Koalitionsverhandlungen von Schwarz-Rot: Stein auf Stein – bald muss die Koalition fertig sein
Ab Freitag klären die Parteispitzen von Union und SPD strittige Fragen. Ob Kitas, Wohnen oder Bürgergeld: Wieviel Fortschritt oder Rückschritt gibt's?
Frühe Bildung: Es geht voran
In den Sondierungen hatten Union und SPD vereinbart,in die frühe Bildung zu investieren, nun haben sie die Pläne konkretisiert und mit Preisschild versehen. Ab 2027 sollen allein vom Bund jedes Jahr 8 Milliarden Euro in die Kitas fließen – viermal so viel wie unter der Ampel. Im kommenden Jahr wären es 6 Milliarden. Darauf hat sich die Arbeitsgruppe Familie, Senioren, Frauen, Jugend und Demokratie in ihrem Abschlusspapier verständigt.
Die Hälfte, 4 Milliarden Euro, soll aus dem Infrastruktur-Sondervermögen kommen und in den Ausbau von Kitaplätzen und die räumliche Ausstattung der Einrichtungen fließen. Weitere 4 Milliarden Euro wollen CDU, CSU und SPD in die Verbesserung der Kitaqualität stecken. Das bisherige Kitaqualitätsgesetz wird durch ein Qualitätsentwicklungsgesetz abgelöst.
Konkret sollen das von der Ampel eingestampfte Bundesprogramm „Sprachkitas“ neu aufgelegt werden und das 2024 angelaufene „Startchancen-Programm“ für sogenannte Brennpunktschulen auch auf Kitas ausgeweitet werden. Beide Programme sollen die ungleiche Chancenverteilung angehen. An der Grundschule haben privilegierte Kinder bereits bis zu einem Lernjahr Vorsprung vor sozial benachteiligten Kindern.
Die „Startchancen-Kitas“ sollen deshalb nach den Sozialindizes ausgewählt werden, die die Länder praktischerweise gerade erst für sozial benachteiligte Schulen entwickelt haben. Heißt: Auch Kitagelder würden künftig nicht mehr allein per Gießkanne verteilt. Bei den für Bildung zuständigen Ländern kommen die Pläne gut an. Eine prinzipielle Übereinkunft gibt es auch bei den Plänen der Groko, bundesweit verbindliche Sprach- und Entwicklungstests im Alter von vier Jahren einzuführen, die Länder sollen darauf verbindliche Fördermaßnahmen aufbauen.
Zudem hat sich die Arbeitsgruppe darauf verständigt, die Kinder- und Jugendhilfe um zunächst 10 Prozent aufzustocken, eine Strategie für die mentale Gesundheit junger Menschen vorzulegen sowie Kindern etwa über eine Teilhabe-App Zugang zu Sport- und Freizeitangeboten zu ermöglichen. Uneins sind Union und SPD unter anderem noch beim kostenlosen Mittagessen an Kitas und Schulen bis Klasse zehn. Die SPD will es, die Union ist dagegen. Kostenpunkt: 11 Milliarden im Jahr. Ralf Pauli
Turbo beim Bau, Bremse bei Mieten
Auf eine konkrete Zahl, wie viele Wohnungen pro Jahr geschaffen werden sollen, haben Union und SPD bewusst verzichtet. Dafür haben die Koalitionswilligen aber nicht an Adjektiven gespart. Bauen soll „bezahlbar, verfügbar und umweltverträglich“ werden. Der soziale Wohnungsbau soll als „wesentlicher Bestandteil der Wohnraumversorgung“ ausgebaut werden – dass hier nicht gekürzt werden soll, ist eine gute Nachricht. Ebenso, dass die bereits unter der Ampel eingeführte neue Wohngemeinützigkeit, bei der soziale Vermieter Steuervorteile bekommen, mit Investitionszuschüssen ergänzt werden soll. Sprich: Mit Geld unterfüttert werden soll.
In den ersten 100 Tagen soll zudem der erste Gesetzentwurf „zur Einführung eines Wohnungsbau-Turbos“ vorliegen. Der Gebäudetyp E soll das Planen und Bauen schneller und kostengünstiger machen. Klingt aber einfacher, als es ist. In der Baupraxis wandern ja oft noch Aktenberge von Amt zu Amt. Dann wären da noch die vielen Bauvorschriften, die zu beachten sind. Aber dafür wollen Union und SPD eine „unabhängige Stelle zur Kostenfolgeprüfung von DIN-Normen“ einsetzen.
Ein halber Erfolg der SPD ist, dass die Mietpreisbremse zunächst für zwei Jahre verlängert werden soll. Ob sie auch verbessert wird, bleibt unklar. Aber es soll eine Expertengruppe geben, die berät, wie man mit Verstößen im Mietrecht besser umgehen kann.
Einen Streitpunkt gibt es bei der sogenannten Kappungsgrenze. Die legt fest, wie stark Mieten, die noch unter der ortsüblichen Vergleichmiete liegen, innerhalb von drei Jahren steigen dürfen. Derzeit dürfen sie in angespannten Märkten um 15 Prozent steigen. Die SPD möchte das auf 6 Prozent begrenzen, die Union will, dass es so bleibt wie bisher.
Aber für Auszubildende und Studierende soll sich einiges verbessern, um die „WG-Garantie“ zu erreichen. Diese Idee kam ursprünglich von den Jusos und verspricht, dass ein WG-Zimmer nicht teurer als 400 Euro sein darf. Allerdings haben Union und SPD im Arbeitspapier auch hier auf eine konkrete Zahl verzichtet. Stattdessen heißt es nur, es solle zusätzliche Gelder für das bestehende Förderprogramm Junges Wohnen geben und die Förderbestimmungen sollen so verändert werden, dass auch der Ankauf von Belegungsrechten möglich wird. Jasmin Kalarickal
Rolle rückwärts beim Bürgergeld
Das „Bürgergeld“ soll künftig wieder „Grundsicherung für Arbeitssuchende“ heißen wie zu Zeiten von Hartz IV. Nicht nur den Namen wollen Union und SPD rückgängig machen. So soll die jährliche Steigerung des Regelsatzes für die Grundsicherungsempfänger:innen wieder auf den Rechtsstand vor der Coronapandemie „zurückgeführt“ werden, heißt es im Einigungspapier der AG Arbeit und Soziales. Damit wird bei jährlichen Steigerungen der Grundsicherung die aktuelle Inflation weniger berücksichtigt als bisher.
Die „Karenzzeit“ für Vermögen wird abgeschafft. Bisher können Menschen Bürgergeld für das erste Jahr beantragen, selbst wenn sie Vermögen bis zu 40.000 Euro besitzen plus 15.000 Euro für jede weitere Person im Haushalt. Künftig soll die Höhe des Schonvermögens viel niedriger sein und an die „Lebensleistung“ gekoppelt werden. Wer „unverhältnismäßig hohe“ Wohnkosten hat und Grundsicherung beantragt, bei dem oder der werden nicht wie bisher im ersten Jahr die vollen Wohnkosten übernommen. Diese Karenzzeit entfällt, heißt es im Einigungspapier.
Für Menschen, die „arbeiten können“, soll in der neuen Grundsicherung der „Vermittlungsvorrang“ gelten. Das heißt, die erwerbsfähigen Leistungsbezieher:innen sollen „schnellstmöglich“ in Arbeit vermittelt werden, egal, um welche Arbeit es sich handelt. Im Bürgergeld wurde mehr Wert auf Weiterbildung und dauerhafte Arbeitsintegration gelegt.
Sanktionen für vermeintlich Arbeitsunwillige sollen künftig „verschärft“ werden und „schneller, einfacher und unbürokratischer durchgesetzt werden können“. Wer „wiederholt zumutbare Arbeit verweigert“, soll mit „vollständigem Leistungsentzug“ bestraft werden können. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts soll dabei „beachtet“ werden. Das Bundesverfassungsgericht gestattet den kompletten Entzug der Sozialleistung nur in seltenen Ausnahmefällen.
Im Einigungspapier heißt es vage: „wir sichern das Rentenniveau“. Der Passus, man sichere das Rentenniveau „dauerhaft bei 48 Prozent“, also dem bisherigen Wert, findet sich nur in Klammern als SPD-Forderung. Die umstrittene Erweiterung der „Mütterrente“ für ältere Mütter im Rentenalter kommt. Kostenpunkt: 5 Milliarden Euro im Jahr. Barbara Dribbusch
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