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Kolumne Bestellen und VersendenDie Wutschreiber

Aram Lintzel
Kolumne
von Aram Lintzel

Was haben der linke Kolumnist Georg Diez und der neoreaktionäre Harald Martenstein miteinander zu tun? Alles.

Georg Diez. Auch nur so ein Martenstein. Foto: imago/teutopress

W er von Martenstein-Kolumnen redet, darf von Diez-Kolumnen nicht schweigen“, schrieb der Freitag-Redakteur Michael Angele jüngst auf Facebook, als er sich über einen Satz in der Georg- Diez-Kolumne “Der Kritiker“ bei Spiegel Online ärgerte. „Die Grenzen, an denen Menschen sterben, werden im Feuilleton neu errichtet“, hieß es da.

Von Angeles Aufforderung fühle ich mich herausgefordert, denn auch ich rede gerne und viel über Harald Martenstein, nicht nur wegen seiner neoreaktionären Kolumnen im Zeit-Magazin. Fast wöchentlich begegne ich ihm beim Bäcker, neulich schubste mich der rücksichtslose Antifeminist an einer Engstelle fast samt Kinderanhänger in den Landwehrkanal.

Aber was haben der linke Meinungskönig Diez und der kulturechte Martenstein eigentlich miteinander zu tun, fragte ich mich. Vielleicht ist es so, dass Georg Diez ein Martenstein unter umgekehrten politischen Vorzeichen ist. Wie Martenstein erhebt er seine Stimme gegen einen angeblichen Meinungsmainstream und gefällt sich in der Pose des um sich schlagenden Solitärs. Und wie Martenstein ist Diez ein Renegat, der sich von seinem Exmilieu ideologisch losgesagt hat und sich deshalb umso entschiedener dagegen wenden muss.

Während Martenstein vor Jahren der DKP den Rücken kehrte, hat Diez eines Tages entschieden, sein Münchner Popper-Milieu zu verlassen und links zu werden. Meine Ferndiagnose: Diez ist eine einstige „Generation Golf“-Type, die eines Tages Linkssein irgendwie schicker fand. Seither muss er beweisen, dass er auf der richtigen Seite angekommen ist.

Rhetorischer Hass

In der nunmehr feindlichen Umwelt erkennt der Popper-Linke „Umfaller, Opportunisten, Mitläufer, Mitmacher, Stillhalter, Jasager“. Oder auch: „Konfektionsliteratur und Konsenskritik fürs Kuschelland“ (gemeint sind alle Autoren außer Diez). Oder auch: „Placebo-Diskurse – Ausweich- und Ablenkungsmanöver, die dazu dienen, dass sich die Menschen, die diese Diskurse führen, selbst besser fühlen“ (gemeint sind alle Diskurse außer den von Diez angezettelten).

Die typische Diez-Kolumne ist getrieben von rhetorischem Hass auf bürgerliche Pressevertreter und das „mediale Mehltau-Land“. Auch sonst ist alles doof. Diez über die komplette zeitgenössische Kunst (Ausnahme: Post Internet Art): „Diese Kunst ohne Richtung, ohne Vorstellung von Morgen, ohne Perspektive und Zukunft und Wut und Utopie, eine Aufgebekunst, eine Ergebenheitskunst, eine Kunst, die die ästhetischen Fragen durch finanzielle Überlegungen ersetzte, weil der Wert eines Kunstwerks sein Wert war.“

Zwar ist manche Diez-Position, etwa zur Flüchtlingspolitik, zu begrüßen – doch bei aller inhaltlichen Sympathie ist mir sein maßloses Meinungspathos unsympathisch. Zu muskulös schwingt der Drama-King des deutschen Journalismus die ideologiekritische Keule, zu holzschnittartig sind die Feinde zurechtgeschnitzt, zu schnittig trumpft der Links-Popper im Ton auf. Ein bisschen mehr (Selbst-)Zweifel wären schon angenehm in dieser immer thetischen, nie subtilen Sprecherposition, die sich ständig selbst stabilisieren will.

In postheroischen Zeiten versucht Diez den Heroismus zu retten, wirft den Mächtigen „Verrat“ und „konfliktscheue Hasenhaftigkeit“ vor und denunziert „die große Koalition der Kopfnicker“. Dass das Ressentiment gegen Konsens und Kompromiss auch im AfD-Milieu gepflegt wird, reflektiert er nicht mit.

Heißer Scheiß im 80er-Sound

Ob diese Daueremphase als Gegengift gegen eine linke Melancholie gemeint ist? Gern bringt Diez Gegenwart und Zukunft gegen die Vergangenheit in Stellung. Wenn er sich affirmativ an heißen Scheiß wie Akzelerationismus oder Post Internet Art dranhängt, seine Zukunftseuphorie aber im Behauptungs-Jive der 80er-Jahre vorträgt – in einem an Tempo-Zeiten erinnernden Sound –, dann ist das wohl ein performativer Widerspruch.

Man könnte seine Schreibweise aber auch als ein Symptom eines Journalismus lesen, in dem es mehr auf steile Meinungen ankommt als auf abwägende Urteile. Insofern ist Georg Diez ein Symptom, mit dem man sich als Autor solidarisch erklären sollte. Die deutsche Presselandschaft ist geprägt von einer Inflation des Kolumnenformats, und dass man hier als Autor unter erhöhtem Thesen- und Behauptungsstress steht, weiß ich aus eigener Erfahrung.

„Ungerechtigkeit wird unterschätzt“, schrieb Diez in seiner Kolumne über das neue „Literarische Quartett“ programmatisch. Das Gegenteil dürfte stimmen: Die Waffen des Wutschreibers drohen stumpf zu werden, bevor die Zukunft begonnen hat.

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Aram Lintzel
Politikwissenschaftler, arbeitet seit 2022 im Leitungsstab der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, vorher Referent für Kulturpolitik in der grünen Bundestagsfraktion. Autor und Redakteur für verschiedene Publikationen (Spex, de:bug, Texte zur Kunst, Polar, Travel Almanac ...). Schrieb von 2009 bis 2016 die monatliche taz-Kolumne "Bestellen und Versenden", seither gelegentlich noch taz-Autor. Themen: Popmusik, Theorie, Ideologiekritik. Bilanz mit der Grünen Tulpe gegen taz Panter FC: 2 Siege, 0 Unentschieden, 0 Niederlagen.
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7 Kommentare

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  • Wadenbeiesser Georg Diez wird hier ganz treffend beschrieben:

     

    "Ebenfalls hart ins Gericht geht Matussek mit Spiegel-Redakteur Georg Diez, den er für einen Verfechter des Hipstertums hält. O-Ton: “Die schlimmste Tröte in diesem Beritt ist wohl Georg Diez, ein Neukollege, der von mir mal NICHT eingestellt würde, weil ich ihn zu halbseiden fand.” Er habe Diez öfter gesagt, dass er ihn für eine Niete hält. Matussek wörtlich: “Man nennt ihn ja den Thesen-Diez, er liest von Büchern eben meistens nur die Klappentexte und hat sofort eine angespitzte These.” Diez sei “nunmal ein Schienbeintreter.”"

    http://meedia.de/2014/02/03/niete-grossmaul-verraeter-so-beschimpft-matussek-ex-spiegel-kollegen/

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)

    Dietz ist super. Martenstein ist BILD mit (handwerklichem) Niveau. Man kan auch leichtfüssig und gekonnt Driss verbreiten.

  • 2G
    23879 (Profil gelöscht)

    Ich mag Martensteins Texte. Bin ich jetzt auch "neoreaktionär"?

     

    lichtung

     

    manche meinen

    lechts und rinks

    kann man nicht velwechsern

    werch ein illtum

     

    (Ernst Jandl)

  • Man muss nicht Diez oder Martenstein (kenn ich nicht, den Mann, aber ein Wegeblockierer mit Kinderanhänger in den Kanal zu schmeissen, finde ich ok), um allergisch auf die Konsensdiktatur unserer "Leitmedien" zu reagieren. Die sogenannte Griechenlandkrise und deren mediale Bearbeitung ist doch wohl das schönste Beispiel dafür, wie in Deutschland Extremismus geradezu gezüchtet wird. Als Bewohner einer dieser linksliberalen Berliner Kuschelecken fällt einem das nur nicht so auf... Womit wir dann beim Thema Parrallelwelten wären. Aber das ist eine andere Geschichte...

  • Hier scheint ein Missverständnis vorzuliegen. Die Kolumnen von Martenstein und Dietz haben nicht den Zweck, sachlich und ausgewogen zu sein, sondern subjektiv, einseitig, polemisch. Sie sollen ein farbiger Punkt im sonstigen "Grau" der betreffenden Zeitungen/Zeitschriften sein, das durch "Ausgewogenheit" entsteht.

    Es ist erfrischend, auch mal etwas ungerechtes, einseitiges zu lesen. Ob von links oder von rechts.

  • "Die Waffen des Wutschreibers drohen stumpf zu werden, bevor die Zukunft begonnen hat". Ist das nicht toll?

     

    Ich frage mich ernsthaft: Was könnte einem Kolumnisten, der nur widerwillig, wenn auch durchaus "muskulös" die "ideologiekritische Keule [schwingt]", der sich seine Feinde niemals "holzschnittartig [...] zurechtgeschnitzt" hat und niemals "schnittig [auf]trumpf[en] würde" im Ton, der statt dessen von permanentem "(Selbst-)Zweifel" geplagt ist und der die "subtile[] Sprecherposition" der "thetischen" jederzeit vorzieht, der sich "nie" aber auch wirklich niemals "selbst stabilisieren" würde, was also könnte einem Mann wie Aram Lintzel besseres passieren?

     

    Sehen wir es doch mal so: Wer so edel, hilfreich, gut und perfekt ist wie er bekannte "politische Berater und freie Autor" (Zitat: Goethe-Institut) Aram Linttzel, der täte sich vermutlich schwer damit, Leute wie Martenstein und Diez (wort)gewaltsam zu disziplinieren. Ist es da nicht besser, die machen diesen dreckigen Job gleich selbst? Es wär doch jammerschade, wenn der glänzende Lack auf der Lintzel-Oberfläche beim Verbal-Zusammenstoß hässliche Kratzer kriegen würde. In postheroischen Zeiten wie diesen, meine ich, in denen jede Schramme oder Beule Leserstimmen kosten kann...

  • ...und damit ist dieser plakative Stil wohl irgendwie auch ein Produkt der Onlinezeit, wo Klickquoten die Auflage sind und die "Kolumneninflation" aus den hohen Häusern nur bessere Buzzfeeds macht.