Kommentar Antirassismus in Frankreich: Solidarität ohne Spaltung
Der Repräsentativrat der jüdischen Institutionen will weder Le Pen noch Mélenchon beim Gedenken dabei haben. Doch das greift zu kurz.
W er darf sich am Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus beteiligen? Die Frage ist absurd, denn das ist Sache aller und schon gar nicht exklusive Angelegenheit der direkt Betroffenen. Möglichst breite Solidarität ist die einzige wirksame Waffe gegen Diskriminierung und Gewalt. Das sollte gerade in Frankreich, wo antijüdische, antimuslimische oder auch antiasiatische Aggressionen besonders häufig vorkommen, eigentlich selbstverständlich sein.
Trotzdem hat sich nun der Vorsitzende des Repräsentativrats der jüdischen Institutionen (CRIF), Francis Kalifat, für eine selektive Solidarität ausgesprochen: Sowohl Marine Le Pen und ihre Leute vom rechtsextremen Front National (FN) wie auch der linke Jean-Luc Mélenchon von der France insoumise (FI) sind laut dem CRIF-Vorsitzenden bei der Gedenkfeier für die Ende letzter Woche ermordete Jüdin Mireille Knoll „nicht willkommen“. Die Begründung: FN-Gründer Jean-Marie Le Pen war mehrfach wegen antisemitischer Äußerungen oder Verharmlosung des Holocaust (als „Detail der Geschichte“) verurteilt worden. Mélenchon habe mit der extremen Linken zu einem „Boykott Israels“ aufgerufen und den Frankreichbesuch Benjamin Netanjahus gehässig kritisiert.
Damit werden extreme Rechte und radikale Linke auf dieselbe Stufe gestellt. Das ist völlig kontraproduktiv für den Kampf gegen den Rassismus, in dem Mélenchon und Le Pen nicht auf derselben Seite der Barrikade stehen. Kalifat selber musste im Radio einräumen, er habe ja nicht behauptet, dass Mélenchon wegen seiner Haltung zu Israel ein Antisemit sei. Marine Le Pen sucht dagegen seit Langem den Kontakt mit der nationalistischen Rechten in Israel. Natürlich hofft sie so auf einen definitiven Freispruch von den antisemitischen FN-Erbsünden. Das ist so durchsichtig, dass sie gewiss nicht mit Applaus der Antirassisten rechnen darf.
Die antirassistische Solidarität ist ein Anliegen, für das es keine Einladung braucht. Das Engagement jedes Einzelnen allein zählt, nicht die polemische Frage, wer rechts und links mitläuft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands