Kolumne Rollt bei mir: Gebt den Kindern das Kommando

Ich mag Kinder, die mich nach meinem Rollstuhl fragen. So kommen wir ins Gespräch. Also liebe Eltern: Schleift sie doch nicht immer weg.

Mutter mit zwei Kinder an der Hand steht an der Straße

Zieht doch die Kinder nicht immer davon. Lernen kann man auch im Gespräch Foto:

„Jetzt schau da nicht so hin und komm mit“, sagt die Mutter und zerrt ihre Tochter schnell in den Supermarkt – an mir vorbei. Kinder gucken immer und überall hin, ihre Neugier ist grenzenlos.

Ich nehme es ihnen nicht übel, wenn sie mich und meinen Rollstuhl anschauen. Sieht man ja nicht so oft in freier Wildbahn. Menschen mit Behinderung werden in diesem Land nämlich noch viel zu häufig in irgendwelchen Einrichtungen geparkt.

Kinder stellen sich neben mich und fragen dann: „Was hast du?“ Und dann kann ich ihnen in Ruhe erklären, ‚was ich habe‘; einen Rollstuhl zum Beispiel. Wir unterhalten uns, bis die Eltern heraneilen.

Diese ziehen ihre Schützlinge dann schnell vom Ort des Geschehens ab, peinlich berührt packen sie die Hand ihres Kindes und reißen uns aus dem Gespräch. Dabei war ich gerade dabei zu sagen: „Meine Beine funktionieren nicht so wie deine, deshalb brauche ich diesen Rollstuhl.“

Superschlau

Kinder probieren auch gerne meine Krücken aus. Sie tun dann so, als hätten sie sich ein Bein gebrochen und humpeln mit ihnen davon. Was daran so toll ist, das Bein hinter sich her zu schleifen und dabei theatralisch zu stöhnen, weiß ich nicht, aber sie werden sich schon etwas dabei denken.

Ein Mädchen sagte einmal zu mir: „Deine Krücken sind toll. Ich will die auch haben.“ Dann überlegte sie kurz und sagte „Ach nee, dann wären meine Beine auch krank. Das wäre doof.“ Ich hab schon Eltern gehört, die dann superschlau einwarfen: „Kind, das nennt man Unterarmgehstützen“, aber ich finde, dass das ein Wort für Scrabblespiele ist.

Schade, dass manche Eltern solche Situationen nicht zulassen. Wahrscheinlich denken sie, mir sei es unangenehm, auf meine Behinderung angesprochen zu werden. Natürlich gibt es dämliche Fragen, aber die wurden mir bisher ausschließlich von Erwachsenen gestellt.

Eltern, die keine Fragen zulassen, verbauen ihren Kindern die Möglichkeit, mit behinderten Menschen unbeschwert umzugehen. Genau jener Umgang, der den Eltern meistens fehlt.

Business as usual

Stinknormale Gespräche, Beziehungen und Begegnungen im Alltag wären schön. Kinder haben diese Gabe, alles von Anfang leicht zu nehmen. Zu fragen, was ihnen auf der Zunge liegt, die Antworten zu verarbeiten und dann ins Business as usual umzuschalten.

Wenn es nach Kindern ginge, bräuchten wir dieses ganze Inklusionsdebatte nicht. Dann bräuchten wir niemanden, der sagt, ‚Jetzt macht doch mal ein inklusives Projekt in der Nachbarschaft. Irgendetwas mit Sport oder Basteln. Und wenn ihr da noch 50 Prozent Behindertenquote habt, kriegt ihr ein Teil eurer Investition vom Staat zurück‘.

Für Inklusion muss es hierzulande immer noch zu häufig finanzielle Anreize und verordnete Quoten geben. Freiwillig machen es zu wenige. Was für eine scheiß Kosten-Nutzen-Rechnung, wo es doch verdammt noch mal um Menschen geht, um Menschen wie Du und Ich. Du und ich – und schon wäre die „Quote“ geschafft.

Also, liebe Eltern, bleibt das nächste Mal einfach mit eurem Kind stehen. Dann unterhalten wir uns nämlich schon zu dritt.

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Judyta Smykowski, geboren 1989 in Hamburg, Studium des Onlinejournalismus und Kulturjournalismus in Darmstadt und Berlin, arbeitet als Texterin und Referentin beim Berliner Sozialhelden e.V. und als freie Redakteurin bei der taz. In ihrer Kolumne schreibt sie über das Leben mit Rollstuhl und den Umgang der Gesellschaft mit behinderten Menschen.  

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