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Kommentar BVerfG & GeschlechtervielfaltMehr Anerkennung für Intersexuelle

Dinah Riese
Kommentar von Dinah Riese

Das Bundesverfassungsgericht beschließt ein drittes Geschlecht im Geburtenregister. Die Entscheidung ist überfällig und füllt eine Leerstelle.

Jetzt gibt es auch eine dritte Option neben Frau und Mann Foto: dpa

J ahrelang hat die Person, die sich nur als Vanja vorstellt, gekämpft – und schließlich gewonnen. Am Mittwoch beschloss das Bundesverfassungsgericht (BverfG) in Karlsruhe den Eintrag eines drittes Geschlechts im Geburtenregister – also etwa „inter“ oder „divers“. Im August 2016 hatte der Bundesgerichtshof das noch abgelehnt. Offiziell hat Vanja einen eindeutig weiblichen Vornamen. Der aber soll ungenannt bleiben – denn Vanja ist intersexuell.

Dieser Beschluss des BverfG bedeutet nicht nur für Vanja einen entscheidenden Schritt zu mehr Anerkennung, sondern auch für die anderen etwa 80.000 intersexuellen Menschen in Deutschland. Also Menschen, deren körperliche oder genetische Merkmale nicht eindeutig dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zuzuordnen sind.

Die festgefahrene Vorstellung, dass es genau zwei Geschlechter gibt, ist ungebrochen. Ein Mensch soll entweder Mann sein, oder Frau. Doch seit jeher werden Menschen geboren, die in dieses starre Schema nicht passen. Dass diese Menschen irgendwie „falsch“ oder „defekt“ sein sollen, ist die Interpretation einer auf eindeutigen Kategorien beharrenden Gesellschaft. Und so wurden bis in die 2000er-Jahre hinein etwa 90 Prozent der intersexuellen Menschen operiert, um sie an eines der beiden Normgeschlechter anzupassen. So wie sie geboren wurden durften sie nicht bleiben.

Auch im Geburtenregister gab es für diese Menschen lange nur die Möglichkeiten „männlich“ und „weiblich“. Seit 2013 kann man den Eintrag auch leer lassen. Nun sind die 80.000 Menschen, um die es in Deutschland geht, nicht Mann und nicht Frau – aber sie sind auch nicht nichts.

In einer Stellungnahme schrieb der Deutsche Ethikrat im Jahr 2012, intersexuelle Menschen „müssen mit ihrer Besonderheit und als Teil gesellschaftlicher Vielfalt Respekt und Unterstützung der Gesellschaft erfahren.“ Vielen Intersexuellen sei „in der Vergangenheit schlimmes Leid widerfahren“. Auch das BverfG hat schon im Jahr 2005 „das Finden und Erkennen der eigenen geschlechtlichen Identität“ als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts anerkannt – also als Grundrecht, zusammengesetzt aus Artikel 1 und 2 des Grundgesetzes.

Bei der Frage nach einem dritten Geschlecht geht es um mehr, als um ein paar Buchstaben auf Papier; unsere gesellschaftlichen Kategorien bestimmen, wie wir die Welt um uns herum wahrnehmen. Und so bedeutet diese Leerstelle im Geburtenregister: Es gibt in dieser Gesellschaft für Menschen wie euch keine Begriffe – keinen Platz. Ihr müsst aufs Männer- oder aufs Frauenklo. Ordnet euch zu oder macht in die Hose. Es ist letztlich die Weigerung, Menschen so anzuerkennen, wie sie sind.

Es sollte geprüft werden, ob eine Eintragung des Geschlechts im Personenstandsregister überhaupt noch notwendig ist.

Deutscher Ethikrat

Die aktuelle Entscheidung ist also nicht nur konsequent, sondern auch lange überfällig. Sie bietet endlich, wie das BverfG betont, eine „positive“ Alternative zur bisherigen Leerstelle. Im nächsten Schritt könnte man dann eine weitere Empfehlung des Ethikrats aus dem Jahr 2012 aufgreifen: „Es sollte geprüft werden, ob eine Eintragung des Geschlechts im Personenstandsregister überhaupt noch notwendig ist.“ Diesen Vorschlag machte übrigens auch das Bundesverfassungsgericht.

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Dinah Riese
Ressortleiterin Inland
leitet das Inlandsressort der taz. Davor war sie dort seit Oktober 2018 Redakteurin für Migration und Integration und davor von 2016-17 Volontärin der taz Panter Stiftung. Für ihre Recherche und Berichterstattung zum sogenannten Werbeverbot für Abtreibungen, Paragraf 219a StGB, wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Im März 2022 erschien von Gesine Agena, Patricia Hecht und ihr das Buch "Selbstbestimmt. Für reproduktive Rechte" im Verlag Klaus Wagenbach.
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11 Kommentare

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  • Es mag spitzfindig klingen - aber das Bundesverfassungsgericht „beschließt“ nicht „ein drittes Geschlecht im Gebrutenregister“. Es beschloss, dass das Fehlen eines solchen gegen das Grundgesetz verstößt und gebietet damit der Legislative, diesen Missstand zu bereinigen. Relevant ist das weil dieser kleine sprachliche Lapsus meines Erachtens ein Symptom der öffentlichen Perspektive auf das BVerfG ist, das ja in jüngerer Vergangenheit des öfteren Parlament und Regierung in großen politischen Fragen vor sich her treiben musste. Die Formulierung deutet darauf hin und befeuert, dass viele Menschen sich diese Tatsache mit einer steigenden Macht und selbstbewussteren Einflussnahme des BVerfG erklären. Ich hingegen sehe den Grund dafür darin, dass politische Entscheidungen und Versäumnisse in der jüngeren Vergangenheit zunehmend öfter und drastischer gegen das Grundgesetz verstoßen - was selbstverständlich ganz andere Rückschlüsse auf zugrunde liegende gesellschaftliche Prozesse zulässt.

    Hin wie her halte ich es für wichtig, dem Prinzip der Gewaltenteilung durch sprachliche Präzision gerecht zu werden. Nicht zuletzt an dieser Debatte sieht man, dass am weniger reflektierten Ende derselben sonst oft das Problem an der völlig falschen Stelle vermutet wird.

  • 4G
    4845 (Profil gelöscht)

    Wenn diese ominöse dritte Kategorie manche Menschen glücklich macht, dann soll es eben sein. Am Ende ist es eh nur ein Verwaltungsfrage. Und ich wette, das sich dieses dritte Geschlecht dann genauso wie die Frauen durch das Grundgesetz gedeckt vor dem Kriegsdienst drücken dürfen...

    • @4845 (Profil gelöscht):

      Ist es Ihnen tatsächlich entgangen, dass es keinen Zwangswehrdienst mehr gibt? Freiwillig können jedoch auch Frauen und wohl auch Intersexuelle Kriegsdienst leisten.

      • 4G
        4845 (Profil gelöscht)
        @vulkansturm:

        Ist Ihnen tatsächlich die Tatsache entgangen, dass der Wehrdienst nur ausgesetzt und nicht abgeschafft wurde? Der Wehrdienst (für Männer) kann jeder Zeit bei Bedarf wieder eingesetzt werden. Im Grundgesetz Artikel 12a ist nachwievor definiert, dass NUR Männer zum Wehrdienst verpflichtet sind und Frauen nicht zum Dienst an der Waffe verpflichtet werden können.

    • @4845 (Profil gelöscht):

      Menschen sind nicht ominös. Menschen sind nicht eine Kategorie, die jemand ihnen gibt. Menschen sind keine Verwaltungsfrage. Und ja - viele Menschen sind heute glücklich. Schön! Finden Sie doch auch, oder?

       

      Oder?

       

      Ja??

       

      Ja!!! Toll!!! Wie schön, dass Sie sich mit anderen freuen können! Das ist wirklich eine rare Gabe heutzutage.

      • 4G
        4845 (Profil gelöscht)
        @mats:

        "Menschen sind nicht ominös. "

         

        Ich schrieb auch nicht von "ominösen" Menschen sondern von der dritten Kategorie weil diese EIN Sammelbegriff für ganz unterschiedliche (genetische) Ausprägungen der Intersexualität sein wird. Vermutlich wird diese Kategorie auch das weite Feld von Transgender und Transexuelle auch noch gleich mitabdecken.

         

        Aber der Begriff "ominös" ist zugegebenermaßen falsch sondern muss durch "schwer zu definierend" ersetzt werden.

         

        Wenn eine solche Kategorie jedoch von einem betroffenen Personenkreis gewünscht wird und diese Personen auch vor Zwangsoperationen (bei Intersexuellen ein tatsächliches Problem) schützt, dann ist erkenne ich es eben als juristische Notwendigkeit an. Und in diesem Sinne ist es eben doch eine Verwaltungsfrage.

         

        Das sehe ich ganz nüchtern und sachlich denn Toleranz kommt nicht von "toll", dass ich alles toll finden müsste.

      • 4G
        4845 (Profil gelöscht)
        @mats:

        Ich muss mich darüber nicht freuen. Es reicht wenn ich es zur Kenntnis nehme und es toleriere das es Menschen gibt die eine solche dritte Kategorie benötigen oder wollen.

    • 8G
      81331 (Profil gelöscht)
      @4845 (Profil gelöscht):

      ...welch' seltsame Einstellung anderen Menschen gegenüber.

      • 4G
        4845 (Profil gelöscht)
        @81331 (Profil gelöscht):

        Wieso? Ich gönne jenen die es betrifft ja diese dritte Kategorie. Ob es das braucht oder nicht kann und muss ich nicht beurteilen. Schaden tut es meiner Meinung jedenfalls niemandem und wenn es anderen irgendwie nutzt - und sei es nur für deren glückliches Seelenfrieden - spricht nichts dagegen. Ob auf dem amtlichen Papier männlich, weiblich oder "inter" steht ist am Ende eine nur reine Verwaltungsangelegenheit.

  • Wieder kann sich Bürger peinlich ertappt fühlen, dass es bei derlei Offensichtlichem erst eines Verfassungsgerichtsurteils bedarf.

    Und der letzte Satz in Text ist dann allein logisch!

  • Danke für diese Einordnung des Urteils.

     

    "Es ist letztlich die Weigerung, Menschen so anzuerkennen, wie sie sind."

     

    Das halte ich für genau das eigentlich zentrale Problem. Deswegen empfinde ich die bisherige Praxis auch als menschenverachtend. Und so finde ich die abschließende Hoffnung und reproduzierenden Hinweis aus dem Ethikratberichts 2012 der Prüfung, ob eine solche Kategorisierung überhaupt notwendig sei, konsequent und richtig.