Kleiner Parteitag der Grünen: Aufarbeitung geht fast schon los
Trotz Wahlniederlage ist die Stimmung beim grünen Länderrat versöhnlich. Die inhaltlichen Debatten über den künftigen Kurs hat die Partei allerdings vertagt.

„Kein Wahlkampf kommt ohne Fehler aus. Auch ich habe welche gemacht“, sagt Habeck erst. Aber: Im Vergleich zu früheren Grünen-Wahlkämpfen „waren es gar nicht so viele“. Was genau er im Rückblick hätte anders machen können, führt der scheidende Vizekanzler in seinem Redebeitrag dann nicht aus.
Stattdessen wirft er anderen Akteuren deren Fehler vor: der Union, dass sie ihren Wahlkampf „wesentlich auf Unwahrheiten“ aufgebaut habe, und den Fernsehsendern, dass sie mit ihren Debattenformaten die „Normalisierung der AfD“ vorangetrieben hätten. Aber was es für die Grünen heißt, dass sein Angebot der Bündnispartei und des Brückenbauens von den Wähler*innen nicht angenommen wurde? „Ich räume für mich ein, dass ich ein bisschen Zeit zum Nachdenken brauche“, sagt Habeck dazu.
Zumindest vorerst müssen sich bei den Grünen also andere um die Schlüsse aus der Wahl kümmern. Im Leitantrag für den Länderrat hat der Bundesvorstand um die Parteichef*innen Franziska Brantner und Felix Banaszak den Vorsatz formuliert, zu mehr Klarheit zu finden und bei strittigen Themen die bisher üblichen „Formelkompromisse“ zu überwinden.
Danke, danke
In den „kommenden Monaten“ will man demnach zu Entscheidungen kommen. „Wir schaffen die Voraussetzungen, um diese Debatten zu führen“, sagt Brantner bei der Einbringung des Antrags. In welche Richtung aber das Ergebnis gehen könnte, zum Beispiel in der Asyl- und Migrationspolitik, über die die Partei immer wieder streitet – da will man dem anstehenden Diskussionsprozess nicht vorgreifen.
Robert Habeck, Ex-Spitzenkandidat der Grünen
Der Stimmung im Saal ist das immerhin zuträglich. Scharfe Debatten, die so kurz nach dem Gang in die Opposition denkbar gewesen wären, werden hier noch nicht geführt. Die Redner*innen danken sich gegenseitig für den Einsatz vor, während und nach dem Wahlkampf. Robert Habeck lobt gar, „so sehr eins“ wie in den Wochen vor der Wahl seien er und die Partei nie zuvor gewesen.
Nur gelegentlich wird die Harmonie wirklich gestört. Eine, die es zwischendurch doch wagt, ist Jette Nietzard, die Bundessprecherin der Grünen Jugend. Sie selbst habe Wahlkampf gemacht, weil sie vom grünen Programm überzeugt sei. „Manchmal bin ich mir nicht sicher, für welche Beschlüsse unser Spitzenpersonal gekämpft hat“, sagt sie.
Immer noch uneinig
Wohl am deutlichsten wird Svenja Borgschulte von der parteiinternen Bundesarbeitsgruppe Migration & Flucht. Auch die Grünen hätten beim „Bullshitbingo“ aus Abschiebeoffensiven und Asylrechtsverschärfungen mitgemacht, kritisiert sie.
Von ihrer Arbeitsgruppe gab es Anträge, die Kritik auch in den Leitantrag aufzunehmen. Die Grünen seien im Wahlkampf nicht mehr als „Menschenrechtspartei“ wahrnehmbar gewesen. Dem stand ein Antrag der baden-württembergischen Landesvorsitzenden Lena Schwelling entgegen: Man habe keine Antworten auf die „Probleme und Überlastungen vor Ort gegeben“.
Der Bundesvorstand reagierte auf die Anträge mit einer Kompromissformulierung: Sowohl das eine als auch das andere habe zu einem Vertrauensverlust geführt, heißt es am Ende im einstimmig gefassten Beschluss des Länderrats. Noch geht es nicht ohne Formelkompromiss.
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