Klimaaktivistin über Extinction Rebellion: „Es braucht radikale Veränderung“
Ziviler Ungehorsam und Action: Hannah Elshorst von Extinction Rebellion erklärt, was diese Klima-Bewegung von Fridays for Future unterscheidet.
taz am wochenende: Frau Elshorst, „Extinction Rebellion“ hat am Montag die Berliner Oberbaumbrücke besetzt, sodass der Feierabendverkehr stundenlang blockiert war. Was steckt dahinter?
Hannah Elshorst: Es geht uns nicht darum, Autofahrer*innen zu verärgern, sondern generell um Störung. Wir wollen das Alltagsleben stören und die Aufmerksamkeit auf ein Problem lenken, das sonst sehr leicht ignoriert wird: die ökologische Krise. Alle wissenschaftlichen Fakten deuten auf eine Katastrophe hin – und zwar nicht irgendwann in der Zukunft, wir befinden uns schon mittendrin.
Wöchentlich verschwinden von diesem Planten bis zu dreihundert Arten. Und in anderen Teilen der Welt sterben jetzt schon Menschen aufgrund des Klimawandels. Um das zu thematisieren, nutzen wir Aktionen des massenhaften zivilen Ungehorsams, die Spaß machen, bunt und gewaltfrei sind. Außerdem glauben wir: Zwar ist keiner allein schuld, aber wir sind alle dafür verantwortlich.
Sie verwenden eine sehr drastische, düstere Symbolik. Wie passen schwarze Särge und Spaß zusammen?
Wie bedienen zwei Emotionen. Einerseits Trauer: Bei unseren Aktionen sind die Leute oft in Tränen aufgelöst. Wenn man der Klimakatastrophe und dem Artensterben ins Auge blickt, ist das eine unglaublich emotionale Angelegenheit. Dem wollen wir Raum geben – ich denke, das ist auch eine Besonderheit dieser Bewegung.
Wir reden viel über persönliche Dinge, wir pflegen bewusst unsere Community und kümmern uns umeinander. Eine unserer zehn Prinzipien hat genau das zum Inhalt: Wir nennen das „regenerative Kultur“. Viele schleppen ein Gefühl der Ohnmacht mit sich herum. Aber wenn man das offen thematisiert, folgt daraus ganz viel Schönes. Es ist sehr viel fruchtbarer als so ein unspezifisches „Das wird schon alles“.
Also ist die „5 nach 12“-Rhetorik nicht pessimistisch?
Wir sehen das eher als Realismus.
Haben Sie denn überhaupt noch Hoffnung?
Es kommt drauf an, was man unter Hoffnung versteht. Allgemein gibt es eine blinde, passive Hoffnung, die eher eine Leugnung von Fakten ist. Wir finden es sogar wichtig, diese Hoffnung aufzugeben. Denn der Gedanke, man könne sich auf andere verlassen, ist gefährlich. Man sieht ja, dass sich dann nichts ändert. Dann gibt es aber eine andere Hoffnung: Der Glaube, dass wir immer noch das Schlimmste abwehren können. Das ist ein Hauptgrund für uns, weiterzumachen, und diese Hoffnung stirbt hoffentlich nie.
Hannah Elshorst
22, studiert Politikwissenschaft und Kunst in Frankfurt am Main. Im Herbst hörte sie zum ersten Mal von der neuen, radikalen Umweltbewegung Extinction Rebellion (kurz XR), als diese in London Brücken besetzte, und beschloss, sich ganz dem Aufbau des deutschen Ablegers zu widmen.
Extinction Rebellion stammt ursprünglich aus Großbritannien.
Dort hat eine kleine Gruppe aus Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen verschiedene erfolgreiche Proteste – die Bürgerrechtsbewegung, Gandhi und verschiedene Umweltproteste analysiert. Sie kam zum Schluss, dass friedlicher ziviler Ungehorsam die erfolgreichste Methode ist, um Veränderungen zu bewirken.
Ein ermutigender Faktor dabei ist, dass man aus der Bewegungsforschung weiß, dass man nur etwa 3,5 Prozent der Bevölkerung mobilisieren muss, aktiv zu werden. Solange diese Menschen breite Zustimmung erfahren, reicht das für eine radikale Umwälzung. Wir brauchen eine neue, globale Zivilgesellschaft.
Welche Leute sprechen Sie an?
Prinzipiell alle, nicht nur die aus dem traditionell ökologischen oder kapitalismuskritischen Spektrum. Das Thema geht alle an. In nächster Zeit wollen wir noch viel mehr in die Breite gehen.
Bei dieser Offenheit, kann es dann nicht passieren, dass sich Leute anschließen, die ganz andere politische Ziele haben und die Bewegung sozusagen unterwandern?
Wir sehen da bisher keine Gefahr. Wir wollen zwar nichts vorgeben, aber unsere Prinzipien geben schon eine gewisse Linie vor und schließen zum Beispiel rechte Einstellungen oder Verschwörungstheorien aus. Aber wenn sich uns Leute anschließen wollen, die vorher CDU oder FDP gewählt haben, sind die sehr willkommen. Man kann sich auch ganz unterschiedlich einbringen – die individuelle Bereitschaft zu zivilem Ungehorsam ist überhaupt keine Voraussetzung.
Wie funktioniert die Vernetzung?
Dezentral und vor allem über ein transparentes Onlinenetzwerk, in das man ganz einfach eingeladen werden kann. Es gibt schon gut zwanzig Ortsgruppen. Neben der lokalen Ebene vernetzen wir uns auch national und international. Wir bauen diese Struktur auf, während wir schon in Aktion treten – eine ganz schöne Herausforderung und manchmal etwas chaotisch, aber es klappt bisher sehr gut.
Gibt es schon Funktionär*innen? Sie beispielsweise gelten als Sprecherin von XR Deutschland.
Es gibt verschiedene AGs, in denen man sich einbringen kann. Aber feste Rollen gibt es eigentlich nicht. Jeder kann Interviews geben und für die Bewegung sprechen, solange sich das im Rahmen unserer Prinzipien bewegt.
Sie wollen also keine Greta?
Wir haben eine: Greta ist unsere Greta, das Mädchen hat viele inspiriert, darauf können auch wir aufbauen.
Wie ist das Verhältnis zu Fridays for Future und anderen ähnlichen Bewegungen wie „Ende Gelände“ – sind Ihnen die zu „soft“ oder kohlefixiert?
Wir sind zwar sowohl inhaltlich als auch von der Teilnehmer*innenschaft her breiter aufgestellt. Wir sehen uns als komplementäre Akteure einer großen Klimabewegung. Viele von Extinction Rebellion sind auch bei Fridays for Future mit dabei, und viele von uns gehen auch dieses Jahr zu Ende Gelände. Die Schüler*innenstreiks haben zwar eine große Welle ausgelöst, werden aber in ihren Forderungen weitgehend ignoriert. Wir gehen jetzt aber einen Schritt weiter.
Verstehen Sie sich als radikal?
Unsere Forderungen sind das auf jeden Fall. Aber radikal ist ein schwieriges Wort, weil es bei vielen angstvoll besetzt ist. Unsere Botschaft ist, dass man lieber jetzt unangenehme Folgen einer rigorosen Wende in Kauf nimmt, dafür aber den kommenden Generationen eine bessere Zukunft ermöglicht. Was manche als radikal abtun, ist langfristig gesehen also eigentlich rational.
Manche Kritiker*innen sagen, dass Sie zu weit gehen, etwa weil die Forderung nach einer Senkung des Treibhausgasausstoßes auf null bis 2025 unrealistisch ist.
Wir gehen nicht davon aus, was vom jetzigem Standpunkt realistisch erscheint, sondern davon, was notwendig ist. Einige der Maßnahmen sind sicher unbequem, aber man muss es im Verhältnis zur Klimakrise sehen. Es braucht eine radikale Veränderung, und das ist durchaus im Bereich des Möglichen. In Kriegszeiten wurde die Wirtschaft auch in kürzester Zeit komplett umgestaltet.
Bräuchte es Krieg?
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Natürlich nicht, Krieg wäre das Schlimmste, und bewaffnete Konflikte sind eher Folge des Klimawandels. Aber es ist ja fast, als würden wir einen Krieg gegen uns selbst und andere Lebewesen führen, und dagegen könnte man den Klimanotstand ausrufen. Das wäre angemessen, um bestimmter handeln zu können.
Das wurde in London und anderen Städten auf Druck von Extinction Rebellion schon getan. Aber bringt das wirklich was?
Ja, wenn das auch Folgen hat. Wir finden, dass die Regierungen mit den Medien zusammenarbeiten müssten, um das Problem der Bevölkerung überhaupt erst mal richtig zu kommunizieren und tatsächlich in seiner Tiefe begreifbar zu machen. Man müsste auch das Curriculum an den Unis stärker daran ausrichten, auch die schulischen Lehrpläne, und insgesamt die Gesetze nachhaltig verändern.
Große Pläne für eine so junge Bewegung.
Man kann es aber auch so sehen: Es ist irre, wie schnell wir gewachsen sind. Viele haben erst vergangenen November durch die Brückenbesetzungen in London davon mitbekommen, dass Extinction Rebellion überhaupt existiert – auch ich. Wir stehen also noch ganz am Anfang. Wenn wir mit unseren Aktionen aber auch wirtschaftlich immer wieder wirklich stören, dann muss die Regierung irgendwann mit uns in Verhandlungen treten. Mal sehen, wie weit wir kommen.
Wie geht es nach der Rebellion Week weiter?
Wenn dieser erste Aufstand nicht ausreicht, wollen wir größere planen. Die Zeit läuft zwar weiter ab, aber wir haben nichts zu verlieren. Viele Leute investieren gerade sehr viel, um unsere Strukturen weiter aufzubauen. Ich habe mir zum Beispiel extra ein Urlaubssemester genommen. Wir haben unter anderem vor, uns mit größeren Massenaktionen direkt für die Verkehrswende einzusetzen.
Ähnlich wie bei den Brückenbesetzungen. Was sagen Sie eigentlich genervten Autofahrern?
Wir entschuldigen uns und erklären, dass es nicht gegen sie geht. Viele haben sogar Verständnis. Außerdem verteilen wir Flyer und Kekse.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen