piwik no script img

Klimaklage gegen RWEProzess in der Schwebe

Zwei Prozesstage gingen am Montag und Mittwoch ohne Urteil zu Ende. Denn der Fall zeigt, wie schwierig es ist, Wissenschaft und Recht zusammenzubringen.

Der peruanische Bergbauer Saul Luciano Lliuya vor dem Gerichtsgebäude in Hamm mit Luisa Neubauer. Die Verhandlung geht weiter Foto: Helge Toben/dpa

Hamm taz | Der Prozess des peruanischen Bergführers Saúl Luciano Lliuya gegen RWE hängt in der Schwebe. Zwei Prozesstage gingen am Montag und Mittwoch zu Ende – ohne ein Urteil. Das hatte im Vorhinein allerdings niemand erwartet: Die Prozesstage machten die Komplexität des Falls deutlich.

Über Huaraz, wo Lliuya lebt, schmilzt ein Gletscher aufgrund der Erderhitzung in einen See. Schon 1941 ist dieser See übergelaufen, hat eine Schlammwelle ausgelöst und Huaraz zerstört. Tausende starben damals. Heute sind die Schutzwälle weit besser, aber der Klimawandel verändert die Region und lässt den Wasserstand des Sees steigen.

Lliuya will, dass RWE für Schutzmaßnahmen in Huaraz bezahlt. Damit ist die Klage die erste ihrer Art, weil es nicht um die Einhaltung von Klimazielen geht, sondern um konkreten Schadensersatz. Sollte Lliuya gewinnen, könnten auch andere Leute fossile Konzerne auf Schadensersatz verklagen. CO2 auszustoßen würde plötzlich sehr, sehr teurer.

RWE argumentiert, dass das Oberlandesgericht seine Verantwortung überschreitet, weil für Kompensationen wegen CO₂-Ausstoßes der Bundestag zuständig wäre. Außerdem könne je­de*r Au­to­fah­re­r*in mit einem Verbrenner vor Gericht gestellt werden, wenn das Gericht dabei bleibt, dass die Klage zulässig ist.

RWE schüre Angst, so der vorsitzende Richter

Dem widersprach der vorsitzende Richter Rolf Meyer aber gleich zu Anfang der Verhandlungen am Montag. Der CO₂-Ausstoß von Einzelnen sei ungleich niedriger als der von RWE und nicht annähernd groß genug, um zu einer Verurteilung zu führen. RWE schüre Angst, sagte Meyer, und das führe nie zu etwas Gutem.

Dass das Gericht die Klage überhaupt angenommen hat, wertet Roda Verheyen als Erfolg. Sie ist Klimaanwältin, war unter anderem am Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts 2021 beteiligt, und vertritt Lliuya. Richter Meyer hat auch noch einmal bestätigt, dass die Kette von RWEs CO₂-Emissionen zum wachsenden Gletschersee nicht zur Debatte steht. „Im Prinzip haben wir schon gewonnen“, sagte Verheyen. „In jedem Fall wird das Urteil beinhalten, dass große Emittenten für ihre Verantwortung am Klimawandel vor Gericht gezogen werden können.“

Während der zwei Verhandlungstage ging es darum, ob das Risiko für Lliuyas Haus groß genug ist, um RWE zu verurteilen. Der Fall sei auch deswegen so interessant, sagte Meyer in seinen Anfangsbemerkungen, weil der Schaden an Lliuyas Haus nur droht und noch nicht eingetreten ist.

Fokus des Gutachtens lag auf Eislawinen vom Gletscher

Die Rich­te­r*in­nen befragten deshalb über die zwei Verhandlungstage den von ihnen bestellten Sachverständigen Rolf Katzenbach, Professor für Geotechnik an der Technischen Universität Darmstadt. Sein Gutachten kam zu dem Schluss, dass das Flutrisiko für Lliuyas Haus in den nächsten 30 Jahren bei einem Prozent liege, einmal in 3000 Jahren eintrete. Selbst in diesem „praktisch unmöglichen“ Fall komme es nur zu einer Überflutung von 20 Zentimetern Höhe in Schrittgeschwindigkeit.

Das Felsmaterial um den See, Batholith, sei außerordentlich stabil und werde deswegen nicht abbrechen, sagte Katzenbach. Die Felsnase an einem Ende des Sees habe zum Beispiel schon viel durchgemacht: Zuerst sei sie von Gletschereis bedeckt gewesen, das sich dann zurückgezogen habe, danach habe sie jahrelang an der freien Luft gelegen, „und sie steht wie eine Eins“. Der Fokus des Gutachtens lag deswegen auf Eislawinen vom Gletscher.

Das Gutachten der Klägerseite, verfasst von der renommierten kanadischen Bauberatung BGC, sieht dagegen ein Risiko von 30 Prozent über die nächsten 30 Jahre. Es bezieht Felsstürze mit ein, weil BGC davon ausgeht, dass der schmelzende Permafrost in den Anden das Batholith erheblich instabiler macht. Das sei übertrieben, glaubt Katzenbach, weil kein Auftauen des Permafrosts zu erkennen sei und der Einfluss des Permafrosts vom BGC-Gutachten überschätzt werde.

„Fassungslos“ mache sie das, sagte Roda Verheyen. Katzenbach sei offenbar kein Experte fürs Hochgebirge, es sei „absolut unfachmännisch“, Felsstürze und den Permafrost nicht zu beachten. Sie vermisst den Einfluss der fortschreitenden Erderhitzung auf das Risiko in Katzenbachs Berechnungen.

Lukas Arenson, einer der Autoren des BGC-Berichts, sagte, dass die bloße Existenz des Sees einen möglichen Felssturz belegen könnte, weil der See sich ja erst an Felsen aufstauen musste, ansonsten wäre er nicht entstanden.

Vergleich von Äpfeln mit Birnen?

Arenson sagte außerdem, dass Lliuyas Haus selbst den Berechnungen Katzenbachs zufolge gefährdeter sei, als Katzenbach es darstellt. Denn er modelliere nicht die Straßenzüge und Häuser in der Stadt, sodass das Wasser am Grundstück auch schneller und höher sein könnte.

Katzenbach kritisierte im Gericht wiederum, das BGC-Gutachten vergleiche Äpfel mit Birnen, weil es die Wahrscheinlichkeit für Felsstürze unter anderem aus Ereignissen in den Alpen ableitet. Jede Berechnung müsse „ortskonkret“ sein, „ich käme gar nicht auf die Idee, das zu übertragen.“

Die Ex­per­t*in­nen der Klägerseite bestehen darauf, dass das BGC-Gutachten dem neuesten Stand der Technik und Forschung entspreche, unter anderem weil sie Satellitenbilder ausgewertet haben, um die Möglichkeit eines Felssturzes zu beweisen.

Katzenbach wiederum behauptete für sein Gutachten den neuesten Stand der Technik. Außerdem berechne BGC nur die Wahrscheinlichkeit eines großen Felssturzes, nicht aber einer daraus folgenden Flutwelle. Das sei aber entscheidend, weil nicht jeder große Felssturz eine Flutwelle auslöse, die Lliuyas Haus erreicht.

Der Fall ist sehr kompliziert

Katzenbach kritisierte außerdem, dass BGC für die Berechnung „ungerechtfertigte“ Zahlen verwende: „Sie wussten offensichtlich nicht weiter und haben das getan, um ein passenderes Ergebnis zu erhalten.“ Die Berechnungen der Wahrscheinlichkeit würden so ad absurdum geführt.

Das sei falsch, widersprach Arenson. Katzenbach habe falsch nachgerechnet. Die Wahrscheinlichkeit von Naturgefahren berechne man so wie im BGC-Gutachten geschehen, weil die Zerstörungskraft von Überflutungen und anderen Gefahren derart groß ist.

Der Fall ist, da sind sich die Klägerseite, RWE und Katzenbach einig, sehr kompliziert. Richter Rolf Meyer runzelte mit fortschreitender Dauer des Prozesses immer verzweifelter die Stirn, beide Prozesstage wurden mehrmals verlängert. Er und seine zwei Kol­le­g*in­nen müssen entscheiden, welchem Gutachten sie glauben.

„Wir müssen überzeugt sein, dass es eine konkret drohende Gefahr gibt“, sagte Meyer. Dabei müssten sie sich innerhalb der Grenzen üblicher Rechtsprechung bewegen, „ansonsten kriegen wir den Fall vom Bundesgerichtshof zurück. Das wäre Unsinn, und dieses Gericht macht keinen Unsinn.“

Die Klägerseite müsse Meyer überzeugen, dass in den nächsten 30 Jahren eine Gefahr für Lliuyas Haus besteht, sagte er. „Das sehe ich aktuell noch nicht.“ Die Herangehensweise von BGC sei möglicherweise nicht anwendbar, weil sie nicht lokal genug ist, sondern aus der umgebenden Region abgeleitet wird.

„Dieser Fall zeigt, wie schwierig es ist, Wissenschaft und Recht zusammenzubringen“, sagte Francesca Mascha Klein, Rechtsreferentin bei Germanwatch. Die NGO unterstützt Lliuya.

Lliuya sagte nach dem Prozess am Mittwochabend, er sehe die Möglichkeit, mit dem Prozess Klimagerechtigkeit zu erzielen: „Und ich hoffe wirklich, dass weitere Klagen auch an anderen Orten die Möglichkeit haben, Gerechtigkeit zu erfahren.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • taz: *Sollte Lliuya gewinnen, könnten auch andere Leute fossile Konzerne auf Schadensersatz verklagen. CO2 auszustoßen würde plötzlich sehr, sehr teurer.*

    Und genau aus diesem Grund wird der peruanische Bergbauer Saul Luciano Lliuya 'nicht gewinnen', denn dann würde der klimaschädliche Irrsinn aufhören. Es geht hier also nicht nur um RWE, sondern auch um alle anderen Großkonzerne, die ihr klimaschädliches Monopolyspiel fortführen möchten.

    Vor einiger Zeit hatte der 'Guardian' aufgedeckt, dass Energiekonzerne - und dazu gehört sicherlich auch RWE - weltweit Milliarden US-Dollar in neue Projekte fließen lassen, mit denen sie die Erderwärmung weiter beschleunigen. Wer Milliarden US-Dollar einsetzt, nur um den Erdball flächendeckend auf 50 Grad Celsius zu erhitzen, der wird sich nicht von einem kleinen peruanische Bergbauer sein "Spiel" kaputtmachen lassen. Wir müssten alle aufstehen und gegen die fossilen Konzerne klagen, aber dann fällt uns ein, dass wir ja auch in diesem Hamsterrad mit drin stecken und dann buchen wir doch lieber den nächsten Urlaubsflug zu irgendeinem Ort der auch bald im Höllenfeuer verschmort. So sind wir nun einmal, und das wissen RWE und Konsorten ganz genau.

  • Man kann, in Anlehnung an Luhmann, feststellen, dass Natur und Umwelt keine eigenen Kommunikationsmittel haben, die geeignet wären, sich in Politik, Wirtschaft oder Justiz Gehör zu verschaffen. So fehlt ihnen in Rechtsfragen schlicht die Eigenschaft eines Rechtssubjekts. Natur und Umwelt können so nur von anderen, die, z.B. als durch Umweltrisiken und -schäden Betroffene, anklagen, mit dem Nachweis, dass Eingriffe Dritter in Natur und Umwelt ursächlich für die Risiken oder Schäden sind. Es muss gewissermaßen Karambolage über den zweiten Ball gespielt werden: Spielball A trifft B, B trifft C, C fällt ins Loch. Nur sind in der Umwelt die Wirkungszusammenhänge um ein vielfaches komplexer als bei einem Ballspiel.

    Eine mögliche Erleichterung wäre es, der Natur als starkem Rechtssubjekt einklagbare Rechte in der Verfassung einzuräumen, wie z.B. in Ecuador, Bolivien, Argentinien, Indien, Neuseeland. Dann könnten nicht nur Betroffene, sondern jedeR im Namen der Natur Klage erheben. Das könnte möglichen Verursachern Anlass geben, vorsichtiger zu agieren. Tatsächlich scheinen aber immer noch die Rechte von Investoren mehr Aufmerksamkeit von der Politik zu bekommen.

    • @DemokratischeZelleEins:

      Woher wollen Sie wissen, ob der See nicht gerne über sein Ufer plätschern möchte, der Felsbrocken nicht irgendwann auch mal im Tal vorbeischauen will oder der Berg Herrn Lliuyas Anwesen als lästigen Furunkel wahrnimmt? Soll Herr Lliuya vielleicht lieber den Berg verklagen? Klagen kann heute schon jeder. Das Ziel einer Klage ist aber (eigentlich) nicht die Klage selbst, sondern eine rechtskräftige Entscheidung herbeizuführen. Dazu dient das Erkenntnisverfahren. Inwieweit würde es die notwendige Erkenntnis bei Fragen, wie der nach der Wahrscheinlichkeit eines Felssturzes, erleichtern, wenn statt eines Bauern die Natur selbst klagt?

  • Die Kläger haben schon jetzt gewonnen, wie der Artikel erklärt, auch wenn sie dieses Verfahren wohl verlieren. Denn nun weiß ein jeder und jede, wie die Schadenseersatzklage funktioniert und welche Kriterien einzuhalten sind. Es wird in den nächsten Jahren sicher tausende andere Fälle geben, in denen sowohl das Sonderopfer hoch genug ist, als auch die nötige Wahrscheinlichkeit der Schadenskausalität gesichert ist. Den großen Energiekonzernen bleibt somit im Ergebnis nur die Flucht in die Insolvenz und Neugründung aus dem industriellen Restbestand.

  • Ein peruanischer Bergführer/Bergbauer klagt gegen RWE. Ich gehe davon aus, dass er den Namen RWE zum allerersten Mal gehört hat, als er von den Eiferern von Germanwatch und der Stiftung Zukunftsfähigkeit bekniet wurde, diese Klage öffentlichkeitswirksam loszutreten. Dass er von diesen nur schamlos instrumentalisiert wird, hat er bis heute nicht begriffen. Und Luisa Neubauer darf natürlich auch nicht fehlen.

    Dieser Versuch, unserem Land ins Knie zu schießen, wird der Sache nicht gerecht und kann unabsehbare Folgen haben. Ich hoffe nur, dass diese Showveranstaltung nicht erfolgreich ist, sonst können wir hier den Laden bald zusperren.

  • Um Macht zu verstehen, dürfen wir unseren Blick wohl in Zukunft mehr auf Unternehmen, Technologien & Milliardäre lenken, als immer nur auf Regierungen.

  • Ich bin ja nun kein Freund des RWE, aber wenn die jetzt wirklich für die Folgen einer frei gewählten Wohnlage in den Anden verantwortlich gemacht werden können, wird da natürlich viele Folgeprozesse für alle möglichen theoretisch Verantwortlichen nach sich ziehen. Unabhängig vom Zeitpunkt und der konkreten Verantwortung für den Einzelfall. Da werden schon die Umwelthilfe und andere profitoptimierte Klagevereine für sorgen. Wenn das dann auch noch nachträglich geltend gemacht werden kann, sollte die eine oder andere Klimaaktivistin unter Umständen schon mal persönliche Rückstellungen im Erbvermögen für die Versäumnisse ihrer Vorfahren bilden.