Kolumne Schlagloch zu Populismus: Dem Volk etwas vormachen
Linkspopulismus, gibt es das? Nö. Es gibt nur Populismus, der sich linker Inhalte bedient. Eine Bewegung nach links könnte als Gegengift dienen.
W enn man es aus dem Bauch heraus erklären wollte, dann wäre „Populismus“ nichts anderes als eine Form von Bewegung gegen Macht und Regierung. Eine, die sich dadurch legitimiert, dass sie auf „die Stimme des Volkes“ hört.
Du kannst, sangen einst die Folksinger gegen die Regierung, allen Leuten für kurze Zeit etwas vormachen. Und du kannst einigen Leuten für immer etwas vormachen. Aber du kannst nicht allen Leuten für immer etwas vormachen. Eine populistische Revolte findet dort statt, wo die Instrumente der Macht dabei versagen, eine offene, gerechte und verlässliche Beziehung zwischen Regierung und Regierten herzustellen. Sie findet natürlich auch dort statt, wo eine Regierung vermeintlich zu wenig für Sicherheit und Ordnung sorgt.
Die populistische Revolte ist weder von vornherein gut noch gar von vornherein demokratisch. So wie die Regierenden stets damit drohen können, den Ausnahmezustand zu verhängen, so können die Regierten stets mit einem populistischen Gegenschlag drohen. Die Möglichkeit einer populistischen Reaktion gehört, zumindest theoretisch, zu den Garantien der Demokratie, wie auch das Widerstandsrecht gegen ihre Gefährdung oder Abschaffung.
Nun aber beginnt der Unterschied. Soll die populistische Reaktion dazu führen, die demokratischen Instrumente zu erneuern, Fehlentwicklungen (wie Korruption, Bürokratie oder soziale Gleichgültigkeit in einem Staat) zu beseitigen, oder soll sie umgekehrt ebendiese Demokratie abschaffen, um ein anderes Regime zu ermächtigen?
Jede Bewegung will auch wieder zur Ruhe kommen
Populismus als Institution ist, wiederum theoretisch, ein Widerspruch in sich selbst. In der Praxis hingegen führt sie dazu, dass die Demokratie technisch nicht mehr allein von Parteien, sondern mehr noch von „Bewegungen“ bestimmt wird, die sich weniger auf Programme und Modelle, dafür mehr auf Bilder und Erzählungen beziehen. Jede Bewegung, so viel weiß man aus der Physik, will aber auch wieder zur Ruhe kommen. Sie wird Richtungen ändern, neue Bewegungen auslösen. Populismus muss also entweder zu einer „verbesserten“ Stabilisierung der Demokratie führen oder zu einer Auflösung.
Ist also der Populismus, mit dem wir es derzeit in Europa und anderswo zu tun haben, noch mit einer populistischen Reaktion im Sinne der Gegenbewegung gegen Ungerechtigkeit und Entfremdung zwischen Regierung und Regierten zu vergleichen? Einige Exponenten dieser Reaktion haben es ja tatsächlich in die Regierungen geschafft und sehr deutlich gezeigt, was geschieht, wenn aus einer solchen Reaktion eine Institution wird. Es entstanden Regierungen, die zwar für sich in Anspruch nehmen, „in Volkes Stimme“ zu sprechen, die aber demokratisch nicht mehr kontrolliert werden können und die demokratische Opposition verfolgen. Könnte man tatsächlich so etwas von links statt von rechts wollen?
Unter einem linken Populismus könnte man sich zunächst eine „Sammlungsbewegung“ vorstellen, in der, statt auf theoretische Modelle, politische Überzeugungen und moralische Gewissheiten zu setzen, nun eben eine Idee davon tritt, „auf das Volk zu hören“ und daher Konflikte untereinander möglichst klein zu halten oder auf später zu verschieben, weniger von Ideologie und Utopie zu sprechen als von „Sorgen und Nöten“, und vor allem eine gemeinsame Sprache zu entwickeln. Schon da, wir wissen es, wird es gefährlich. Denn „das Volk“, auf den sich jede Art von Populismus bezieht, existiert ja nicht, es wird durch Sprache, Bild und Erzählung geformt.
Es geschieht auf selbstverstärkende Weise, es soll vor allem die demokratische Zivilgesellschaft als Basis von Regierungshandeln ablösen. In den Institutionen, die Volkes Stimme empfangen, verstärken und umwandeln, wird aus einer kollektiven Reaktion eine ideologische (manchmal auch materielle) Droge, die, wie es bei Drogen so der Fall ist, nach immer mehr und immer stärkeren Dosen verlangt. So mag es, im Notfall einer kranken Demokratie, zwar eine populistische Reaktion von links geben, aber keinesfalls eine „linkspopulistische“ Bewegung. Die dauerhafte Ersetzung von Diskurs, Kritik und Debatte durch Emotion, Bild und Mythos lassen „Linkspopulismus“ absurd erscheinen.
Potenzial der Faschisierung in populistischen Bewegungen
Die Inauguration jener Empfänger und Verstärker von „Volkes Stimme“ als fundamental antidemokratische Führer der populistischen Bewegungen, die sich über alle gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Regeln hinwegsetzen. Die Umwandlung von „Volk“ als Ensemble der (unzufriedenen) Regierten in eine mythische Gemeinschaft, die sich als „Wir“ gegen „die anderen“ definiert und diese anderen als Projektionsfläche für Aggression und Verachtung ansieht.
Jede populistische Bewegung trägt das Potenzial ihrer Faschisierung in sich, denn nur durch sie bleibt sie in Bewegung, nur durch sie wird aus der populistischen Reaktion ein neues Machtkonstrukt, das sich eben aus ihr legitimiert. Um wieder die Physik zu bemühen: Um in Bewegung zu bleiben, werden neue Energien benötigt. Während man vorgibt, auf die Stimme des Volkes zu reagieren, schafft man die Kontrollmöglichkeiten und demokratische Instrumente ab, entzivilisiert man die Gesellschaft, erzeugt das Chaos, vor dem man zu warnen nicht müde wird.
Die populistische Regierung in Italien, nur zum Beispiel, demonstriert an der medialen Oberfläche vor allem ihre unmenschliche Härte gegen Menschen auf der Flucht, doch zur gleichen Zeit werden Antikorruptionsgesetze abgeschafft, wird die Militarisierung der Politik vorangetrieben, werden die Regularien für den Waffenbesitz fundamental verändert.
Es gibt Populismus, der sich linker Inhalte und Begriffe bedient. Es gibt Linke, die sich des Populismus bedienen. Aber einen „Linkspopulismus“ gibt es nicht. Der Populismus ist eine Kraft, die das Linke zersetzt, von außen wie von innen. Vielleicht gilt auch die Umkehrung: Nur durch eine Bewegung nach links kann der Populismus als Todkrankheit der Demokratie überwunden werden.
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