Arme Familien in Deutschland: Mehr Kinderzuschlag ausgezahlt
Etwa 200.000 Familien mehr erhalten seit diesem Jahr solche staatliche Unterstützung. Fast 2 Millionen Kinder leben in Familien, die Bürgergeld bekommen.
BERLIN afp | Die Zahl der Kinder und Jugendlichen in armen Familien, die den staatlichen Kinderzuschlag erhalten, ist seit Jahresbeginn deutlich um rund 200.000 gestiegen. Das geht laut einem Bericht der Rheinischen Post aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linken-Bundestagsfraktion hervor. Die Linke wertete die Daten als Beleg für das hohe Maß an Kinderarmut in Deutschland.
Im Juli 2023 habe die Familienkasse der Bundesagentur für Arbeit (BA) Kinderzuschlag für rund 965.000 Kinder in Deutschland ausgezahlt, hieß es dem Bericht zufolge in der Antwort des Bundesarbeitsministeriums. Im Januar habe die Zahl dagegen noch bei 765.000 gelegen. Der höchste Stand wurde demnach im Juni mit 975.000 Minderjährigen erreicht. 22,7 Prozent der betroffenen Kinder und Jugendlichen lebten laut den Regierungsangaben im Juni mit einem alleinerziehenden Elternteil.
Aus der Antwort geht laut Rheinischer Post zudem hervor, dass nach den letztverfügbaren Daten der Bundesagentur für Arbeit im April 2023 insgesamt 1,966 Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren in Bedarfsgemeinschaften lebten, die das Bürgergeld beziehen. Im Dezember 2021 seien es hingegen 1,764 Millionen gewesen und damit rund 200.000 weniger. Im April lebten demnach knapp 48 Prozent der Kinder in Bürgergeld-Haushalten mit einem alleinerziehenden Elternteil.
Wenn das Einkommen nicht für den Lebensunterhalt der gesamten Familie reicht, können Eltern zusätzlich zum Kindergeld den Kinderzuschlag bei der Familienkasse beantragen. Er wird in der Regel für sechs Monate gewährt und beträgt monatlich bis zu 250 Euro pro Kind. Der Staat will dadurch vermeiden, dass eine Familie allein wegen der Kinder in die Grundsicherung fällt.
„Die Kinderarmut bleibt in Deutschland auf konstant hohem Niveau – das zeigen die aktuellen Zahlen zu Familien im Bürgergeld und dem Kinderzuschlag“, sagte dazu die Linken-Politikerin Heidi Reichinnek. Zu den derzeit in der Bundesregierung diskutierten finanziellen Mitteln für die geplante Kindergrundsicherung sagte sie, diese „reichen nicht einmal für eine Kindergrundsicherung light“. Zudem bleibe die Bundesregierung gleichzeitig „in Kitas, Schulen und Universitäten beim Sparkurs“, kritisierte Reichinnek.
Leser*innenkommentare
DaBa
Deutsche Politiker gehen immer davon aus, dass das reflexartige Verteilen von Geld alle Probleme löst. Übersehen wird, dass Geld gezielt für das Lösen struktureller Probleme eingesetzt werden muss, um nachhaltig etwas zu bewirken. Langfristige Förderung von Jugend - und Sozialarbeit, von Bildungsmaßnahmen und Familienhilfe wäre in meinen Augen sinnvoller als "mehr Geld" an einzelne Familien.
H.L
@DaBa Das wäre sehr wünschenswert.
DiMa
Die Tatsache, dasss mehr Kinderzuschlag ausgezahlt wird entkräftet die von der Familienministerin aufgestellte Behauptung, dass ein Systemwechsel notwendig sei. Es reicht vollkommen aus, in dem bestehenden System die Bedarfssätze an die gestiegenen Kosten anzupassen und gegebenenfalls bei den Eltern mehr Werbung zu machen. Der einzige Nachteil daran es fehlt der fancy Name Kindergrundsicherung.
Der echte große Wurf wäre dann ein Ausbau der Bildungsmöglichkeiten; insbesondere Deutsch als Fremdsprache. Erst hierdurch wird die Teilhabe für die Kinder gewährleistet.
Torben2018
In Deutschland leben derzeit ca 200 000 Kinder, die mit ihren Familien aus der Ukraine flüchten mussten. Daher ist es wenig erstaunlich, dass sich die Zahl der Kinder in Bedarfsgemeinschaften, die Bürgergeld beziehen, um ca. diesen Betrag erhöht hat. Umgekehrt betrachtet, hat sich die Lage für die restlichen Kinder leider nicht verbessert (Politikversagen?), die Zahlen sind aber weitgehend konstant geblieben.
Ricky-13
taz: "... nach den letztverfügbaren Daten der Bundesagentur für Arbeit im April 2023 insgesamt 1,966 Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren in Bedarfsgemeinschaften lebten, die das Bürgergeld beziehen."
Wenn ich schon die 3 Nachkomastellen bei '1,966 Millionen Kinder und Jugendliche' lese, dann weiß ich doch, dass es wieder nur um statistische "Schönfärberei" geht. Es werden wohl weit mehr als 2 Millionen arme Kinder und Jugendliche sein, aber der Bundesagentur für Arbeit geht es natürlich nur darum, dass ihre Zahlen etwas "schöner" aussehen, denn eine Zahl ist nur eine Zahl, und solange man keine armen Kinder in zerlumpten Kleidern sieht oder Kinder die in Mülleimern nach Pfandflachen wühlen, erkennt man die Armut nun einmal nicht in einer geschönten Zahl.
Der grüne Sozialexperte Sven Lehmann sprach schon 2018 von 2,5 Millionen armen Kindern in Deutschland, weshalb sollten das jetzt also auf einmal "nur" noch 1,966 Millionen sein? Der Name "Statistik" geht übrigens auf das lateinische Wort 'statisticum' - 'den Zustand des Staates' - zurück. Wie es um den Zustand unseres Staates bestellt ist, das wissen besonders die Armen in diesem Land. Die Reichen werden immer reicher und wissen nicht mehr wohin mit ihrem Geld und die Armen müssen an einer Essentafel anstehen und bekommen von ihrem "schönen Leben" Depressionen. In Deutschland müssen 2 Millionen Menschen (30% sind davon schon Kinder und Jugendliche) jeden Monat an eine der 960 Tafeln anstehen. Die armen Menschen die sich schämen zur Tafel zu gehen und lieber hungern, sind hier natürlich noch gar nicht mit berücksichtigt. Die "Tafeln" sind von ursprünglich nur einer Tafel (1993) bis heute (2023) auf 960 Tafeln angewachsen.
Der Armutsforscher Prof. Dr. Butterwegge hatte bereits 2009 die Zahl der Kinder, die auf Sozialhilfe angewiesen sind, bei 2,8 Millionen angegeben, aber in den vergangenen Jahren wurde von der Politik anscheinend nur darauf geachtet, dass es den Reichen in diesem Staat gut geht.