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Kolumne Rollt bei mirGebt den Kindern das Kommando

Kolumne
von Judyta Smykowski

Ich mag Kinder, die mich nach meinem Rollstuhl fragen. So kommen wir ins Gespräch. Also liebe Eltern: Schleift sie doch nicht immer weg.

Zieht doch die Kinder nicht immer davon. Lernen kann man auch im Gespräch

Jetzt schau da nicht so hin und komm mit“, sagt die Mutter und zerrt ihre Tochter schnell in den Supermarkt – an mir vorbei. Kinder gucken immer und überall hin, ihre Neugier ist grenzenlos.

Ich nehme es ihnen nicht übel, wenn sie mich und meinen Rollstuhl anschauen. Sieht man ja nicht so oft in freier Wildbahn. Menschen mit Behinderung werden in diesem Land nämlich noch viel zu häufig in irgendwelchen Einrichtungen geparkt.

Kinder stellen sich neben mich und fragen dann: „Was hast du?“ Und dann kann ich ihnen in Ruhe erklären, ‚was ich habe‘; einen Rollstuhl zum Beispiel. Wir unterhalten uns, bis die Eltern heraneilen.

Diese ziehen ihre Schützlinge dann schnell vom Ort des Geschehens ab, peinlich berührt packen sie die Hand ihres Kindes und reißen uns aus dem Gespräch. Dabei war ich gerade dabei zu sagen: „Meine Beine funktionieren nicht so wie deine, deshalb brauche ich diesen Rollstuhl.“

Superschlau

Kinder probieren auch gerne meine Krücken aus. Sie tun dann so, als hätten sie sich ein Bein gebrochen und humpeln mit ihnen davon. Was daran so toll ist, das Bein hinter sich her zu schleifen und dabei theatralisch zu stöhnen, weiß ich nicht, aber sie werden sich schon etwas dabei denken.

Ein Mädchen sagte einmal zu mir: „Deine Krücken sind toll. Ich will die auch haben.“ Dann überlegte sie kurz und sagte „Ach nee, dann wären meine Beine auch krank. Das wäre doof.“ Ich hab schon Eltern gehört, die dann superschlau einwarfen: „Kind, das nennt man Unterarmgehstützen“, aber ich finde, dass das ein Wort für Scrabblespiele ist.

Schade, dass manche Eltern solche Situationen nicht zulassen. Wahrscheinlich denken sie, mir sei es unangenehm, auf meine Behinderung angesprochen zu werden. Natürlich gibt es dämliche Fragen, aber die wurden mir bisher ausschließlich von Erwachsenen gestellt.

Eltern, die keine Fragen zulassen, verbauen ihren Kindern die Möglichkeit, mit behinderten Menschen unbeschwert umzugehen. Genau jener Umgang, der den Eltern meistens fehlt.

Business as usual

Stinknormale Gespräche, Beziehungen und Begegnungen im Alltag wären schön. Kinder haben diese Gabe, alles von Anfang leicht zu nehmen. Zu fragen, was ihnen auf der Zunge liegt, die Antworten zu verarbeiten und dann ins Business as usual umzuschalten.

Wenn es nach Kindern ginge, bräuchten wir dieses ganze Inklusionsdebatte nicht. Dann bräuchten wir niemanden, der sagt, ‚Jetzt macht doch mal ein inklusives Projekt in der Nachbarschaft. Irgendetwas mit Sport oder Basteln. Und wenn ihr da noch 50 Prozent Behindertenquote habt, kriegt ihr ein Teil eurer Investition vom Staat zurück‘.

Für Inklusion muss es hierzulande immer noch zu häufig finanzielle Anreize und verordnete Quoten geben. Freiwillig machen es zu wenige. Was für eine scheiß Kosten-Nutzen-Rechnung, wo es doch verdammt noch mal um Menschen geht, um Menschen wie Du und Ich. Du und ich – und schon wäre die „Quote“ geschafft.

Also, liebe Eltern, bleibt das nächste Mal einfach mit eurem Kind stehen. Dann unterhalten wir uns nämlich schon zu dritt.

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Judyta Smykowski, geboren 1989 in Hamburg, Studium des Onlinejournalismus und Kulturjournalismus in Darmstadt und Berlin, arbeitet als Texterin und Referentin beim Berliner Sozialhelden e.V. und als freie Redakteurin bei der taz. In ihrer Kolumne schreibt sie über das Leben mit Rollstuhl und den Umgang der Gesellschaft mit behinderten Menschen.  
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1 Kommentar

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  • Wie schade, dass es nicht mehr Menschen wie Judyta Smykowski gibt, Menschen, die so offen umgehen mit der Neugierde von Kindern.

     

    Als Mutter weiß man vorher nie genau, was man erwarten darf bzw. muss. Die meisten Leute wollen tatsächlich nicht reden über ihre kleineren und größeren Probleme, fürchte ich. Auch in der taz hab ich schon Texte gelesen, die mich haben wissen lassen, dass es nervt, immer und immer wieder dieselben Fragen zu beantworten. Ich verstehe das. Schade finde ich es trotzdem. Es zementiert unschöne Zustände.

     

    Wie auch immer. Das Risiko ist jedenfalls nicht grade klein, schroff abgewiesen zu werden, wenn man sein Kind nicht "fest im Griff" und "gut erzogen" hat. Vielleicht hat das mit dem Faible unserer Konsum-Gesellschaft für Perfektionen aller Art zu tun. Selbst Gurken müssen optimal geformt sein, sonst lassen sie sich nicht so richtig gut verkaufen. Das Beste ist den meisten Kunden gerade gut genug für ihr schwer verdientes, knappes Geld. Ich fürchte, das färbt früher oder später auf ihr Menschenbild ab.

     

    Nein, niemand ist perfekt. Ganz theoretisch würden auch fast alle Leute diesen Satz unterschreiben. Nur wenn’s konkret und praktisch wird, wenn sie selbst sagen sollen, wo ihre Unzulänglichkeiten und ihre Schwächen liegen, dann sollen doch lieber die anderen zuerst… Im gegenzug ist man auch gern bereit, die Augen und die Ohren zuzuklappen und so zu tun, als gäb es keine Unterschiede. Dabei sind es doch grade sie es, die uns einmalig machen. Und will einmalig sein nicht jeder?