Koalitionsstreit um die Friedrichstraße: Gezerre um ein paar Monate
Die Regierende Giffey (SPD) will schnell wieder Autos auf der Friedrichstraße sehen. Jetzt kommt es auf die grüne Verkehrssenatorin an.
W er morgens mit dem Rad die Friedrichstraße entlangrollt, auf dem autofreien Abschnitt zwischen Französischer Straße und Leipziger Straße, kann gerade zwei Dinge feststellen: Was es mal werden sollte, nämlich eine Fußgängerzone, ist es nicht geworden. Wohl aber ein Radweg, sicher, autofrei, und das ist ja schon mal etwas in Berlin.
Nun kommen nach etwas mehr als zwei Jahren wohl doch noch die Autos zurück – wenn die Verkehrsverwaltung nicht Beschwerde bei der nächsthöheren Instanz einlegt. Zwei Wochen hat das Verwaltungsgericht am Dienstag per Eilentscheid der Verwaltung eingeräumt, die gelben, immer noch provisorischen Klebebänder für den Radweg wieder vom Asphalt zu kratzen. Es liege keine rechtliche Grundlage vor, Autofahrer*innen die Nutzung dieses Straßenabschnitts zu verwehren, hieß es in der Begründung des Urteils.
Das Urteil mag juristisch keine Überraschung sein, weil das Gericht in ähnlichen Fällen die Straßenverkehrsordnung ebenfalls streng ausgelegt hat – etwa bei den Pop-up-Radwegen. Wo keine akute Gefahrenlage, da auch keine Sperrung von öffentlichem Straßenland für wen auch immer.
Umso mehr kommt es jetzt darauf an, wie die Politik mit dieser restriktiven Rechtsprechung umgeht. Denn sie hat ja durchaus Möglichkeiten, die Friedrichstraße als autofreie Zone zu erhalten – zunächst mit dem Gang vors Oberverwaltungsgericht, das aufschiebende Wirkung hat. Diese Verzögerungstaktik gilt es jetzt zu nutzen. Denn die gelben Klebebänder für die Radstreifen blieben damit erstmal, wo sie derzeit sind.
Es wäre autofreie Zeit gewonnen für das, was schon in wenigen Monaten ohnehin passieren soll: die dauerhafte Umwidmung der Friedrichstraße zur Fußgängerzone. Denn da läuft beim Bezirk Mitte gerade noch ein Prüfverfahren, die Friedrichstraße auf dem gut 500 Meter langen Abschnitt dauerhaft für Fußgänger umzuwidmen (Radfahren wäre erlaubt). Man arbeitet dort gerade an einer juristisch wasserfesten Argumentation – und könnte, so heißt es aus dem Bezirksamt, schon im Januar damit fertig sein.
Nun hat allerdings die Regierende Franziska Giffey (SPD), die noch nie eine Fürsprecherin des Verkehrsversuchs auf der Friedrichstraße war, bereits gesagt: Das Urteil des Verwaltungsgerichts gilt. Und übrigens sei sie auch von dem ganzen Fußgängerzonen-Verfahren noch gar nicht überzeugt. Ob Jarasch das stehen lässt? Im RBB betonte die Verkehrssenatorin am Dienstagabend bereits mit Blick auf das Verfahren beim Bezirk, dass die langfristige Umgestaltung ja so oder so erstmal weiterlaufe, unabhängig vom Eilentscheid.
Ein paar läppische Monate
Bestenfalls geht es also bloß um ein paar läppische Monate, in denen die Autofahrer*innen sich wieder durch die Friedrichstraße drängeln dürfen – wenn die Verkehrsverwaltung nicht doch vor das Oberverwaltungsgericht zieht.
Doch genau das sollte sie nun tun. Die Grünen, allen voran ihre Verkehrssenatorin, haben mehr zu verlieren als einen temporären Radweg. Es geht längst wieder um eine Abgeordnetenhauswahl, die wohl anstehen wird im Februar. Giffey darf sie nicht verlieren, könnte es aber, laut der rutschenden Umfrageergebnisse für die SPD. Die Grünen hingegen könnten sie gewinnen – Jaraschs zweite Chance. Und gerade deshalb sollte sie die Friedrichstraße nicht der SPD überlassen. Der Wahlkampf ist damit auf der Straße angekommen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich