Koalition streitet über Leipzig-Krawalle: „Schwere Vertrauenskrise“

Auch nach sechs Stunden Ausschuss-Sondersitzung überwiegen die Differenzen zu den „Querdenken“-Protesten in Leipzig. In der Koalition kriselt es.

Rechte Demonstranten in Leipzig gegen die Polizei

Demonstranten stehen vor einer Polizeikette und skandieren Sprechchöre, Leipzig am 7. November Foto: opokupix/imago

DRESDEN taz | Keine Spur von Burgfrieden in der sächsischen Kenia-Koalition nach dem Leipziger Eklat der Coronaleugner*innen vom vergangenen Wochenende. Nach sechs Stunden gemeinsamer Sitzung des Innen- und Rechtsausschusses am Donnerstag fanden nicht einmal die Partner*innen von CDU, Grünen und SPD zu einer gemeinsamen Bewertung.

Am vergangenen Samstag demonstrierten in Leizpzig Zehntausende gegen die Coronamaßnahmen – unter ihnen etliche AnhängerInnen von Verschwörungsmythen und gewalttätige Rechtsextreme. In ersten Reaktionen waren bereits am vergangenen Sonntag Rücktrittsforderungen gegenüber Innenminister Roland Wöller laut geworden. Diese „unqualifizierten Forderungen“ seien vom Tisch, erklärte CDU-Innenpolitiker Rico Anton nach der stundenlangen Sitzung am Donnerstag im Sächsischen Landtag.

Auch wenn eine solche Forderung laut nur noch von der oppositionellen Linken erhoben wird, ist kein einziges der erörterten Leipziger Probleme vom Tisch. „Erschreckend“ nannte es Linken-Innenpolitikerin Kerstin Köditz, wie es im Ausschuss „mehrere Stunden zu gegenseitigen Schuldzuweisungen“ gekommen sei.

Ihr Grünen-Kollege Valentin Lippmann bescheinigte der Polizei immerhin, sich im Gegensatz zu Innenminister Wöller selbstkritisch und lernbereit gezeigt zu haben. „Was vom Tisch ist, entscheidet nicht Herrn Anton“, ätzte Lippmann in Richtung des großen Koalitionspartners.

Rücktrittsforderungen gegen Innenminister

Landespolizeipräsident Horst Kretzschmar äußerte sich nachdenklich. Die Maskenverweigerung der Demonstrant*innen sei absehbar gewesen, eine Räumung aus polizeilicher Sicht nahezu aussichtslos, nachdem sich bereits mehr als 3.000 Bürger*innen am Augustusplatz versammelt hatten. Man müsse in Zukunft schon bei ihrer Anreise die Einhaltung der Versammlungsauflagen durchsetzen.

Innenminister Wöller war noch weiter gegangen. „Die Demonstration hätte gar nicht beginnen dürfen“, schob er der Stadt Leipzig und dem im Ausschuss gleichfalls anwesenden Ordnungsbürgermeister Heiko Rosenthal von der Linken die alleinige Verantwortung zu. Wohl wissend, dass Leipzig durch die faktische Begünstigung der Coronaparty in der Innenstadt durch das Bautzener Oberverwaltungsgericht die Hände gebunden waren.

Ob des Auftritts des Innenministers im Stil einer seit 30 Jahren in Sachsen regierenden und immer recht habenden Staatspartei verlor der Polizist und Innenpolitiker der SPD Albrecht Pallas beinahe die Fassung. Der Ordnungsbürgermeister habe den Abwägungsprozess glaubwürdig dargestellt, im Ausschuss zumindest sei die Atmosphäre sachlicher gewesen. „Man muss die Frage stellen, ob Herr Wöller die Verantwortung überhaupt noch will“, verklausulierte Pallas die auch aus seiner Partei laut gewordenen Rücktrittsforderungen.

Linke, Grüne und SPD sind sich jedenfalls einig, dass es eine „untaugliche Gefahrenprognose“ der Polizei und Abstimmungsprobleme mit der Versammlungsbehörde gab. Die Probleme würden in kommenden regulären Ausschusssitzungen weiter erörtert werden. Der Grüne Lippmann sprach von einer „schweren Vertrauenskrise der Koalition“. Es liege an der CDU, dieses Vertrauen wiederherzustellen. Das schwarz-rot-grüne Bündnis ist in Sachsen ohne Alternative, wenn eine Regierungsbeteiligung der AfD vermieden werden soll.

Justizministerin steht hinter OVG-Entscheidung

Ministerpräsident Michael Kretschmer befindet sich derzeit in Quarantäne und kann wenig zur Befriedung beisteuern, nachdem auch seine Stellvertreter Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) und Umweltminister Wolfram Günter (Grüne) Kritik am leichtfertigen Umgang mit der Leipziger Demonstration geäußert hatten.

In seiner Kritik am sächsischen Oberverwaltungsgericht hatte Innenminister Wöller am Mittwoch wiederum Unterstützung vom ehemaligen Justizminister und derzeitigen Ausländerbeauftragten Geert Mackenroth (ebenfalls CDU) erhalten. Die Begründung des Gerichts, die Polizei hätte das Limit von 16.000 Teilnehmer*innen und die Maskenpflicht nur durchsetzen müssen, bezeichnete Mackenroth als „ein bisschen sehr lebensfremd“. Infolge der Missachtung aller Auflagen sei ein „fatales Signal“ von Leipzig ausgegangen.

Sehr spät hatte sich die amtierende Justizministerin Katja Meier von den Grünen erst am Montagnachmittag in einer schmalen Mitteilung bedingungslos vor das OVG gestellt und sich jede Kritik an dessen unabhängigen Entscheidungen verbeten. Dafür wird es vorerst auch keinen Anlass mehr geben. Am Dienstag verschärfte das Regierungskabinett die Versammlungsvorschriften für die Zeit des zweiten Lockdowns. Bei öffentlichen Aufzügen in Sachsen dürfen nur noch maximal tausend Menschen demonstrieren.

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