„Kitchen Culture“ in Pinakothek München: Als das Private politisch wurde
Die moderne Küche ist erst 100 Jahre alt. Vorher bestand sie aus einzelnen Gegenständen. Eine Ausstellung zeigt auch ihre politischen Dimensionen.
Man verbringt ja jeden Tag Lebenszeit in der Küche und missachtet sie doch mit Ignoranz. Essen und Trinken sind wichtig, Arbeitsflächen und Ablageschränke weniger. Je nach Veranlagung und Prioritätensetzung der Nutzer ähneln manche Küchen Müllhalden, andere sehen aus wie noch nie benutzt.
Der Einbauküche und ihrer Geschichte widmet sich die Münchner Pinakothek der Moderne in einer Ausstellung. Sie ist fast 100 Jahre alt – davor bestanden Küchen aus einzelnen Kochgeräten und Möbelstücken. Der Urtyp ist die „Frankfurter Küche“, die ab 1926 in Serie gefertigt und in 10.000 Sozialwohnungen der hessischen Großstadt eingebaut wurde.
Die Idee: Arbeitsoptimierung. Die österreichische Architektin Margarete Schütte-Lihotzky hatte sie schon als 27-Jährige entwickelt. „Sowohl die Frauen des Mittelstandes“, so sagte sie, als auch „Frauen des Arbeiterstandes“, welche häufig auch berufstätig sind, seien so überlastet, „dass ihre Überarbeitung auf die Dauer nicht ohne Folgen für die gesamte Volksgesundheit bleiben kann.“
Die in München ausgestellte Frankfurter Küche – aus der Florstädter Straße 13 – ist wie alle anderen nur 6,5 Quadratmeter groß. Wer darin steht und arbeitet, muss sich fast nicht vom Fleck bewegen. Der Wasserhahn und die Spüle sehen ebenso antiquiert aus wie der Herd mit seinen drei Kochplatten.
„Kitchen Culture“, Design-Museum der Pinakothek der Moderne, München, Ausstellung dauerhaft
Heute sind vor allem die „Schütten“ zu Liebhaberstücken geworden – Vorratsbehälter aus Aluminium, die in einem Schrank stehen und beschriftet sind mit „Bohnen“, „Erbsen“ oder „Zucker“. Farblich dominieren braunes Holz sowie das Beige der Schubladen und Hängeschränke.
Superfunktional
Diese Küche wird durchaus auch als politischer Raum gesehen, der den Frauen manches an der bisherigen Schufterei ersparen soll. Von Gleichberechtigung war in dieser Zeit auch in der Linken noch keine Rede. Margarete Schütte-Lihotzky übrigens war die erste Architektin Österreichs überhaupt und starb 2000 wenige Tage vor ihrem 103. Geburtstag.
Ähnlich funktional und sogar noch etwas kleiner als die Frankfurter zeigt sich die Küche des Architekten Le Corbusier, des Meisters des Bauhauses, aus den späten 1940er Jahren. Sie ist deutlich farbenfroher: Manche Küchenfächer haben eine Schiebetür, andere sind braun. Die Arbeitsflächen bestehen aus ocker-dunkelroten Steinkacheln. Ein sehr kleiner Kühlschrank mit einem altertümlichen Verschlussgriff sticht hervor.
Eingebaut wurden die Küchen 1946 bis 1952 in einem von Le Corbusier selbst entworfenen ziemlich hohen und sehr langen Hochhaus in Marseille, der „Cité radieuse“, also der vertikalen Stadt. Jedes Stockwerk sollte ein eigenes Dorf sein mit Einkaufsmöglichkeiten, Dienstleistungen, Gemeinschaftsräumen.
Ob das Konzept funktioniert, darüber gehen die Ansichten auseinander. Bald nach Errichtung wurden die Miet- zu Eigentumswohnungen, in denen Architekturbegeisterte hoffentlich noch mit ihren Original-Le-Corbusier-Küchen leben. In Berlin gibt es mit dem Corbusierhaus ein ähnliches Bauwerk.
Die Idee der bunten Küche wurde in der DDR weiterentwickelt mit dem geräumigen Eschebach-Modell von 1956. Die Elemente sind in Pastell gehalten wie Rosa oder Hellgrün. Das Produkt vom VEB Küchenmöbel Radeberg war sowohl im eigenen Land als auch beim sowjetischen Bruder sehr beliebt.
Das Grauen vor dem Küchenstudio
In die Welt der modernen Bungalow-Bürgerlichkeit zieht einen der dänische Architekt Arne Jacobsen mit seiner Wohnküche von 1957. Den Küchenelementen ist ein großer Holztisch zum Sitzen vorgelagert. Die typischerweise sehr tief hängende Lampe darüber mit dem großen halbrunden Schirm darf nicht fehlen. Diese Küche war ein Statement gegen Gelsenkirchener Barock und bayerischen Landhausstil.
Aus neuerer Zeit wird eine Bulthaup-„Küchenwerkbank“ (1984) des Designers Herbert H. Schultes gezeigt, aus blankem Stahl. Sie erinnert an eine Großküche oder einen Seziertisch.
Die Kochinsel „Erlkönig“ des Kollektivs J*Gast von 2020/21 ist ganz in flirrendem, kleinteiligem Zebradesign in Schwarz und Weiß gehalten, auch die Spüle, die abgedeckten Kochplatten und selbst der Wasserhahn.
Nicht jedem dürfte die Farbgestaltung gefallen, könnte sie doch nach einer gewissen Zeit zu Gereiztheit oder Kopfschmerz führen. Ist eine neue Küche nötig, so graut es manch einem vor dem Gang ins Einrichtungshaus oder Küchenstudio. Vor den Ausmessungen, der Dicke der Bretter, der Auswahl der Beschläge.
Induktion, Gas oder ganz normal? Mikrowelle eingebaut oder nicht? Verschraubt oder geleimt? Welche Front überhaupt, die doch, wie es in der Werbung heißt, „mehr als schöne Fassade“ ist? Fragen über Fragen.
Wie schön Einbauküchen doch sein, was sie erzählen können, was sie bedeuten, das zeigt diese kleine Ausstellung. Von den Anstrengungen zur Proletarierinnenbefreiung bis zum elitären Protzstück.
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