Klimaschutz in den Wahlprogrammen: Grüne vorn, FDP Schlusslicht

Keines der Parteiprogramme für die Bundestagswahl erfüllt das 1,5-Grad-Klimaziel, so eine Studie. Dafür liefert eine NGO ein dickes Paket an Vorschlägen.

Eine Person im Pandakostüm mit Plakat

Für das 1,5-Grad-Ziel: Klimaschutz-Aktion vom WWF im Frühjahr in Berlin Foto: Stefan Boness/Ipon

Eine Sache im Wahlkampf 2021 ist deutlich anders als vor vier Jahren: Am Klimathema kommt keine Partei mehr vorbei. SPD-Kandidat Olaf Scholz plakatiert „Klimaschutz wählen“, die CDU stellt ein eigenes „Klimateam“ vor, die Linke fordert „Klimagerechtigkeit“, die FDP schwärmt bei jeder Gelegenheit vom Emissionshandel, und Grünen-Spitzenfrau Annalena Baerbock redet ohnehin am liebsten von ihren Plänen für ein klimaneutrales Deutschland.

Aber wie gut sind die Klimapläne der Parteien? Eine erste wissenschaftliche Einschätzung der diversen Vorschläge zur Weltrettung hat am Mittwoch eine Tochter des Deutschen In­sti­tuts für Wirtschaftsforschung, die DIW Econ, im Auftrag der Stiftung Kli­ma­neutra­li­tät vorgelegt. Fazit: Kein Programm liefere „schlüssige Konzepte“, um den deutschen Anteil am 1,5-Grad-Ziel und die im Klimaschutzgesetz vom Bundestag beschlossenen Ziele der Treibhausgasreduktion um 65 Prozent für das Jahr 2030 zu schaffen. Dabei zeigen sich die Parteien aber sehr unterschiedlich ambitioniert: Grüne und Linke schneiden am besten ab, die FDP am schlechtesten. Das untere Mittelfeld teilen sich SPD und CDU/CSU.

Ähnlich wie sonst etwa bei der Bewertung von Rentenkonzepten hat das DIW Kriterien für eine „Plausibilitätsprüfung“ entwickelt. Ein Punktesystem bewertet, inwieweit die Vorschläge in den einzelnen Sektoren – Industrie, Strom oder Verkehr – zu den nötigen CO2-Einsparungen führen. Nicht gewichtet wurde, wie teuer die Konzepte sind und wie realistisch ihre Umsetzung wäre.

Die höchste Punktzahl (3,6 von 4) bekommen die Grünen, die „in allen Sektoren konkrete und weitestgehend geeignete Vorschläge präsentieren“ – auch wenn es nicht für die Ziele des Klimaschutzgesetzes reicht. Die Linke landet auf Platz zwei (2,6 von 4 Punkten): gute Konzepte für Energie und Verkehr, so das Urteil, aber blinde Flecken beim CO2-Preis, der Industrie und der internationalen Klimapolitik. CDU/CSU (1,81 von 4) und SPD (1,79 von 4) seien oft weder konkret genug, noch eigneten sich die Vorschläge, um die Notbremsung der CO2-Emis­sio­nen bis 2030 zu garantieren. Die Union habe Vorteile bei den Konzepten für die Indus­trie, die SPD beim Verkehr.

Die FDP schließlich (1,24 von 4) sei bei internationalen Fragen und dem CO2-Preis „gut aufgestellt“, vernachlässige aber schnell wirkende Maßnahmen. Die AfD wurde nicht bewertet, weil ihre Vorschläge nicht systematisch mit den anderen Parteien vergleichbar seien, hieß es.

Claudia Kemfert, Mitautorin und DIW-Klimaexpertin, sagte, für die Klimaziele seien „umfassende Maßnahmen erforderlich, die derzeit kaum eine Partei ausreichend im Wahlprogramm adressiert. Das ist in Summe ungenügend.“ Sie forderte die Parteien auf, „statt Gespensterdebatten endlich die notwendigen Inhalte für erfolgreichen Klimaschutz zu liefern“. Regierung und das Parlament müssten deutlich mehr tun, als bisher in den Wahlprogrammen stehe.

Gesetzespaket für 1,5 Grad

Dafür liegt seit Dienstag von anderer Seite ein dickes Paket auf dem Tisch: Auf 474 Seiten mit 200 konkreten Vorschlägen haben die AktivistInnen der unabhängigen Organisation GermanZero ein Gesetzespaket geschnürt, mit dem Parlament und Regierung Deutschland in der kommenden Legislatur auf den Kurs zum 1,5-Grad-Ziel bringen sollen. „Wir haben getan, was eigentlich der Job der Politik gewesen wäre“, sagt Mitautorin Lea Nesselhauf, nämlich „ein ressortübergreifendes Gesetzespaket mit den notwendigen Regulierungen“ entwickelt, um das Pariser Ziel einzuhalten. Über die Ambitionen der Parteien urteilt sie ähnlich wie Kemfert: Keine Partei, die derzeit im Bundestag sitzt, habe „die nötigen Emissionsreduk­tions­ziele angesetzt“.

Um das Gesetz zu erfüllen, muss die Regierung mehr tun, als die Parteien wollen

GermanZero hat für das Konzept über 1.100 Studien ausgewertet und in vielen Sitzungen Hunderte von Fachleuten befragt. Herausgekommen ist das „weltweit (…) erste 1,5-Grad-Gesetzespaket“, das eine radikale CO2-Bremse vorsieht. Es fordert etwa, dass bis 2035 alle CO2-Zertifikate im Emissionshandel der EU und in Deutschland auf null sinken sollen, danach dürften Industrie, Stromerzeugung, Verkehr oder Wärmegewinnung kein CO2 mehr emittieren. Unternehmen sollen bis dahin nur dann weiterhin freie CO2-Zertifikate erhalten, wenn sie die entsprechende Summe in ihre klimaneutrale Produktion investieren. Ein Mindestpreis soll CO2 teuer halten, die Einnahmen sollen über die Krankenkassen an die Bevölkerung zurückgezahlt werden.

Den schnellen Ausbau der Erneuerbaren sollen nach den GermanZero-Plänen eine „Ausbau-Agentur“ und ein neues „Energiegesetzbuch“ garantieren. Bürokratie und umweltschädliche Subventionen müssten abgebaut, neue Ölheizungen ab sofort untersagt, Gas nur als Notfalloption zugelassen werden. Mit Subventionen, einer Sanierungspflicht und mehr Ausbildung von HandwerkerInnen soll die Sanierungsquote der Gebäude von derzeit 1 Prozent auf 4 Prozent gehoben werden. Der Umstieg der Industrie soll mit Zuschüssen und neuen Absatzmärkten vereinfacht werden.

Autos mit Verbrennungsmotor werden nach diesen Plänen ab 2025 nicht mehr zugelassen, bei Lkws ist 2030 Ende, 2035 soll kein Diesel, Benzin, Öl und Gas mehr verkauft werden. Mehr Geld für Busse und Bahnen sollen etwa City­maut oder Arbeitgeberabgabe bringen, und im „Deutschlandtakt“ soll auch der ländliche Raum besser angebunden werden. Schließlich sollen frühere Moore wieder vernässt werden, die Viehhaltung begrenzt und ein Emis­sions­handel für Schlachthöfe und Molkereien dafür sorgen, dass die Treibhausgase auch in der Landwirtschaft sinken.

„Das Paket muss in der nächsten Legislatur umgesetzt werden, um das 1,5-Grad-Ziel noch zu halten“, sagt Lea Nesselhauf. Natürlich sei das Konzept flexibel, aber „wenn eine Maßnahme rausgenommen wird, muss die Emissionsreduktion durch eine andere Maßnahme erbracht werden“.

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