Kolumne Minority Report: Willkommen in Shithole-Country
Die New York Times empfiehlt, nach Westdeutschland zu reisen – und Ostdeutschland zu meiden. Vier Gründe, warum von beiden Zielen abzuraten ist.
D ie New York Times hat gerade wieder ihre jährliche Liste der „52 Places To Go“ veröffentlicht. Für jede Woche im Jahr empfiehlt die US-Zeitung ihren Leser*innen ein Reiseziel, diesmal sind zum Beispiel dabei: Sevilla, die Karibik, Estland – und Westdeutschland. Ja, Sie haben richtig gelesen. Im Original heißt es so: „Germany’s Western States“.
Während seltsam kreative Gründe für eine Westdeutschlandreise aufgeführt werden (Ehe für alle, Eiszeit-Höhlen bei Ulm, Atomausstieg, „teutonische Toleranz“??), wird das Ausklammern von Ostdeutschland nicht einmal begründet. Nur die beiläufige Anmerkung, dass es mit dem Einzug der Rechtsextremen in den Bundestag zu „Rückschlägen“ („setbacks“) in der Migrationspolitik kommen könne, lässt Interpretationsraum. Ich biete mich gerne an, den Eintrag zu ergänzen, mit vier Gründen, weshalb 2018 Reisenden, und zwar vor allem People of Color, sowohl von Ost- als auch Westdeutschland abzuraten ist.
1. Zwei Tage vor Silvester wurde im sächsischen Plauen ein Mehrfamilienhaus in Brand gesteckt, das vornehmlich von Roma-Familien bewohnt wurde. 19 Menschen wurden verletzt, 14 obdachlos. Laut Staatsanwaltschaft Zwickau sollen Anwohner die Einsatzkräfte während der Löscharbeiten beschimpft und körperlich angegriffen haben. Außerdem hätten sie mehrfach laut gerufen, man solle die Bewohner des angezündeten Hauses verbrennen lassen. Einer Zeugenaussage zufolge rief ein Nachbar „Sieg Heil“.
Teutonische Toleranz, my ass
2. In der Nacht zum 1. Januar haben vier Männer und zwei Frauen eine Flüchtlingsunterkunft in Cottbus gestürmt und haben auf mehrere Bewohner*innen eingeprügelt. Zeugenaussagen zufolge soll das Wachpersonal untätig dabei zugesehen und erst verspätet Einsatzkräfte alarmiert haben.
3. In Dresden haben am 9. Januar mehrere Personen eine 19-jährige Äthiopierin auf der Straße beschimpft. Sie sollen einen Hund auf die junge Frau losgelassen haben, der sie von hinten anfiel und zu Boden riss. Die junge Frau wurde gebissen und erlebte einen Schock. Erst Passanten haben die Hundehalterin dazu gebracht, das Tier zurückzurufen. Die Polizei sucht Zeugen.
4. Statt sich mit diesen offensichtlich rassistischen Angriffen binnen weniger Tage auseinanderzusetzen, ziehen es Ost- wie Westdeutschland vor, darüber zu diskutieren, inwiefern das Löschen von Fascho-Tweets die Meinungsfreiheit einschränkt – und wie sich das Vermessen „fremder“ Körper institutionalisieren lässt. Teutonische Toleranz, my ass.
Wer sich davon nicht irritieren lässt und sowieso Katastrophentourismus zum Hobby hat, soll ruhig Höhlengucken kommen. Frei nach dem Amerikanischen: Willkommen in Shithole Country!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen