piwik no script img

Kolumne Vollbart„Du Scheißsalafist!“

Hamburg und München gehen gar nicht. Wer öfter mal wegfährt, lernt Berlin wieder anders kennen - und schätzen.

Haha - Hamburg. Nix wie weg hier. Bild: dpa

I ch liebe Berlin. Das muss auch mal gesagt werden. Jedes Mal, wenn ich die Stadt verlasse, fällt mir auf, wie schön es hier eigentlich ist. Und wenn ich hier bin, hasse ich Berlin natürlich – das muss auch so sein.

Die neue Liebe kommt daher, weil ich diesen Monat zweimal in anderen deutschen Städten war. Hamburg und München.

Um es vorwegzunehmen: Beide Städte gehen nicht – aus unterschiedlichen Gründen und einer Gemeinsamkeit. Beide Städte haben Geld, das habe ich sofort gemerkt. In München anhand der Steppjacken und des Weinstands am Hauptbahnhof. In Hamburg hingegen an dem Meer an weißen Hosen, die die Menschen dort tragen.

Ein großer Unterschied: Hamburg scheint aggressiver zu sein. Als ich dort mit F., B. und P. (ja, alle wieder vereint) die Ausstellung „Tattoo“ im Kunst- und Gewerbemuseum verließ, schrie mir ein Typ etwa drei Minuten lang diesen Satz hinterher: „Du Scheißsalafist!“ Immer und immer und immer wieder. Diesen einen Satz.

Mir war es zu müßig, ihm zu antworten. Ich weiß nicht genau, ob es an meinem Bart, dem langen schwarzen Hoodie oder an den Turnschuhen lag. Hätte er genau hingeschaut, hätte er vielleicht meinen Pullover mit Charlie-Brown-Motiv entdeckt …

Ausgenockt in Hamburg

Gleicher Tag in Hamburg-Eimsbüttel. Wir sind in einem Geschäft. Zwei Typen laufen an mir vorbei und nocken mich gleichzeitig weg, schubsen mich von links und rechts richtig heftig mit Armen und Schultern. Wie es sich gehört, habe ich den ganzen Laden vollgeschrien. Und wer wurde als der Hysterische gelabelt? Ich natürlich. Klar!

Und noch schlimmer: Die Leute sind wahnsinnig larmoyant. Was ich verstehen kann – ich wäre es auch. Jedes Mal, wenn ich sagte, ich sei aus Berlin, bekam mein Gegenüber ganz große Augen und sagte folgenden Satz: „Hier ist alles so langweilig. Die Partyszene in Berlin ist grandios, findest du nicht?“ – „Keine Ahnung, woher soll ich das wissen?“ – „Gehst du nicht ständig ins Berghain?“, fragten sie dann. Ich habe daraufhin gelacht, verächtlich den Kopf geneigt und das Gespräch beendet.

In München ist mir das natürlich nicht passiert. Dort hat mich nur das „Grüß Gott“ aus der Bahn geworfen. Ich kam überhaupt nicht mehr klar. In München sagen die Leute auch nichts zu einem, da sind sie sich schon zu fein für – stattdessen schauen sie komisch. Der Blick scheint zu sagen: „Oh Gott, was hast du uns da in die Stadt gebracht.“

Gelangweilt in München

Ich blicke dann immer zurück und hoffe, die Leute können erkennen, was ich ihnen mitteilen möchte. Nämlich: Keine Sorge, ich bin nur kurz in dieser langweiligen Stadt, in der um 21 Uhr schon kein Mensch mehr draußen ist und alle Eisdielen geschlossen haben. Eine Kugel Pistazie zu bekommen ist ein Ding der Unmöglichkeit – und Spätis sind auch nicht vorhanden.

Und als ob das nicht schlimm genug ist, scheinen selbst die Homo-Bars aus einer anderen Zeit zu stammen. Aber noch nicht einmal so hippe 90er oder so, sondern wirklich schlimm. Das ist Tristesse pur. Mein Freund hat mir auch auf Grindr, Tinder, Scruff und einer neuen Dating-App, die ich nicht kannte, die Auswahl der Männer gezeigt. Ich habe geweint, ihn in den Arm genommen und versucht, ihn zu trösten.

Soll ich noch kurz darüber reden, wie unnötig teuer dort alles ist. Eine Pizza für 13 Euro! Wirklich? Bringt ein Italiener die Zutaten persönlich zu Fuß über die Alpen nach München? Ich denke nicht. Apropos Italiener: Wahrscheinlich wäre alles erträglicher gewesen, wenn L. mit dabei gewesen wäre, war er aber nicht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Enrico Ippolito
Redakteur bei taz2/medien
Jahrgang 1982, ist seit 2011 bei der taz. Seit November 2012 wirkt er als Redakteur bei tazzwei/medien. Zuvor hat er ein Volontariat bei der taz absolviert.
Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Berlin? Also wenn das nicht so weit ab vom Schuss liegen würde, dann könnte ich jetzt vermutlich auch was zur Dikussion beitragen...

  • Und München? Na ja, der Neumünchner (der "originale" Münchner ist nur noch im S-Bahn Bereich des Umlandes zu finden und ein Exemplar im Tierpark Hellabrunn) ist schon ein harter Knochen, der mit zwei unverfänglichen Worten einer ansonsten bedeutungslosen Begrüßungsfloskel sogar den heftigen Enrico aus den Puschen stößt.

    Oder ihn ganz einfach niederschweigt. Das mit den armseligen Schwulenlocations ist aber so auch nicht ganz die Realität. Selbst ich als vor Jahren ausgewanderte Superhete kenne da gute Läden. Keine Spätis? Na, dann laufen wenigsten nicht Horden besoffener Prolls aus ganz Europa mit Bierflasche in der Hand grölend durch die Nacht wie in Germania ("Dette is Berlin, wa! Uns kann keener!"). Pizza für 13€? Tja, wie sang der koksende Konstantin schon vor 30 Jahren: "Bei uns wird konsumiert, schon gar nicht demonstriert...". Berlin kann man sich, wenn man erst mal muss, leisten; München muss man sich erst mal leisten können.

    Apropos Italiener: Es ist ein Vorurteil, dass es (zu) viele Italiener in München gibt. Sie sind gar nicht so zahlreich, sie sind nur so laut.

    So gesehen hättest Du ganz gut dazu gepasst. Vielleicht ist es aber auch gut dass Du wieder zurück nach Berlin gefahren bist.

  • Hey Enrico,

    cosa c'è?

    Hast Du Dir die Frühlingshysterie eingefangen, Deine Notration an Ritalin verloren oder Dich soweit assimiliert dass Du wie der typisch deutsche Tourist außerhalb Deines "Kiezes" so verloren bist wie ein auf dem Rücken liegender Marienkäfer und panisch mit den Flügeln schlagen musst?

    Mann, locker bleiben. Berlin ist Spitze, Restdeutschland Scheiße und du der größte lebende Kolumnist!

    Noch dazu lebst Du in der einzigen bald Profifußball-, de facto S-Bahn- und bis auf weiteres Flughafenlosen Metropole der Welt! Das ist doch Avantgarde pur, oder?

    Dass der Hamburger Dir einen sauberen Tackle zur Begrüßung verpasst ist doch nur Ausdruck tiefer Bewunderung und etwas Neid. Obwohl, an der Profifußballfreien Zone arbeiten sie gerade.

    Auch das holsteinische oder niedersächsische Landei, dass zum ersten Mal in seinem Leben einen Bärtigen ohne Schützenkönigskette sieht und diesen sofort als "Salafisten" identifizieren und denunzieren muss ist doch nur Lokalkolorit (also "Ethno"). Larmoyanz ist nicht so das Ding der Hanseaten. Eher pflegen sie ein dem Berliner total fremdes und unbegreifliches Understatement. Um das selbstgemachte Elbphilharmoniedesaster machen sie z.B. auch nicht so einen Wirbel wie die Berliner um die Bauruine "BER-Franz Schubert" (Die Unvollendete).