Klimakrise in der Türkei: Schlamm statt Seen
Seit Jahren hat es in der Türkei zu wenig geregnet. Die Landwirtschaft beutet Flüsse und Grundwasser aus. Darunter leiden die Ernten.
Der See im Hinterland der Ägäisküste war vor knapp 2000 Jahren noch eine Meeresbucht nahe der antiken griechischen Stadt Milet. Durch stetige Sedimentablagerung des Menderes-Flusses verlandete das Delta, ab dem vierten Jahrhundert wurde der ehemalige Meeresarm ein See. Auch vom einstigen großen Fluss ist kaum noch etwas übrig. „In diesem Jahr hat der Menderes überhaupt kein Wasser mehr“, sagt der Bürgermeister des nahe gelegenen Orts Sercin. „Deshalb ist auch im Bafa-See kaum noch Wasser.“
Das Gebiet um den See war nicht nur für Vögel ein Paradies. Zu byzantinischen Zeiten war das am See gelegene Latmos-Gebirge auch Rückzugsort für Mönche. Etliche Klosterruinen liegen hier in versteckten Tälern, in Höhlen finden sich Bilder aus christlicher Zeit. Der See und seine Umgebung waren ein beliebtes touristisches Ziel.
Das alles ist jetzt in Gefahr. Der Bafa-See ist kein Einzelfall. Vielen Gewässern in der Türkei droht ein ähnliches Schicksal. Auch die großen Seen im Taurus-Gebirge oberhalb der Touristenmetropole Antalya verlieren ständig Wasser. Einige Schiffsanleger stehen bereits auf dem Trockenen. Dramatisch ist es am Tuz-Gölü, dem zweitgrößten See der Türkei. Unlängst schlug die Hydrologin Muazzez Celik Karakaya von der Universität Konya Alarm. Der See mit einst 1.660 Quadratkilometern sei in den vergangenen Jahrzehnten um 30 Prozent geschrumpft. „Wenn jetzt nichts getan wird“, sagt sie, „werden wir ihn komplett verlieren.“ Der Tuz-Gölü ist sehr salzhaltig. Aus den Salinen an seinen Ufern hat die Türkei bislang 50 Prozent ihres Salzbedarfs gedeckt. Hunderttausende Flamingos nisteten hier früher, aber die Vögel finden wegen des Wasserverlusts derzeit kaum noch Nahrung.
Die Seen leiden unter zu wenig Regen infolge des Klimawandels und wegen der Übernutzung der Flüsse und des Grundwassers durch die Landwirtschaft. In der Türkei hat es drei Jahre kaum geregnet. Laut dem staatlichen Meteorologischen Institut gab es landesweit von Oktober 2020 bis Ende September 2021 19 Prozent weniger Niederschläge als im Vorjahr, die geringste Menge seit 20 Jahren. Besonders der Südosten entlang der syrischen und irakischen Grenze leidet. Auch deshalb pumpen die Agrarbetriebe immer mehr Grundwasser auf ihre Felder und zweigen das wenige Wasser aus den Flüssen ab. Der Grundwasserspiegel fällt, die Bohrrohre müssen immer weiter in die Tiefe getrieben werden. Darunter leiden die Ernten. Dies geschieht bereits in der Umgebung des Tuz-Gölü in der Region um Konya, einst die Kornkammer der Türkei.
Pariser Klimaabkommen jetzt erst ratifiziert
Auch wegen dieser dramatischen Entwicklung ratifizierte die türkische Regierung nach jahrelangem Zögern kurz vor Beginn der Klimakonferenz in Glasgow als letztes G20-Land das Pariser Klimaabkommen.
Jahrelang hatte Präsident Recep Tayyip Erdoğan gepokert: Er wollte die Türkei als Entwicklungsland eingestuft sehen, um mehr Geld von den Industrieländern und ein höheres CO2-Budget zugestanden zu bekommen. Erst nach den verheerenden Waldbränden des Sommers und der Unterschrift der USA unter Paris lenkte Erdoğan ein. Um den Schritt zu erleichtern, hatten die Weltbank, Frankreich und Deutschland der Türkei günstige Kredite in Höhe von 3,2 Milliarden Dollar zugesagt.
Umweltminister Murat Kurum will nun einen Plan zur Bekämpfung des Klimawandels vorlegen und bis Ende des Jahres ein Klimagesetz im Parlament verabschieden lassen. Der Schlüssel für eine bessere CO2-Bilanz ist der Ausbau der erneuerbaren Energien – da ist in der Türkei noch Luft nach oben.
Sonnen-Energie wird erst rudimentär genutzt, obwohl das Potenzial riesig ist. Der Ausbau der Windenergie ist fortgeschrittener, vor wenigen Tagen lieferte die Windenergie das erste Mal an einem Tag mehr Strom als die Kohle. Doch noch denkt die Türkei nicht einmal über einen Kohleausstieg nach. Stattdessen sind Atomkraftwerke am Mittelmeer und am Schwarzen Meer geplant.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen