Kolumne Lügenleser: Hallo, Victimshaming!
Eine „Zeit“-Autorin rät Frauen, sich abzuschminken, um sexueller Gewalt vorzubeugen. Am besten schlüpfen sie gleich noch in Mao-Uniformen.
I ch liege im Bett und massiere mir die Kissenfalten aus dem Gesicht, während es im Nebenzimmer schon geschäftig klappert. Meine Freundin muss früher aufstehen, Tag für Tag.
Nicht etwa weil sie dauernd trödelt oder immer alles verlegt (Biete diese Klischees plus dazugehöriger Gags allerdings gerne Mario Barth für sein nächstes, saudummes Bühnenprogramm an), sondern weil sie sich schminkt. Das mag unfair erscheinen. Ginge es nach einem jüngst erschienenen Text in der Zeit, ist damit aber eh Schluss.
In dem Artikel fordert die Soziologin Barbara Kuchler: Frauen, lasst das Schminken sein. Aus der #metoo-Debatte soll ein #ohnemich-Diskurs werden. Ich lese laut vor, während vor dem Spiegel nebenan die Wimperntusche eingesetzt wird: „Wer morgens vorm Spiegel den Eyeliner zückt, malt mit an der schönen Seite einer gesellschaftlichen Ordnung, deren hässliche Seite das Grapschen und Einsammeln von Frauen als Jagdtrophäe ist“ (Hallo, Victimshaming!).
Oder: „Modemacher: Symmetrisiert die Frauen- und Männermode!“ (Hallo, Mao-Uniform!). „Politiker, Frauenminister: Droht mit der Regulierung der Modeindustrie“ (Hallo, Diktatur!). Aus dem Wohnzimmer schnaubt es erstmals empört.
Die Journalistin übernimmt
Unpassender als ein Mann, der Frauen erklärt, was Feminismus ist und was nicht oder wie sich Frauen zu fühlen haben, ist höchstens ein Pitbull auf dem Kinderspielplatz (Empörte Hundeliebhaber in 3, 2, 1 …). Also wird nun die Journalistin die Feder übernehmen, die sich soeben fertig geschminkt hat und nebenbei noch meine Partnerin ist.
Dank eines Exklusivvertrags mit einem anderen Medium darf ihr Name hier nicht erscheinen. Trotzdem eine Win-win-Situation, sie ist jetzt eh schon wütend, ich dagegen bin fein raus und kassiere auch noch die volle Summe für diese Kolumne. Los geht’s.
Auch wenn ich emotionalisierte Debatten für schwachsinnig halte, kam ich nicht umhin, emotional zu werden und im folgenden auch emotional zu schreiben – bin halt eben auch eine Frau, die auch noch dazu gerade ihre Periode hat (Hallo, Mario Barth!).
Frauen sollen handeln
Es sind Positionen wie die von Frau Kuchler, die ein gesellschaftliches Klima befördern, das es Frauen doppelt schwer macht, sich zu wehren. Ich bin es leid, dass jedes Mal, wenn es darum geht, männliches Fehlverhalten zu ändern, es die Frauen sind, die zum Aktionismus aufgerufen werden. „Kleidet euch so und so“, „Geht doch zur Polizei“ oder jetzt eben „Schminkt euch nicht mehr, dann wird alles gut.“
„Die deutsche Frau schminkt sich nicht“ war früher schon keine gute Idee (Hallo, Nationalsozialismus!) und ich bezweifle, dass ein Make-up-freies Gesicht auch nur eine Frau damals vor männlichen Übergriffen bewahrt hat (Hallo, Rote Armee Fraktion!), Statistiken bezüglich sexueller Übergriffe, etwa von Frauen im Mao-Regime, zu finden wird schwierig.
Das einzige Mittel, das in der Zukunft eine #metoo-Kampagne überflüssig machen wird, ist, unsere Männer, Brüder, Söhne dazu zu erziehen, Frauen als Menschen zu betrachten und nicht als eine Biomasse, die eine Uniform oder Mascara trägt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Schraubenzieher-Attacke in Regionalzug
Rassistisch, lebensbedrohlich – aber kein Mordversuch