Kolumne Die eine Frage: Ministerium für Ohnmacht
Er macht es nicht, obwohl er es machen will: Was bedeutet es, dass Daniel Cohn-Bendit nicht Frankreichs Umweltminister wird?
D ie Eintracht hatte gerade verloren, als am Samstagnachmittag in einem Wohnzimmer in Frankfurt das französische Mobiltelefon von Daniel Cohn-Bendit vibrierte. (Ich dachte, ich gönn' uns mal 'nen Spiegel-Einstieg.) Präsident Macron rief an, um sich mit seinem Berater in einer brisanten Personalfrage auszutauschen. Sie lautete: Soll Cohn-Bendit französischer Umweltminister werden?
Er wird es nicht, das ist seit Anfang der Woche bekannt, aber die Frage lautet: Was bedeutet das?
Um die Dimension des Vorgangs verstehen zu können, muss man wissen, dass Cohn-Bendit in Frankreich berühmt ist. Er „polarisiert“ auch, rechts- und linksaußen hassen sie ihn gleichermaßen, aber in der liberalen heterogenen Mehrheitsgesellschaft Frankreichs gibt es auch eine romantische Vorstellung: Wenn unser Dany mitmacht, dann kriegt die Macron-Regierung einen neuen Drive.
Das ist die Magie, das ist die historische Bedeutung von Daniel Cohn-Bendit. Er ist das Symbol, dass Menschen verkrustete Verhältnisse aufbrechen können. Dass ein einzelner einen Unterschied machen kann.
Sozialökologisch und europäisch
Das reduziert sich nicht auf die Befreiungsrevolte von 1968. Es war Cohn-Bendit, der in Frankreich bei der Europawahl 2009 eine progressive Sammlungsbewegung auf die Realität des 21. Jahrhunderts verpflichtet hatte, also nicht rückwärts nationalsozial wie Wagenknecht, sondern sozialökologisch und europäisch. 16,3 Prozent wählten das, und es schien der Anfang.
War es aber nicht. Die Grünen regredierten danach zu linken Sozialdemokraten und erledigten damit als erstes sich selbst.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Dann kam Macron, der im Westen eine neue Antwort jenseits des Halbrechts-halblinks-Spektrums mehrheitsfähig machte, die nicht national und nicht autoritär daherkommt, die nicht die Lethargie seiner Bürger bedient, sondern Versprechen mit knallharten Ansprüchen an sie koppelt. Macron ist bis zum Beweis des Gegenteils die Antithese zu Trump. Aber er konnte seinen Ausbruch aus der Vergangenheit bisher nicht mit dem Essentiellsten verknüpfen, das die neue Welt determiniert: Die Erderhitzung. Dann, denkt er, wäre es zu viel, zu kompliziert, die Mehrheit futsch.
Das sehen Union und SPD auch so. In Deutschland ist das ohnehin marginalisierte Umweltministerium ab 2005 von den traditionellen Regierungsparteien und namentlich den Ministern Gabriel und Altmaier immer schwächer gemacht worden, je dringlicher das Klimaproblem wurde. Während es in Frankreich nie administrativ handlungsfähig gemacht wurde.
Die Zukunft der anderen
Es ist längst nicht nur die AfD, die das ausblendet. Ständig versuchen demokratische Spitzenpolitiker, zuletzt Nahles, ihren Senioren-Wählern einzureden, dass Zukunft elitär sei, weil nur die Zukunft der anderen. (Was bei Älteren eindeutig stimmt.)
Daniel Cohn-Bendit überlegte tagelang, ob er es trotzdem tun sollte. Er hat solche Jobs ein Leben lang vermieden, aber auch er hat jetzt das drängende Gefühl: „Verdammt nochmal, ich muss was machen.“ Sonntagabend ging er dann ins Fernsehen und erklärte den Franzosen, warum er es nicht macht, obwohl er es machen will. Weil er das neue Symbol der großen Illusion wäre. Dass es irgendwie doch geht, auch wenn wir Zukunft als Luxusproblem „Umwelt“ mißverstehen und weiter privatisieren und moralisieren.
Hier ist mein Punkt: Nicht mal mehr Daniel Cohn-Bendit kann sich – und will uns – einreden, dass er ökosoziale Zukunftspolitik machen kann – ohne politische Macht, ohne gesellschaftlichen Rückhalt einer demokratischen Mehrheit, in einem Ministerium der Ohnmacht. Das ist eine intellektuelle Redlichkeit, die anzuerkennen ist. Und zu verstehen. Es bedeutet: Stand jetzt geht nichts.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Donald Trump wählt seine Mannschaft
Das Kabinett des Grauens
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist