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Kolumne Sternenflimmern„Europable“, das Gefühl für Europa

Hanna Voß
Kolumne
von Hanna Voß

Vielen fehlen Emotionen für Europa. Um sie zu entwickeln, könnte ein neues Wort dafür helfen. Vorschläge sind willkommen.

Wenn ich sage, ich fühle mich europable, dann verstehst du, wie ich mich fühle Foto: dpa

B leiben wir noch einen Tag bei Gefühlen. An eben dieser Stelle schrieb meine Kollegin Lin Hierse gestern von fehlenden. Gefühle für Europa haben weder sie, noch andere, die sie gefragt hat. Bei mir ist es genauso. Also habe ich darüber nachgedacht, wie sich das ändern könnte.

Ich bin 28 Jahre alt, lese Zeitung viel lieber gedruckt als am Bildschirm, gucke am Sonntagmittag gerne „Presseclub“ und mag After Eight. Mit dieser geistigen Nähe zum Renteneintrittsalter erkläre ich es mir auch, dass ich sie in den vergangenen anderthalb Jahren vermisst habe, die Wahlwerbespots im Fernsehen. Brotendstücktrocken angekündigt, distanzversichernd, glamourlos bis zum Gehtnichtmehr. So auch am vergangenen Samstag, zwischen, na klar, heute journal und Sportstudio.

Aber dann: Die „Europäische Partei LIEBE“ (EPL) plädiert fast stöhnend für mehr Liebe in der Europäischen Union. Natürlich habe ich erst einmal gelacht. Dann gegoogelt: „Die Liebe ist stärker als das Böse und der Hass, die Liebe muss die Welt regieren!“ steht im Programm.

Grenzüberwindendes Gefühl

Dieses Gefühl kann auch als Platzhalter dienen, bis wir wirklich Gefühle haben

Als ich fertig war damit, mich darüber lustig zu machen, ist mir aber klar geworden, was ich eigentlich schon weiß: dass Liebe das größte grenzüberwindende Gefühl ist, das es gibt. Dass sie sich, da bin ich wirklich sicher, überall auf der Welt gleich anfühlt, also auch in jedem Teil Europas. Ähnliches gilt womöglich für Trauer, Sehsucht oder Mut – doch resultieren diese Empfindungen nicht wiederum alle aus der Liebe? Und wäre es nicht geradezu phänomenal, wenn wir aus der Liebe auch ein europäisches Gefühl speisen könnten? Wenn wir also keine Gefühle für Europa haben, und das scheint ja gesichert, liegt es dann nicht nahe, so ein Gefühl zu erfinden?

Sodass meine Prager Brieffreundin (ja, Brieffreundin, siehe oben) ganz genau weiß, was ich meine, wenn ich ihr schreibe, dass ich mich momentan, sagen wir, produktiv, motiviert und europäisch fühle?

Wobei: Für eine solche Empfindung müssen wir ein tatsächlich neues Wort finden, weil sich auch international tätige CEOs wahrscheinlich sehr oft sehr europäisch fühlen, wenn sie europäisches Geld machen. „Eunig“ – eine Mischung aus EUropa und eiNIG – vielleicht? Mh, Englisch müsste es, trotz Brexit, wohl schon sein. Europable, „Europe“ und „lovable“ kombiniert? Das ginge vielleicht. Weitere Vorschläge sind willkommen, die Idee steht ja noch ganz am Anfang. Und was genau wollen wir damit dann ausdrücken? Eine aus Liebe entstandene Form der Zuneigung, so viel steht fest. Alles weitere: erst mal unwichtig.

Dieses Gefühl kann auch als Platzhalter dienen, bis wir wirklich Gefühle haben. Es kann etwas Diffuses sein, und wenn ich sage, ich fühle mich europable, dann verstehst du, wie ich mich fühle: hingezogen zu Europa und noch irgendwie mehr. Wie du es auch verstehst, wenn ich erzähle, ich bin verliebt. Das ist vielleicht unromantisch, aber: Um Gefühle zu entwickeln, brauchen sie manchmal einfach nur einen Namen.

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Hanna Voß
Reporterin
Volontariat bei der taz, danach Redakteurin der taz am Wochenende. Lebt heute in Beirut, wo sie für die Friedrich-Ebert-Stiftung arbeitet. Kommt ursprünglich aus Dortmund.
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7 Kommentare

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  • misérable & adorable



    kommen aus dem Französischen ;-)



    Liegt daran, dass sich die angelsächsischen Briten von gallo-romanisierten Normannen haben unterwerfen und regieren lassen.



    Also quasi: Französische Norweger und Dänen haben britische Norweger und Dänen kolonisiert.



    L'eurabilité ou plutôt l'europ(é)abilité ou mieux encore l'européisation de cet effet reste limitée.



    Weitere Vorschläge?

  • Du meine Güte! Wieso um alles in der Welt, sollten Menschen Gefühle entwickeln für eine abstrakte Institution? Das wäre doch krank! Haben wir denn nicht schon genug Probleme mit Nationalisten? Müssen wir Leute unbedingt zu Europisten machen, nur weil sie jung und dumm genug sind nicht zu begreifen, wozu ihre Gefühle da sind?

    Wer hat eigentlich gesagt, dass man alles, was man noch nicht hat, haben wollen muss? Ich war das nicht. Ich habe beispielsweise kein Furunkel am Hintern und auch keine Neigung, mir eins wachsen zu lassen. Europa ist eine Organisationsform, mehr nicht. Man muss sie nicht lieben. Man muss sie verstehen, überwachen und kontrollieren, damit man ihr vertrauen kann. Liebe geht definitiv anders.

    Dass „die Liebe […] stärker als das Böse und der Hass [ist]“ und also dringend „die Welt regieren“ muss, kann eigentlich nur jemand glauben, der noch nicht all zu viel Erfahrung damit hat. Liebe und Hass sind nämlich gar kein Gegensatzpaar. Aus falsch verstandener Liebe passiert vermutlich mehr Böses auf dieser Welt, als aus richtig verstandenem Hass. Ja, Liebe kann Grenzen überwinden, die Hass nicht überwinden kann. Auch solche, die sie eigentlich respektieren müsste.

    Wie auch immer. Liebe und Hass haben jedenfalls ein und dasselbe Gegenstück: die Gleichgültigkeit. Die aber regiert schon längst, auch wenn niemand Wahlwerbung für sie gemacht hat. In Brüssel wie überall sonst. Denn der Gleichgültigkeit werden gar nicht erst Grenzen gesetzt, die sie überwinden müsste.

    Was Europa wirklich braucht, ist weder mehr Hass noch mehr Liebe und erst recht nicht mehr Gleichgültigkeit. Europa braucht mehr Vernunft. Leider scheint die zu miefig zu wirken auf von der Werbeindustrie konditionierte Konsumenten aller Altersgruppen. Noch, meine ich. Ihr Fehlen fällt ja kaum auf, weil früher mal mehr davon war.

  • '-able' ist im Englischen /und Französischen) ein gewöhnliches Suffix, etwa wie das deutsche -'bar' in 'machbar', 'lesbar'.



    do -> doable, read -> readable, usw.



    Wenn du sagst, du fühlst dich 'europable', dann verstehe ich so etwas wie 'europäisierbar'. Fühl dich doch einfach 'europäisch', und wenn jemand nachfragt, dann beschreibst du das.

  • Stöhnende Liebe zu Staaten und Staatenbünden

    Zitat: „Die „Europäische Partei LIEBE“ (EPL) plädiert fast stöhnend für mehr Liebe in der Europäischen Union.“

    Gewissermaßen für eine Art Vaterlandsliebe auf supranationalem Niveau, und das auch noch stöhnend (sic!). Das erinnert an den früheren Bundespräsidenten Gustav Heinemann. Auf die Frage, ob er diesen Staat Bundesrepublik denn nicht liebe, lautete die prompte Antwort: "Ach was, ich liebe keine Staaten, ich liebe meine Frau; fertig!" (DER SPIEGEL, 13. Januar 1969)

  • eurable 🙂



    EUropa & formidABLE

    Und an Tagen wo es mal nicht so gut läuft, oder wenn wir uns den Aktivitäten der angelsächsischen noch EU-Bürger zuwenden, switches wir den 2. Teil einfach konsequent ins Englische: miserABLE

    Es böte sich natürlich das englische adorABLE an, aber angesichts Macrons zu würdigenden EU - Bemühungen sollten wir den Franzosen etwas Seelenbalsam zugestehen.

    d'accord?

  • Ich schlage ganz kurz und bündig "europ" vor, aussprechbar wie auch immer es der sprechenden Person am besten von den Lippen geht.

  • Träumereien. Und träumen kann man alles. Aber man sollte darüber die Realität nicht vergessen. Und bei Europa sieht es da eben schlecht aus. Die Gründungsideen von Europa waren ja richtig. Aber man hat versäumt sie in der Realität umzusetzen und später der Realität anzupassen. Das was heute die EU ist funktioniert noch halbwegs als Wirtschaftsgemeinschaft, aber der krampfhafte Versuch einer Wertegemeinschaft findet keine Gemeinsamkeit mehr! Es bleibt nur Geldverteilen!