Anwälte im Verdacht stehen, Geflüchteten Asyl gewährt zu haben, obwohl es dafür keine rechtliche Grundlage gab.
Seit Jahren ist bekannt, dass das Bamf überfordert ist, weil es zu wenig und nicht ausreichend qualifiziertes Personal gibt, was zudem häufig auf befristeten Stellen arbeitet. Mit Blick auf die hohen Flüchtlingszahlen seit 2015 war es der erklärte Wunsch von Innennministerium und Kanzleramt, die Verfahrensdauern der Asylverfahren zu verkürzen, um die Masse der Anträge bewältigen zu können. Der ehemalige Behördenleiter Weise jagte Unternehmensberater zwecks Effizienzsteigerung durchs Bamf, schließlich ordnete er an, vier Anhörungen sollten im Schnitt pro Tag durchgeführt werden. Das half dabei, Altfälle abzubauen, doch die Qualität der Asylverfahren litt. Die Anzahl der Entscheide, die vor Gericht nicht standhielten, stieg Jahr für Jahr. 2017 lag die Erfolgsquote bei Klagen bei über 40 Prozent. Bei Syrern und Afghanen waren es sogar über 60 Prozent. Seehofers Ankündigung, nun die Qualität der Asylbescheide wieder in den Mittelpunkt zu rücken, sich für mehr Personal einzusetzen und Stellen zu entfristen, ist lange überfällig.
Und doch ist die Inszenierung Seehofers als aufklärende Unschuld falsch. Natürlich liegen die Vorfälle in Bremen weit vor seinem Amtsantritt als Innenminister vor zweieinhalb Monaten. Doch dass es angesichts der hohen Zahlen an Geflüchteten im Bamf an allen Ecken und Ende fehlte, was Konsequenzen haben würde, das muss Seehofer gewusst haben. Schließlich war er als CSU-Chef jahrelang in allen entscheidenden Runden zur Flüchtingspolitik im Kanzleramt dabei. Zudem führt die Union das Innenministerum seit 13 Jahren. Unter den Ministern war von 2011 bis 2013 CSU-Mann Hans-Peter Friedrich. Damals stiegen die Flüchtlingszahlen bereits.
Trotz allem könnte es sein, dass Seehofer die Affäre letztlich in die Hände spielt – nicht nur, weil er den Chefaufklärer geben kann. In der kommenden Woche will der Innenminister seinen „Masterplan Migration“ mitsamt der umstrittenen Ankerzentren vorstellen. Bislang ist die Unterstützung der Bundesländer begrenzt. Je größer aber die Misstände im Asylsystem erscheinen, je größer die Verunsicherung in der Bevölkerung ist, desto größer ist die Bereitschaft der Politik zu Verschärfungen. Zudem steigt der Druck von Teilen der Öffentlichkeit, diese auch durchzusetzen.
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