Kolumne Geht’s noch?: Ganz alter Präsident
Befreit von der Last des Amtes, kann Joachim Gauck vom Leder ziehen: Ursache von Rassismus sei nicht der Rassist, sondern der sogenannte Fremde.
G erade noch haben wir uns gefreut, Joachim Gauck endlich los zu sein. Nun schleicht er noch mal um die Ecke, um all das zu sagen, was zu sagen ihm sein Posten als Bundespräsident jahrelang verbot. Denn der ist ja bekanntlich qua Jobprofil dazu verpflichtet, möglichst überflüssig und laid-back in seinem Schlösschen abzuhängen. Gauck freute sich schon bei der Bambi-Verleihung im Herbst darüber, „nicht mehr jede Äußerungen bis ins Detail abwägen zu müssen“.
Also packt er endlich aus. In der Heimat-Sonderausgabe der Bild lässt sich Gauck nicht nur im Stil der guten alten TV-Spots für Lebensversicherungen an einem windigen Strand ablichten, er äußert sich auch zu den ganz dringenden Themen dieses Landes: institutioneller Rassismus, bezahlbarer Mietraum, die immer weiter auseinanderklaffende soziale Schere.
Spaß. Es geht natürlich darum, wie schön die Ostsee duftet, wie toll Gauck den Heimatbegriff findet und wie over die NS-Zeit ist: „Es war und ist überfällig, den Begriff vom früheren politischen Missbrauch zu befreien. Deutschland brauchte […] eine Erholung […]. Die ist inzwischen gut und weit gediehen.“
Keine falsche Rücksichtnahme
Nicht ganz so erholsam findet der Expräsident allerdings „Menschen, die seit Jahrzehnten in Deutschland leben, sich nicht auf Deutsch unterhalten können und keine Elternabende ihrer Kinder besuchen“. Da sei es doch verständlich, dass viele Deutsche sich nicht mehr zu Hause fühlten, sondern sich „überfremdet“ vorkämen. Und das dürfe man ja wohl noch ganz entspannt sagen: „Es darf keine falsche Rücksichtnahme geben, weil man fürchtet, als Fremdenfeind zu gelten.“
Entschuldigung, als Fremden- was? Nun gut, schon klar, dass 128-Jährige nicht mehr mitkommen, wenn von hauls und von shade die Rede ist. Aber kann es sein, dass ein Mensch, der bis zum vergangenen Jahr noch Bundespräsident war, nicht weiß, was Rassismus ist? Und dass „Fremdenfeindlichkeit“ als keine angängige Bezeichnung mehr gilt, weil sie das Problem verharmlost und verzerrt, indem sie annimmt, Ursache der Gewalt sei, dass das Opfer fremd sei (was immer das bedeutet), und nicht, dass der Täter ein Rassist ist?
Ja, offensichtlich kann es sehr gut sein. Und am Ende des Bild-Interviews treibt einen nur noch eine merkwürdige Sehnsucht nach einer Zeit um, in der Joachim Gauck noch Bundespräsident war. Es war so viel schöner, als er noch in Bellevue chillte. Denn damals hat er wenigstens weniger gesprochen, und das war nun mal wirklich Wellness pur.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“