piwik no script img

Kiew-Besuche und SymbolpolitikZögern und Mäandern

Kommentar von Barbara Oertel

Bevor Kanzler Scholz mit leeren Händen in die Ukraine reist, sollte er es lieber lassen. Deutschland steht ohnehin schon als unsicherer Kantonist da.

Steinmeier erwägt Reise nach Kiew Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

Z wei Floskeln strapazieren deutsche Po­li­ti­ke­r*in­nen gerade bis zur Unerträglichkeit: Wir müssen vor die Bugwelle kommen. Und: Wir stehen fest an der Seite Kiews. Das klingt gut, doch nichts dergleichen passiert. Russlands Krieg gegen die Ukraine geht in die siebte Woche, täglich kommen neue Gräueltaten gegen die ukrainische Zivilbevölkerung ans Licht und Moskaus Großoffensive im Osten des verheerten Landes steht noch bevor.

Und in Berlin? Zögern und Mäandern. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erwäge eine Reise nach Kiew, war in der vergangenen Woche zu vernehmen. Immerhin wohnte er im finnischen Parlament einer Videoschalte mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski bei, für die er im Bundestag Mitte März keine Zeit finden konnte.

Als Außenminister hatte er mehr Engagement gezeigt – 2014 auf dem Euro-Maidan sowie ein Jahr später als Urheber der Steinmeier-Formel, die den Minsker Prozess retten sollte. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz macht dieser Tage keine bella figura. Kiew seine Aufwartung zu machen, scheint offensichtlich keine Option zu sein. Da lässt Scholz lieber Po­li­ti­ke­r*in­nen anderer Staaten den Vortritt.

Nun können die Meinungen darüber, was derartige Besuche bewirken, durchaus auseinandergehen. Zuallererst sind sie eine moralische Unterstützung, deren Bedeutung in Kriegszeiten wie diesen jedoch nicht zu unterschätzen ist. Doch da liegt die Krux. Denn es braucht eine Übersetzung in konkrete Politik, wenn sich die Solidaritätsadresse nicht auf reine Symbolpolitik beschränken soll. Will heißen: Wenn Scholz nichts im Köcher hat, sollte er es lieber gleich bleiben lassen.

Danach sieht es leider aus. Der Eiertanz um Waffenlieferungen ist nur ein Beispiel. Dass diese Zurückhaltung in Kiew nicht gut ankommt, liegt in der Natur der Sache. Aber auch bei Deutschlands westlichen Partner stößt diese Unentschlossenheit zusehends auf Unverständnis. Der Eindruck, es mit einem unsicheren Kantonisten zu tun zu haben – er wird bleiben und das noch lange über den Krieg hinaus.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.