Kolumne Flimmern und Rauschen: Kampagnenjournalismus auf britisch
Mit Titelseiten die Politik vor sich hertreiben, Premiers zu Statements aus dem Urlaub zwingen: Die englischen Tabloids haben's drauf!
A uch wenn der englische Sommer gerade eine kleine Pause einlegt, ist beim alten Katz-und-Maus-Spiel zwischen Medien und Politik natürlich keine Unterbrechung geplant. Und wer meint, die Bild sei immer noch kampagnenfähig (sorry, Julian!), dem sei der Blick auf die hiesigen Blätter empfohlen.
Ein bisschen Erholung gibt es immerhin für Premierministerin Theresa May – allerdings nicht, weil bei ihr mal was gut läuft, sondern weil sich aktuell gleich zwei ihrer Lieblinge darin überbieten, sich in den eigenen Fuß zu schießen.
Den Anfang machte ihr Ex-Außenminister Boris Johnson mit seinem Burka-Vergleich. Vollverschleierte Frauen sähen aus wie Briefkästen, hatte Johnson vergangene Woche beschieden, was angesichts der roten, runden Sammelstationen der Royal Mail nicht nur ein bisschen schief ist. Vermutlich meinte er Mülltonnen, hat sich das dann aber doch nicht zu sagen getraut. Seitdem fallen die Medien – zu Recht – über den blonden Hünen her und zerren alle RepräsentantInnen muslimischer Organisationen oder anderer Religionen hervor, die nicht vorsichtshalber in Urlaub gefahren sind.
Nur eine bleibt auffällig stumm in der Causa Johnson: die Daily Mail. Denn das immer weiter nach rechts driftende Blatt, das eigentlich gar nicht zu den schlimmen „Tabloids“ gehört, sondern den „Mid Market“ der britischen Presselandschaft anführt, hält Boris Johnson schon für den nächsten Premierminister. Und macht deshalb Jagd auf jemand anderen, der stets verlässlich den eigenen Fuß trifft.
Niedergelegte Kränze
Labour-Chef Jeremy Corbyn hat gerade erst und noch immer nicht richtig die Antisemitismus-Kontoverse vom Hals, da steht er schon wieder mitten in den Erbsen. Fünf Tage lang trommelte die Daily Mail mit einer eher kleinen Geschichte gegen ihn: Corbyn hatte 2014 in Tunesien an einer Gedenkfeier für 1985 bei einem israelischen Angriff auf Tunis umgekommene Palästinenser teilgenommen und einen Kranz niedergelegt.
Neben der Gedenkstätte für diese Opfer befinden sich aber auch Gräber hoher PLO-Funktionäre, die mit dem Attentat auf die israelische Olympiamannschaft bei den Spielen 1972 in München zu tun gehabt haben sollen.
Am Samstag hatte die Mail bereits ein Foto aufgetrieben, dass Corbyn in Tunesien mit einem Kranz zeigte. Auch wenn das Blatt seitdem tapfer den entsprechenden Friedhof vermaß und in seiner Dienstagsausgabe auf sechs Seiten zur Jagd blies, wollte zunächst niemand so recht einsteigen. Dafür sorgte erst Corbyn selbst. Am Dienstagabend sagte er: „Ich war bei der Kranzniederlegung dabei, habe aber, glaube ich, keinen Kranz abgelegt.“
Womit er nun wieder unbestritten in Sachen Titelseiten führt. Theresa May kann weiter beruhigt Urlaub machen.
Steffen Grimberg (früher taz, NDR und ARD, jetzt MDR) bringt jeden Mittwoch Unordnung in die aufgeräumte Medienwelt.
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