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Kitaplätze und BildungsföderalismusDeutschland versteinert

Gastkommentar von Daniel Dettling

Kitaplätze fehlen, die Sprachförderung wurde gestrichen: Warum es hierzulande einen neuen Bildungsföderalismus braucht.

In den Kitas fehlen bis zu über 340.000 Plätze Foto: Felix König/Agentur 54 Grad/imago

B und, Länder und Gemeinden benötigen Hunderttausende Lehrer und Erzieher:innen. In den Kitas fehlen über 340.000 Plätze. Bis zu 40 Prozent der Kinder werden in einzelnen Bundesländern nicht betreut, obwohl ihre Eltern dies wünschen. Ein politisches Armutszeugnis mit weitreichenden ökonomischen und sozialen Folgen.

Das Institut der deutschen Wirtschaft bescheinigte dem deutschen Bildungssystem jüngst einen Rückfall: Der Lern­erfolg der Schü­le­r:in­nen liege heute im Durchschnitt aller Bundesländer auf dem Niveau, den 2011 das damals schlechteste Bundesland Bremen erreicht hat. Fast gleichzeitig warnt der Bundesrechnungshof vor der finanziellen Handlungsunfähigkeit des Staates. 90 Prozent des Bundeshaushalts seien bereits „versteinert“, das heißt ausgegeben: Pensionspflichten des Staates gegenüber Beamten, Steuerzuschüsse an die gesetzliche Rentenversicherung und weitere Sozialausgaben. Bis 2040 würden allein die Ausgaben für altersbedingte Vorhaben auf jährlich 282 Milliarden Euro steigen. Für die Reparatur des anhaltenden Versagens in der Bildungspolitik gibt der Staat immer mehr Geld aus.

Bild: Neumann und Rodtmann
Daniel Dettling

ist Politikwissenschaftler und leitet das von ihm gegründete Institut für Zukunftspolitik. Sein aktuelles Buch: „Eine bessere Zukunft ist möglich. Ideen für die Welt von morgen“ (Kösel 2021). Der Artikel erscheint in einer längeren Fassung in der Oktober-Ausgabe von Kommunal.

Besser wäre der umgekehrte Weg. Je früher und massiver in Erziehung und Bildung investiert wird, desto höher ist später die Rendite für Wirtschaft, Gesellschaft und den Einzelnen. Betroffen sind vor allem zwei Gruppen: Frauen und Kinder. Mütter, die ihre Erwerbswünsche nicht erfüllen können und auf Beruf und Karriere verzichten müssen. Deutschland ist europäischer „Teilzeitmeister“. Mehr als zwei Drittel (69 Prozent) der Frauen mit minderjährigen Kindern arbeiten hierzulande in Teilzeit. Im EU-Durchschnitt ist es nur jede dritte Frau (34 Prozent).

Die Steigerung der Erwerbstätigkeit von Frauen hat für die Bundesregierung das größte Potenzial. Laut Studien liegt es bei derzeit nicht erwerbstätigen Müttern bei rund 840.000. In einem ansonsten reichen Land wie unserem ist „alleinerziehend“ inzwischen das größte Armutsrisiko. Kinder, die eine Kita besuchen, entwickeln sich besser, sind in der Schule erfolgreicher, verdienen später mehr und leben gesünder. Umgekehrt machen Kinder, die keine Kita besucht haben, seltener eine Berufsausbildung, werden eher kriminell und leben ungesund. Investitionen in Kitas lohnen sich ökonomisch und sozial am meisten.

Jede achte Kita ist eine Sprach-Kita

Dennoch investieren Bund und Länder zu wenig in die ersten Jahre. Die jüngste Entscheidung der Ampelkoalition, das Programm der Sprach-Kitas zu beenden, ist besonders fatal. Die jährlich 240 Millionen Euro sind gut angelegtes Geld. Von dem 2016 gestarteten Bundesprogramm haben bislang mehr als 500.000 Kinder profitiert. Gefördert wurden zusätzliche Kitafachkräfte, die ausschließlich für sprachliche Förderung in den Einrichtungen zuständig sind.

Jede achte der bundesweit 58.000 Kitas ist eine Sprach-Kita. Begründet wird die Entscheidung mit dem Hinweis, dass die Zuständigkeiten für Kitas bei den Ländern liegen und diese doch nun die Finanzierung der Sprachförderung übernehmen können. Damit dreht der real existierende Föderalismus eine neue absurde Runde. Der Bund finanziert ein wichtiges Programm vor, ohne dabei sicherzustellen, dass die Länder die erfolgreich installierten Strukturen später auch weiterfinanzieren können.

Im föderalen Bundesstaat gehört Bildung zu den Kernaufgaben der Bundesländer. Ökonomische und soziale Trends sprechen jedoch für Ausweitung des kooperativen Föderalismus und eine Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern. So erwarten Wirtschaft und Gesellschaft in einer vom Fachkräftemangel geprägten Zukunft mehr Bildungsgerechtigkeit und -qualität. Bildung, Integration und Zuwanderung gehören politisch zusammen.

Warum sollen künftig Hunderttausende ausländische Fach- und Arbeitskräfte nach Deutschland kommen, wenn Bund und Länder bereits in den Kitas auf Sprach- und Integrationsförderung verzichten? Von den beiden weltoffenen und liberalen Integrationsparteien Grüne und FDP erwarten Wähler und Wirtschaft zu Recht mehr. Selbst die Unionsparteien fordern mehr Förderung, nachdem sie zuvor jahrelang das Kooperationsverbot in Bildungsfragen wie eine Monstranz vor sich hertrugen.

Der Bund soll nicht alles bezahlen

Kooperativer Föderalismus heißt aber nicht, dass der Bund alles bezahlt. Wer allein bezahlt, bestimmt am Ende alles. Eine Alleinfinanzierung des Bundes würde zu einer schleichenden Aushöhlung des Föderalismus führen, der zur Zentralisierung von Macht und Ohnmacht führt. Bildungsföderalismus ist nicht per se Mist, wie viele in Berlin auf Bundesebene behaupten. Ein föderaler Flickenteppich aber schon.

Es braucht beides: mehr Investitionen des Bundes und mehr Commitment der Länder. Ein kooperativer Wettbewerbsföderalismus der besten Ideen setzt auf einheitliche Ziele und Standards, Monitoring und Evaluation. Der Bund sollte die (weitere) Finanzierung von der Erreichung gemeinsam definierter Ziele abhängig machen, die eine unabhängige Instanz – etwa eine Stiftung – überprüft und veröffentlicht. Ein Netzwerk und Bündnis von erfolgreichen Kitas wäre die Folge.

Vor gut 200 Jahren leiteten Karl Freiherr vom Stein und Karl August von Hardenberg Staatsreformen ein, die zur Transformation des absolutistischen Stände- und Agrarstaates Preußen zum aufgeklärten National- und Industriestaat führten. Zu den drei Säulen der Reformen gehörten damals die Selbstverwaltung der Städte, eine weitreichende Bildungsreform und die Modernisierung des Heeres.

Auf die Reformen folgte die wachstumsstärkste Phase in der deutschen Geschichte. 100 Milliarden Euro haben die Ampel-Parteien für eine bessere Ausstattung der Bundeswehr infolge des russischen Angriffskriegs in der Ukraine angekündigt, 20 Milliarden Euro für Tankrabatt und 9-Euro-Ticket bereits in diesem Jahr ausgegeben. Kinder gehen wieder einmal leer aus. Für die Zukunft ist das zu wenig. Deutschland droht die Versteinerung.

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6 Kommentare

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  • Gibt's nen Link zu der Studie die belegen soll, dass der Kita-Besuch vor Kriminalität schützt?

  • Schafft das Ehegattensplitting endlich ab und verwendet die Einsparungen für den Ausbau der Kinderbetreuung. Diese Herdprämie für westdeutsche Hausfrauen ist sowieso ein Anachronismus.

    • @Šarru-kīnu:

      Wer das Ehegattensplitting abschaffen möchte, sollte mir erst erklären, welche Verbesserung eine Erhöhung der Steuerlast auf das gemeinsame Einkommen einer Familie für die Familie bringen soll? Sie sollten die Steuerabzüge auf einer Lohnabrechnung nicht mit der zu zahlenden Steuer auf das Gesamteinkommen verwechseln. Oder, um es mit Helmut Kohl zu sagen: Wichtig ist was hinten raus kommt.

      • @Adele Walter:

        Angesichts der aktuellen Strukturen wäre die Aufgabe des Ehegattensplittings für ein solches Projekt nur rausgeworfen Geld. Was es braucht ist eine Strukturrevolution. Dann würde die Summe der bisherigen Etats auch ausreichen.

      • @Adele Walter:

        Wieso sollte ich die Situation von Besserverdienern denn zwingend verbessern wollen? Schauen Sie einfach mal wer das Ehegattensplitting nutzt. Da gibt es eine ganz erhellende Karte mit der deutschlandweiten Verteilung bei der die Gegenden um München, Stuttgart, Hamburg und Frankfurt am Main sofort ins Auge fallen. Im Osten wird das Splitting im Gegensatz kaum genutzt. Es gibt einfach nicht die großen Gehaltsunterschiede und allgemein sind Besserverdienende hier etwas rarer. Ich will das jeder in der Steuerklasse Steuern zahlt in die er auch gehört. Anreize für Spitzensteuersatzzahler einen Ehepartner ohne Einkommen zu haben, um in eine niedrigere Steuerklasse zu rutschen durch die gemeinsame Veranlagung braucht kein Mensch. Die Mehreinnahmen sollten direkt in die Kinderbetreuung gehen.

  • Der Autor benennt die Probleme, jedoch nicht die richtige Lösung. Der Föderalismus im Bildungsbereich ist das Problem, also muss er an dieser Stelle weg. Weniger radikale Schritte der vergangenen Jahre haben die Situation verschlechtert, anstatt diese zu verbessern.

    Besonders schlimm zeigt sich die Situation in Berlin, wo wir stattintern mit den Bezirken einen weiteren Föderalismus haben. Dies hat jedoch nur zur Folge, dass niemand für die Misere verantwortlich ist.

    Ohne eine Beendigung des Föderalismus in diesem Bereich werden wir niemals ein passendes Onlineangebot bekommen. Die Kultusministerkonferenz ist langsamer als der Pabst.