Klimaproteste im Rheinland: Fürs Klima, gegen Kohle
Der Protest gegen das Nichtstun wird stärker. 40.000 SchülerInnen von Fridays for Future demonstrieren gegen den Braunkohletagebau.
Rund 20 Kilometer südlich dieser selbst aufgebauten Widerstandszentrale im westdeutschen Viersen liegt der Tagebau Garzweiler, eines der traditionsreichsten Kohleabbaugebiete in Deutschland. Bereits seit über 100 Jahren wird in der Region Braunkohle gefördert. Und es geht weiter. 11.400 Hektar dürfen im Tagebau noch abgebaut werden. Das hat man RWE, dem Betreiber, genehmigt. 35 Millionen Tonnen im Jahr dürfen rausgeholt werden. Deshalb sollen in den kommenden Jahren weitere Dörfer in der Umgebung weichen; es ist ein Gesellschaftskonflikt.
Darum geht es hier in diesem Protestcamp in Viersen und darum geht es in den Orten wie Frimmersdorf und Niederaußem und Hochneukirch, an der Tagebaukante – um die Zukunft der deutschen Energieversorgung und die Frage, wer über sie bestimmt.
Schon vor Jahren haben sich Anwohnerbündnisse formiert, die gegen ihre Enteignung protestieren – aber nun ist die europäische Klimabewegung hinzugekommen; Tausende sind da, aber der Weg zu ihrem ersten Ziel ist weit, mindestens 20 Kilometer. Die sind ein Problem, wenn die Polizei, wie jetzt, den Bahnhof sperrt.
Ein großes Zirkuszelt steht auf dem Platz und drüben am antikapitalistisch organisierten „Marktplatz“ schmieren sich KlimaschutzaktivistInnen am Morgen Stullen mit Rote-Beete-Paste und einer Ersatznutella aus Bananenbrei und Kakao. Das ist, was es auch früher schon gab.
Zahlenmäßig womöglich historisches Ergebnis
Doch etwas hier ist neu: Es sind so viele junge Menschen hier, die vorher noch nicht da waren; Schülerinnen und Schüler, und ihre Präsenz begründet sich wohl weniger aus der seit Jahren wachsenden Anti-Kohle-Bewegung selbst, sondern vor allem aus der Kraft der Fridays-for-Future-Bewegung, die sich an diesem Wochenende an die Seite des bereits seit Jahren bestehenden „Ende Gelände“-Protests gestellt hat – mit einem, jedenfalls zahlenmäßig, womöglich historischen Ergebnis.
Denn 60 Kilometer entfernt, in der Stadt Aachen, die sonst für ihre Reiterturniere und den Kaiserdom bekannt ist, gehen an diesem Freitag, dem 21. Juni, Zehntausende Menschen auf die Straße. Es ist eine der wohl größten Demonstrationen in der Geschichte der deutschen Schülerproteste; organisiert von Kindern und Jugendlichen und, klar, auch ihren Eltern.
Als die vier Demonstrationen, die mit jeweils zehntausend TeilnehmerInnen aus unterschiedlichen Orten der Stadt gestartet waren, schließlich die Altstadt passieren und sich zu einem Aufzug zusammengeschlossen haben, zählen die Veranstalter 40.000 Demonstrierende. Die größte Fridays-for-Future-Demo jemals.
Katharina Schipkowski und Martin Kaul berichten live für die taz über die Proteste von „Ende Gelände“ und „Fridays For Future“. Folgen können Sie den Livestreams sowohl auf Instagram, als auch via Periscope und bei Twitter. Mehr Infos dazu lesen Sie hier.
Es ist 13.48 Uhr, als am Rande der Demonstration eine Gruppe schwarz vermummter Leute Transparente aus Fenstern rollen, grüne Rauchfackeln zünden und Flugblätter in die Schülermenge werfen: Die Bastei ist besetzt, steht darauf, und so sieht es auch aus. Die Bastei, einst eine legendäre Nachtbar, in der Zarah Leander auftrat, nun also vorübergehend in der Hand autonomer Klimaschützer.
Es wird ein langes Wochenende
Es ist 14.10 Uhr, als junge Schülerinnen und Schüler sich gegenüber niederlassen, Hunderte sind es, die auf der Straße sitzen und singen, und es ist 15.04 Uhr, als die Deutsche Presse-Agentur meldet, auch der aus Aachen stammende YouTuber Rezo habe sich dem Protest angeschlossen. So breit also ist die Umweltbewegung in so kurzer Zeit geworden: von linksradikalen Gruppen, die nur noch die Minderheit stellen, bis mitten hinein in die Masse der Schülerinnen und Schüler.
Rezo, das war der, der mit einem YouTube-Video Millionen von Menschen erreichte und damit kurz vor der Europawahl eine große Debatte über die Zukunft der Klimaschutzpolitik in Deutschland ausgelöst hat. Hier auf der Straße stehen nun seine Zuschauer und drüben, in der Nähe von Viersen, versuchen die Blockadeaktivisten, irgendwie weiterzukommen.
Am Bahnhofsvorplatz haben sie Sonnensegel an Bushaltestellen gebunden und ihre Bananen, Brote und Reiswaffeln ausgepackt. Der Bahnhof ist weiterhin gesperrt, zu gefährlich, sagt die Polizei. Doch inzwischen liegt ein Eilantrag vor. Demonstranten wollen gerichtlich erwirken, dass sie den Bahnhof benutzen dürfen, um weiterzukommen. Schließlich aber lässt „Ende Gelände“, so viel Geld ist wohl da, Busse chartern für de Weitertransport.
Die Strohsäcke, die viele der Aktivisten bei sich tragen, werden von der Polizei beschlagnahmt. Die Schlafsäcke dagegen dürfen die Leute behalten. Für Samstag und Sonntag sind Dutzende Demonstrationen, Blockaden und Kundgebungen geplant. Es wird ein langes Wochenende.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator
Berlinale-Rückblick
Verleugnung der Gegenwart
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?