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Kinderarmut und KindergrundsicherungArmut ist teurer als Grundsicherung

Die Kosten von Kinderarmut sind langfristig sehr hoch, so ein Gutachten. Ministerin Paus hat nun den Entwurf für eine Grundsicherung fertiggestellt.

Familienministerin Lisa Paus bei einem Besuch in einer Kita in Offenbach Foto: Janine Schmitz/photothek/imago

Berlin epd | Diakonie-Präsident Ulrich Lilie fordert, die geplante Kindergrundsicherung nicht klein zu sparen. Lilie sagte am Freitag in Berlin bei der Vorstellung eines Gutachtens zu den finanziellen Auswirkungen von Kinderarmut und Kindergrundsicherung: „Wer bei den Kindern spart, zahlt später drauf.“

Kinderarmut koste den Staat und damit die Bevölkerung langfristig das Vielfache einer auskömmlichen Existenzsicherung für alle Kinder, erklärte Lilie. Gesunde und gut ausgebildete Kinder hätten deutlich bessere Chancen, als Erwachsene ihren Lebensunterhalt zu verdienen als Kinder, die mit staatlichen Hilfen groß werden.

Der Diakonie-Chef stellte ein Gutachten von DIW Econ, einer Beratungstochter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) im Auftrag der Diakonie vor. Danach werden die Kosten der verfestigten Kinderarmut in Deutschland auf jährlich 110 bis 120 Milliarden Euro geschätzt.

Das wäre das Zehnfache der von Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) für die geplante Kindergrundsicherung anfangs verlangten Summe von zwölf Milliarden Euro jährlich. Inzwischen hat sie ihre Forderung auf bis zu sieben Milliarden Euro reduziert.

Verschiedene Varianten

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) will die Ausgaben bei zwei Milliarden Euro deckeln. Die beiden Minister verhandeln seit Monaten über einen Kompromiss. Zuletzt brach der Streit anlässlich eines Steuersenkungsprogramms für die Wirtschaft erneut offen aus. Die Familienministerin hatte am Mittwoch mit einem Vorbehalt verhindert, dass Lindners Gesetz mit Steuererleichterungen für die Wirtschaft in Höhe von mehr als sechs Milliarden Euro vom Kabinett beschlossen werden konnte. Die FDP hatte ihr daraufhin Erpressung vorgeworfen.

Am Freitag erklärte Paus, sie habe ihren Gesetzentwurf für die Kindergrundsicherung nun fertiggestellt. Er liege dem Bundeskanzleramt und dem Bundesfinanzministerium vor, sagte sie dem Nachrichtenportal The Pioneer. Wie von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gewünscht, habe sie unterschiedliche Varianten vorgelegt. Paus hatte zuvor der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gesagt, weil es noch Klärungsbedarf gebe, werde das Gesetz auf die Tagesordnung der Kabinettsklausur in Meseberg Ende des Monats gesetzt.

In der Kindergrundsicherung sollen die Familienleistungen zusammengefasst werden. Nach dem Willen von SPD und Grünen sollen bedürftige Familien insgesamt höhere Leistungen erhalten als heute. Die FDP will nur eine Verwaltungsvereinfachung, um sicherzustellen, dass alle Familien die ihnen zustehenden Leistungen bekommen.

Jedes fünfte Kind in Armut

Die Diakonie geht davon aus, dass mindestens 20 Milliarden Euro im Jahr notwendig sind, um die Kinderarmut effektiv zu senken. Der Studie zufolge ist zwischen 2010 und 2021 der Anteil armutsgefährdeter Kinder noch einmal von rund 18 Prozent auf knapp 21 Prozent gestiegen. Im Bevölkerungsdurchschnitt lag die Armutsquote bei rund 16,5 Prozent.

Die aktuelle Debatte sei „aus der Perspektive von Familien mit Kindern unwürdig und beschämend“, sagte die Präsidentin des Deutschen Kinderschutzbunds, Sabine Andresen, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland. Ungefähr jedes fünfte Kind in Deutschland wachse in Armut auf.

„Und wenn der Kampf gegen diese Kinderarmut nicht priorisiert wird, dann wird eine Chance vertan“, sagte Andresen: „Die Gesundheit und die Bildungschancen von Kindern, die in Armut aufwachsen, sind erheblich beeinträchtigt.“ Das wirke sich auch wirtschaftlich aus.

Als armutsgefährdet gilt ein Haushalt, dessen Einkommen niedriger ist als 60 Prozent des mittleren Einkommens aller Haushalte. Rund zwei Millionen Kinder beziehen Bürgergeld.

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16 Kommentare

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  • Grundsicherung ist teurer als Bildung, Sprachkurse und Kitaausbau.

    Es gibt Kommunen, denen fehlt einfach nur das Geld für den Kitaausbau. Private Hilfen für die Kinder können sich Niedriglöhner auch nicht mit einer Kindergrundsicherung leisten. Und auch die notwendigen Sprachkurse für die Eltern fehlen dann immer noch.

    Ich halte die Politik von Frau Pau für fantasielos. Warum werden wirkliche Probleme, die auch der Koalitionspartner anspricht, nicht angegangen und stattdessen einfach nur ideenlos Geld verteilt?

  • Das ist wieder ein toller Froschungsbericht, es werden zukünftige Kosten gerechnet. Ob die eingesetzten Mittel diese zukünftigen Kosten wirksam senken können, darf dann nicht mehr diskutiert werden.

  • Gebt das Geld in Einrichtungen, die sich um Kinder kümmern. Die ihnen Frühstück und Mittagessen geben und Spass und Betreuung.



    Nur so haben die Kinder wirklich etwas davon.



    Paus Vorschlag dient nur dem Wahlkampf und ist nicht wirklich kinderfreundlich.

  • Es ist doch total unlogisch, wenn die FDP massiv fordert, dass auf Grund des durch deren eigene Familienpolitik in der Vergangenheit verursachten demographischen Faktors, nun möglichst alle Bürger*Innen vollzeit arbeiten gehen sollen, egal, ob sie Kinder oder Pflegebedürftige zu versorgen haben, oder bereits im Rentenalter sind.



    Der Trick, einfach das Rentenalter anzuheben, nur weil es durch die medizinischen Fortschritte besser möglich ist Menschen länger am leben zu halten, ist perfide. Die Schlussfolgerung, dass alle auch länger arbeitsfähig wären, ist bislang nicht belegt.



    Die Lebenserwartung sinkt mittlerweile allerdings, ggf. auch dadurch, weil die Boomer im arbeitsfähigen Alter derart ausgenutzt und überlastet wurden, oder gezwungen waren in schädlichen Arbeitsverhältnissen zu arbeiten.

    Im gleichen Zuge nun Kinder in unterversorgten Zuständen bildungstechnisch abzuhängen, ist doch selbst unter neoliberaler Denkweise unlogisch!



    Diese Kinder stehen dem qualifizierten Arbeitsmarkt dann eher seltener zur Verfügung, aber ggf. will die FDP wieder nur unliebsame kostenintensive Politikfelder an andere Parteien delegieren, wie bei der Energie- und Umweltpolitik bereits geschehen.

  • Solange die FDP die Hilfsgelder, Corona-, Energie-, Benzinhilfen etc. grinsend mit der Gießkanne ausgibt, und sogar noch, entgegen öffentlicher und fachlicher Warnungen, dafür sorgt, dass gerade die reichsten in unserer Gesellschaft davon am meisten profitieren und die meisten Gelder erhalten, solange darf das Geld, auf das arme Familien einen teiles sogar durch das Grundgesetz abgesicherten Anspruch haben, nicht auf die Goldwaage gelegt werden.



    Hierbei hat die FDP definitiv ihre Glaubwürdigkeit verwirkt, wenn sie nun mit leeren Kassen argumentiert.



    Es mag sein, dass es Familien in bestimmten Millieus gibt, die dieses Geld nicht ihren Kindern zugute kommen lassen, evtl. auch, weil sie in der Vergangenheit mit zu wenig Geld auskommen mussten, und sich Löcher aufgetan haben, oder, weil sie einfach mit der ganzen Situation überfordert sind, oder die ländliche Wohnsituation alleine schon keine anderen Möglichkeiten bieten.



    Wenn man ausschließlich in diesen Brennpunkten beruflich zuständig und unterwegs ist, hat dies Einfluss auf die Wahrnehmung der Problemlagen.



    Dies lässt allerdings die vielen Familien außer acht, wo die Eltern hungern, damit die Kinder diese Mangelsituation nicht spüren, und die vielen Alleinerziehenden, die alleine wg. Tod oder Trennung die Familie ernähren müssen, aber nicht ganztags arbeiten können, oder im Berufsleben nur wg. der Kinder diskriminiert werden oder erst gar keinen Job bekommen.



    Ich war lange im Verein alleinerziehender Mütter und Väter aktiv, ich persönlich kenne keine Familie, die ihren Kindern gegenüber in solchen Mangellagen nicht verantwortlich umgehen, sondern eher das Gegenteil.

  • Warum wird nicht ein Teil des Sondervermögens für die Bundeswehr benutzt, das Geld ist noch fast alles da, denn soviel Waffen werden für Deutschland sowieso nicht genehmigt.

  • Derzeit läuft eine Evaluation zur Anpassung des Grundbedarfes der Kinder.

    Bevor man jetzt irgendwelche Systemänderungen vornimmt, sollte man die Ergebnisse der Evaluation abwarten und die Regelsätze des bisherigen Systems anpassen.

    Das Problem der Kindergrundsicherung ist halt, dass nicht kontolliert werden kann, dass die ausgezahlten Gelder tatsächlich den Kindern zu Gute kommen oder einfach nur in das Haushaltsbudget aufgenommen werden. Bereits der Name des Gesetzes ist daher irreführend.

  • Dann wäre es höchste Zeit die Eltern in fair bezahlte Jobs zu bringen.

  • In dem ganzen Text geht's um Geld. Um Armut zu bekämpfen. Gesunde gebildete Kinder...wertvolle verdienende und facharbeitende Erwachsene. Soweit so ökonomisiert argumentiert so ein Kinderleben. Das freut den Kapitalisten in mir!



    Ich würde mal ähnlich ausführlich gerne lesen was denn mit dem im Idealfall Geld ohne Ende angestellt wird. Jedes Kind oder Eltern aufs Bankkonto Betrag xyz, Ausbau KiTas in Brennpunktvierteln, Nachhilfelehrer bezahlen, Kulturgutscheine für die Jungen usw.



    Bedenken: Wenn wie hier, rein ökonomisch kapitalistisch argumentiert wird, braucht man sich nicht über kurzfristige 'Geht nicht, kein Geld ohne tollste Wirtschaftsdaten' nicht wundern. Den Menschen hat noch nie interessiert heute Geld auszugeben damit morgen was gespart wird....sonst hätten wir weniger Staatsschulden, Klimakrise usw. Der Mensch denkt nur an heute...und da hat er, der Mensch Lindner eben kein Geld. Eigentlich wie immer!

  • Ich arbeite in der Familienhilfe und halte gar nichts davon, den betroffenen Familien einfach mehr Geld auszuzahlen. Selbstverständlich trifft das nicht auf alle Familien zu aber viele haben nie gelernt mit Geld umzugehen, sind nicht in der Lage ihre Kinder zu fördern, da sie selber nie gefördert wurden und wissen daher auch nicht, wie das Geld für eine vernünftige Förderung der Kinder richtig eingesetzt werden kann. Dann gibt es natürlich auch die, die das Geld einfach anderweitig nutzen würden, denn ich hab auch schon einige Fälle erlebt, in denen erstmal die Bedürfnisse der Eltern befriedigt werden und sei es nur aus dem Grund, weil die Eltern die Bedürfnisse ihrer Kinder gar nicht kennen. Das Geld wäre meine Meinung nach daher besser im Bildungssystem aufgehoben, um allen Kindern die selben Möglichkeiten zu bieten.

    • @Christian29:

      Ich stimme zu. Besser, als Geld mit der Gießkanne an Familien unter einer künstlich errechneten Einkommensgrenze zu verteilen, wäre es, Bildungs- und Freizeitangebote zu finanzieren, die alle Kinder nutzen können. Damit wäre Teilhabe und Chancengleichheit gesichert.

    • @Christian29:

      Kann Ihnen nur zustimmen. Meine Freundin ist auch in diesem Bereich tätig und sieht das wie Sie

  • Als ehemalige Familienhelferin muss ich leider sagen dass mehr Bargeld für Familien oft nicht bei den Kindern ankommt. Arme Haushalte sind oft überschuldet und jeder Euro mehr in die Familienkasse landet beim Stromversorger, Handysnbieter oder Klarna. Wichtiger wäre der Ausbau der Ganztagesbetreuung von 1-15 Jahre mit einer warmen Mahlzeit und Angeboten zur Nachhilfe, Sport, Musik und Theater.Das best Mittel gegen Kinderarmut sind immer noch Eltern in Lebenswürdig bezahlter Erwerbsarbeit.

  • Solange sich die Männer-Partei fdp herausnimmt, alte Zöpfe zu flechten und zu pflegen, sogar weiterhin fossile Produktionen oder gar Erdöl-Kunststoff fördern, mit 1,5 Mrd € jährlich, ein generelles Tempolimit gegen die Bevölkerungsmehrheit zu verweigern etc. etc. pp, sollten ihnen auch die Daumenschrauben angelegt werden.



    Und an Olaf, Lars, Saskia, Rolf und Kevin: sozial geht anders als schlicht mit der Gießkanne.

  • "Die FDP hatte ihr daraufhin Erpressung vorgeworfen."



    Die sind schon ne lustige Truppe, dies Freien Radikalen.

  • Politik denkt aber zu oft nicht langfristig sondern nur bis zur nächsten Wahl.