Klima-Volksentscheid in Berlin: Briefwähler mussten draußen bleiben
Wegen Wartungsarbeiten konnten Briefabstimmungen am Samstag nur sehr eingeschränkt online beantragt werden. Die Initiative reagiert empört.
Bei dem Entscheid am 26. März stimmen die Berliner*innen über einen Gesetzentwurf ab, wonach das Land bis 2030 seine CO2-Emissionen fast auf null reduzieren muss – bisher ist das bis 2045 vorgesehen. Da bislang überwiegend die Initiative für die Teilnahme an der Abstimmung mobilisiert, wird mit einer niedrigen Beteiligung gerechnet. „Das wird eine knappe Kiste. Am Ende könnten ein paar tausend, vielleicht sogar hundert Stimmen entscheiden“, sagte Zimmer.
Entsprechend wichtig sei die Mobilisierung kurz vor der Abstimmung: Derzeit würden täglich zwischen 25.000 und 45.000 Berliner*innen Briefabstimmung beantragen. Ein fehlender Tag könnte ausreichen, um schließlich am Quorum zu scheitern. Um erfolgreich zu sein, brauchen die Befürworter*innen des Gesetzes rund 613.000 Ja-Stimmen, das entspricht einem Viertel der Abstimmungsberechtigten. „Sollte der Volksentscheid am Quorum scheitern, werden wir eine Anfechtung der Abstimmung in Erwägung ziehen“, erklärte der Anwalt der Initiative, Peter Cremer.
Stefan Zimmer
Nach Auskunft von Landeswahlleiter Stephan Bröchler vom Montag handelte es sich um turnusgemäße, berlinweite und nicht aufschiebbare Wartungsarbeiten durch das IT-Dienstleistungszentrum Berlin; betroffen gewesen seien sämtliche rund 600 IT-Partner*innen. Die Landeswahlleitung alleine könne sich dem nicht entziehen. Nach seiner Auskunft seien die Einschränkungen zudem zeitlich überschaubar geblieben: „Die Online-Beantragung von Abstimmungsscheinen für den Volksentscheid stand lediglich in den Morgenstunden von 4 bis 8 Uhr nicht zur Verfügung“, erklärte Bröchler laut einer Mitteilung. Und weiter: „Die Wartungsarbeiten gewährleisten auch die ordnungsgemäße und technische Durchführung des Volksentscheids Berlin klimaneutral 2030.“
Am 26. März stimmen die Berliner:innen darüber ab, ob die Stadt bis 2030 klimaneutral werden muss. Ist das überhaupt machbar? Und was heißt das für die künftige Politik und einen möglichen schwarz-roten Senat? Darüber diskutieren am Dienstag, 14. März, in der Kantine der taz Jessamine Davis, Sprecherin der Initiative Klimaneustart Berlin, Danny Freymark, Sprecher der CDU-Fraktion für Klima- und Umweltschutz, und Werner Graf, Fraktionschef der Berliner Grünen. Moderiert wird die Veranstaltung von taz Berlin-Leiter Bert Schulz. Beginn 19 Uhr, Eintritt frei, zusätzlicher Livestream auf dem Youtube-Kanal der taz. Alle Details hier.
Die Initiative berichtete jedoch, dass den ganzen Sonnabend über die Seite immer wieder nicht erreichbar war. Bröchler bestätigte dies gegenüber dpa: Bis 18 Uhr sei die Beantragung nur eingeschränkt möglich gewesen. Zudem sei die Ankündigung über diese Einschränkung noch bis Montagmorgen auf der Seite zu lesen gewesen, erklärt Initiativensprecher Zimmer. „Auch das könnte Menschen abgehalten haben.“
Eine schnelle Klage wurde verworfen
Die Initiative war zudem erst am Freitag über die Abschaltung des Onlineangebots unterrichtet worden, sagte der Sprecher weiter. Eine Klage dagegen wäre voraussichtlich erst am Samstagnachmittag verhandelt worden; daher habe man laut dem Sprecher darauf verzichtet. Bisher habe man ein kooperatives Verhältnis zur Landeswahlleitung gepflegt. Bei einem Treffen mit Bröchler im Januar habe man laut Sprecher Zimmer mehrfach nachgefragt, ob es noch absehbar Termine gebe, die man beachten müsse. Nein, habe die Antwort gelautet.
Vorwürfe, die der Senatsinnnenverwaltung untergeordnete Landeswahlleitung halte Volksentscheide für zweitrangig, hatte es bereits bei der Terminfindung gegeben. Der Senat, der den Tag des Entscheids festsetzt, hatte nach längerer Hinhaltetaktik der SPD-geführten Innenverwaltungen eigene Termine für die Wahlwiederholung und den Entscheid angesetzt. Dabei sieht das Abstimmungsgesetz eigentlich vor, beides parallel stattfinden zu lassen, wenn dies zeitlich möglich ist, um auch bei Volksentscheiden eine hohe Beteiligung sicherzustellen.
Die Entscheidung für zwei Termine hatte auch Folgen für die Bezahlung der Wahlhelfer*innen beim Volksentscheid. Während jene am 12. Februar bei der Wiederholungswahl bis zu 240 Euro bekamen und der Andrang so groß war, dass man tausende Angebote abweisen musste, sieht es nun anders aus: Lediglich bis zu 120 Euro bekommen die Abstimmungshelfenden; am Montag warb die Landeswahlleitung per Mitteilung um weitere Unterstützung, vor allem in den Bezirken Tempelhof-Schöneberg, Neukölln und Lichtenberg.
Bröchler selbst hatte die unterschiedliche Vergütung – offziell ein „Erfrischungsgeld“ – im taz-Interview vor der Wahl kritisiert. „Ich habe dafür votiert, die 240 Euro auch beim Volksentscheid zu zahlen“, sagte er und betonte, er könne die Kritik der Initiative daran nachvollziehen.
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