Kolumne Lügenleser: Wo die wilden Antideutschen wohnen
Menschen freuen sich, wenn Ereignisse in ihr Weltbild passen. Über Antifa-Orks, die Elfen-Buchläden angreifen und andere Unwahrheiten.
E s gibt Menschen, die freuen sich, wenn Dinge passieren, die in ihr Weltbild passen. Bei jeder neuen Gewalttat hofft der Internet-Experte, dass es sich um einen Täter aus dem gegnerischen Lager handelt.
Es gibt andere Menschen, die einfach gerne Unwahrheiten verbreiten oder sogar absichtlich lügen, um ihr Gegenüber schlecht dastehen zu lassen. Soweit das vermeintliche Fußvolk.
Es gibt auch Autoren, die einen Heidenspaß daran haben, ihre Legitimation aus dem Streit mit anderen Autoren zu ziehen. Da wird sich dann über Wochen ein Thema herausgepickt und eine Kolumne nach der anderen geschrieben, warum die eigene Meinung die richtige ist und die anderen blöde Besserwisser sind.
Und es gibt Autoren, die gerne Unwahrheiten schreiben, um eine bessere Story zu haben, welche dann von den Internet-Experten der jeweiligen Couleur fröhlich aufgegriffen und verbreitet wird. Wenn all das zusammen kommt, dann hat man es oft mit der Welt zu tun. Aber der Reihe nach.
Was wäre der Autorin am liebsten?
Was ist passiert? Ein Buchladen in Berlin-Neukölln musste schließen. Es gibt ein unstrittiges, innerlinkes Problem mit Antisemitismus. Im Internet wird oft und gerne gepöbelt, google it.
Was passiert daraufhin?
Hannah Lühmann schreibt in der Welt einen Artikel, in dem behauptet wird, wildgewordene Antideutsche und „Die Antifa“ (e. V.-Antrag liegt noch bei Jutta Ditfurth im Wahnwichtel-Ordner) vertreiben die Enkel von Holocaust-Überlebenden, weil diese das Werk des „italienischen Kulturphilosophen Julius Evola diskutieren wollten“.
Was wäre der Autorin und dem Internet-Pöbler am liebsten? Links-grün-versiffte PDS-Stalinisten beschießen zusammen mit Antifa-Orks den Buchladen von elfenhaften Neugeborenen mit Tofu-Felsen aus riesigen Katapulten, welche von Bündnis90/Die Grünen finanziert wurden. Die Überlebenden werden in sexuelle Umerziehungs-Camps geschickt, in denen niemand mehr ein spezifisches Geschlecht haben darf.
Dass der Betreiber der Presse gegenüber mehrmals deutlich macht, dass es keinen Boykottaufruf gab, ist zweitrangig. Dass der Buchladen ganz subjektiv betrachtet, ziemlich langweilig und schlecht besucht war, ebenfalls. Auch, dass der „Kulturphilosoph“ ein Faschist war, wird in vielen Artikeln, denen Lühmanns Text als Blaupause dient, kaum bis gar nicht erwähnt.
Alt-Right. Ups!
Das Wichtigste allerdings und der Grund für die harsche und teils saublöde Kritik von irgendwelchen Internet-Larrys mit Antifa-Profilfoto, spielt gar keine Rolle: Nämlich wer bei der Veranstaltung als Referent auftreten sollte. Es handelte sich um einen US-Amerikaner namens DC Miller, seines Zeichens Alt-Right-Protagonist. Uups!
Fazit: Ein kalkulierter Skandal sorgt also für Kritik im Internet (OMG!) und der Besitzer beschließt, nach einer längeren finanziellen Durststrecke mache es nun auch persönlich keinen Spaß mehr, den Laden zu betreiben.
Fazit zwei: Dieser Text beinhaltet einen Angriff auf eine Kollegin und hat ein paar Unwahrheiten mit eingebaut, um die Story besser klingen zu lassen.
(Spoiler: Es gibt keine Antifa-Orks).
Guck Mama, ich bin jetzt auch Kolumnist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Fragestunde mit Wladimir Putin
Ein Krieg aus Langeweile?
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin