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Kleiner Parteitag der GrünenAufarbeitung geht fast schon los

Trotz Wahlniederlage ist die Stimmung beim grünen Länderrat versöhnlich. Die inhaltlichen Debatten über den künftigen Kurs hat die Partei allerdings vertagt.

Die Bundesvorsitzenden Brantner und Banaszak mit Habeck und Baerbock beim Kleinen Parteitag am 6. April Foto: Sebastian Christoph Gollnow/dpa

Berlin taz | Sechs Wochen nach der Bundestagswahl steht Robert Habeck am Sonntag noch mal auf der Bühne seiner Partei. Auf dem Kleinen Parteitag der Grünen, dem sogenannten Länderrat, blickt der gescheiterte Spitzenkandidat auf den Bundestagswahlkampf zurück. Auf der dreistündigen Veranstaltung in Berlin will die Partei über Lehren aus der Niederlage sprechen, da könnte die Analyse des ehemaligen Frontmanns nützlich sein.

„Kein Wahlkampf kommt ohne Fehler aus. Auch ich habe welche gemacht“, sagt Habeck erst. Aber: Im Vergleich zu früheren Grünen-Wahlkämpfen „waren es gar nicht so viele“. Was genau er im Rückblick hätte anders machen können, führt der scheidende Vizekanzler in seinem Redebeitrag dann nicht aus.

Stattdessen wirft er anderen Akteuren deren Fehler vor: der Union, dass sie ihren Wahlkampf „wesentlich auf Unwahrheiten“ aufgebaut habe, und den Fernsehsendern, dass sie mit ihren Debattenformaten die „Normalisierung der AfD“ vorangetrieben hätten. Aber was es für die Grünen heißt, dass sein Angebot der Bündnispartei und des Brückenbauens von den Wäh­le­r*in­nen nicht angenommen wurde? „Ich räume für mich ein, dass ich ein bisschen Zeit zum Nachdenken brauche“, sagt Habeck dazu.

Zumindest vorerst müssen sich bei den Grünen also andere um die Schlüsse aus der Wahl kümmern. Im Leitantrag für den Länderrat hat der Bundesvorstand um die Par­tei­chef*in­nen Franziska Brantner und Felix Banaszak den Vorsatz formuliert, zu mehr Klarheit zu finden und bei strittigen Themen die bisher üblichen „Formelkompromisse“ zu überwinden.

Danke, danke

In den „kommenden Monaten“ will man demnach zu Entscheidungen kommen. „Wir schaffen die Voraussetzungen, um diese Debatten zu führen“, sagt Brantner bei der Einbringung des Antrags. In welche Richtung aber das Ergebnis gehen könnte, zum Beispiel in der Asyl- und Migrationspolitik, über die die Partei immer wieder streitet – da will man dem anstehenden Diskussionsprozess nicht vorgreifen.

Kein Wahlkampf kommt ohne Fehler aus. Auch ich habe welche gemacht

Robert Habeck, Ex-Spitzenkandidat der Grünen

Der Stimmung im Saal ist das immerhin zuträglich. Scharfe Debatten, die so kurz nach dem Gang in die Opposition denkbar gewesen wären, werden hier noch nicht geführt. Die Red­ner*in­nen danken sich gegenseitig für den Einsatz vor, während und nach dem Wahlkampf. Robert Habeck lobt gar, „so sehr eins“ wie in den Wochen vor der Wahl seien er und die Partei nie zuvor gewesen.

Nur gelegentlich wird die Harmonie wirklich gestört. Eine, die es zwischendurch doch wagt, ist Jette Nietzard, die Bundessprecherin der Grünen Jugend. Sie selbst habe Wahlkampf gemacht, weil sie vom grünen Programm überzeugt sei. „Manchmal bin ich mir nicht sicher, für welche Beschlüsse unser Spitzenpersonal gekämpft hat“, sagt sie.

Immer noch uneinig

Wohl am deutlichsten wird Svenja Borgschulte von der parteiinternen Bundesarbeitsgruppe Migration & Flucht. Auch die Grünen hätten beim „Bullshitbingo“ aus Abschiebe­offensiven und Asylrechtsverschärfungen mitgemacht, kritisiert sie.

Von ihrer Arbeitsgruppe gab es Anträge, die Kritik auch in den Leitantrag aufzunehmen. Die Grünen seien im Wahlkampf nicht mehr als „Menschenrechtspartei“ wahrnehmbar gewesen. Dem stand ein Antrag der baden-württembergischen Landesvorsitzenden Lena Schwelling entgegen: Man habe keine Antworten auf die „Probleme und Überlastungen vor Ort gegeben“.

Der Bundesvorstand reagierte auf die Anträge mit einer Kompromissformulierung: Sowohl das eine als auch das andere habe zu einem Vertrauensverlust geführt, heißt es am Ende im einstimmig gefassten Beschluss des Länderrats. Noch geht es nicht ohne Formelkompromiss.

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10 Kommentare

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  • Die Grünen sind ganz sicher nicht die teuflischen Kräfte, als die AfD CSU und Konsorten sie beschreiben.

    Man muss ihnen auch zugestehen, dass sie ihren Wählendenstamm immer wieder mobilisieren oder sogar ausweiten.

    Die Probleme sind vielmehr: Kein vorhandenes soziales Gewissen mehr, mangelnde Leidenschaft, Opportunismus.

    Kurz: Ein satter "Mittismus", Langeweile, Mittelmaß.

    Wenn die Grünen es wirklich einmal schaffen, ihr eigenes Programm kostenneutral für Geringverdiener umzusetzen oder die Lebensbedingungen der Menschen, die ohne Silberlöffel im Mund geboren wurden, zu verbessern, wären sie auch für mich wieder wählbar.

    Die Frage ist: Wollen sie das WIRKLICH?

    • @Stavros:

      Ich sehe es wie Sie, das vergessen der sozialen Komponente, macht die Grünen auch für mich unwählbar.



      Bei mir kommt aber noch die Außenpolitik hinzu, mit den Themen Gaza und Völkerrecht. Was man Putin zurecht vorwirft, wird bei Israel durchgewunken, zum Beispiel Angriffe auf die zivile Infrastruktur. Ebenso schwierig als Habeck eine Distanzierung aller Muslime in Deutschland von der Hamas gefordert hat, weil sie sonst ihren Schutz verlieren könnten.



      Ebenso Chancengleichheit und Bildung, die Privatschulen kommen bei den Grünen sehr gut weg.



      Die Bereitschaft zum Krieg finde ich auch schwierig, Katrin Göring-Eckardt wäre gerne in Syrien dabei gewesen und der Anton in der Ukraine.



      Ebenso will man den Verhältnissen nicht rütteln, durch eine gerechtere Besteuerung von Lohnarbeit im Vergleich zur Erbschaft, Vermögen und Einkommen.



      Und jetzt am Ende das ausbooten von Helga Schmid, um sich selbst den Posten bei der UN zu sichern, ist ein Eigentor. Es wird eben nicht die Person mit den besten Voraussetzungen, sondern diejenige mit den besten Verbindungen benannt.



      Und mehr Zeit zum Nachdenken, ist dann wohl die neue Version von "ich kann bei mir keine Fehler entdecken".

      • @Moritz Pierwoss:

        Ich stimme Ihnen bei allen Beispielen zu!

    • @Stavros:

      Ist doch so. Energieverschwender - das sind die Reichen - zahlen dann mehr, Sparsame (freiwillig oder notgedrungen) weniger.

      Die Grünen haben für ihre Wählerschaft auch eine auffällig hohe soziale Neigung in ihren Programmen und Konzepten.

      Die scheinen das bereits zu wollen.

      • @Janix:

        Wollen und Tun sind zwei paar Schuhe.

        Die Grünen "wollten" auch Kindergrundsicherung, Vermögensbesteuerung und günstige Mieten.

  • "Auch die Grünen hätten beim „Bullshitbingo“ aus Abschiebe­offensiven und Asylrechtsverschärfungen mitgemacht, kritisiert sie."

    Richtig. Und allerspätestens damit haben sie mich als Wähler verloren. Politik heißt Kompromisse schließen. Aber Kompromiss heißt nicht, Menschenrechten ins Gesicht zu treten. Wenn man schon das faktenlose Geschwurbel von "grünem Wachstum" als Kompromiss zu echter sozialökologischer Transformation ansieht, ist an dieser Stelle für mich Schluss.

    Und es wird sicher schwer, den Wählern für das nächste Mal weißzumachen, dass die Grünen nun plötzlich zum Asylrecht stehen und dass ihnen die Tatsache, dass unser Raubtierkapitalismus dafür gesorgt hat, dass Mieten unbezahlbar geworden sind, nicht völlig am Arsch vorbei geht. Und dass eben dieses widersinnige Wirtschaftssystem auch für den Rechtsruck und die Klimakatastrophe verantwortlich ist.

    Aber WählerInnen haben ja ein kurzes Gedächtnis, also vielleicht klappt's doch.

    • @Jalella:

      Ich denke Sie waren bei den Grünen zu keinem Zeitpunkt in der für Sie "richtigen" Partei, denn diese steht und stand niemals für eine Abkehr vom Kapitalismus bzw. einem Systemwechsel.

  • Das Foto hat sowas von: ‚Wer erzählt den schlechtesten Witz?‘

  • Die Zahl der Delegierten müsste sich mehr nach der Zahl der Grün-Wähler einer Region richten statt nach den Mitgliederzahlen. Das ergäbe vermutlich mehr Übereinstimmung mit den Interessen und Vorstellungen der Bürger.



    Dass die Partei bei Asyl- und Steuerfragen links von vielen ihrer Wähler agiert, mehr noch ihres Wählerpotentials sollte bekannt sein, und dann vereinfacht sich auch die Wahlanalyse.

  • Wer keine Klimaliste grünlinks von sich haben will, wer auch ausreichend gegen Umwelt- und Klimaschäden vorgehen will, muss stärkere Saiten als Habeck und Brantner anschlagen, ganz klar.

    So gut die dem Land auch zwischenzeitlich getan haben. Beides.



    Wir brauchen für den nächsten Wahlkampf weniger BMW, Nius und Bild und mehr taz & Co.