Kevin Spacey im „Zeit-Magazin“: Nach dem Canceln das Comeback
Wenn sie prominent sind, werden mutmaßliche MeToo-Täter schnell rehabilitiert. Das zeigt nicht nur ein aktuelles Interview mit Kevin Spacey.
K önnte nächsten Monat vielleicht schon das große Comeback-Interview mit Till Lindemann im Zeit-Magazin kommen? Schlagzeile: „Ich dachte, sie wollten es auch … Vielleicht hätte ich sie zuerst wecken sollen.“ Eine Journalistin könnte mit dem Popstar Gassi gehen, einen Kaffee to go in der Hand. Abends ginge man in eine verranzte Kneipe, in der jeder „den Till“ kennt und schätzt.
Natürlich würde man im Interview nicht über die Vorwürfe sexualisierter Gewalt sprechen, die eine ganze Reihe junger Frauen gegen Lindemann erheben. Man würde behaupten, das liege daran, dass das juristische Verfahren noch läuft, in Wahrheit ginge es darum, dass der Sänger nicht eingeschnappt ist und das Exklusivinterview kurzerhand abbricht, welches online natürlich auf Englisch übersetzt und bitte von allen internationalen Medien zitiert würde.
Lindemann dürfte sicher erzählen, wie schwer die Zeit war, nachdem sein Label bekannt gab, weniger Werbung für seine Platte zu machen, und eine Handvoll Leute sich tatsächlich mit Transpis vor dem ausverkauften Stadionkonzert trafen, um gegen den Rammstein-Auftritt zu protestieren. Erschütternd. Diese Cancel Culture zerstört doch jeden.
Das ist natürlich alles ausgedacht und rein hypothetisch, ich denke, die meisten Leser_innen verstehen den Zweck eines Konjunktivs. Es sei trotzdem noch mal erwähnt für potenziell mitlesende, übereifrige Anwaltskanzleien. Aber nur weil etwas ausgedacht ist, bedeutet das nicht, dass alles daran Humbug ist. Nachdem das Zeit-Magazin im vergangenen Monat ein so unkritisches Interview mit Quentin Tarantino druckte, als sei es 1996, legte das Lifestyleheft diese Woche nach, mit einem exklusiven Interview mit US-Schauspieler Kevin Spacey.
Genau, der Kevin Spacey, dem von mehreren Männern sexuelle Übergriffe bis hin zu Vergewaltigung vorgeworfen werden. In zwei Prozessen wurde er freigesprochen, der dritte steht noch an, in London. Kann man machen, Spacey kurz vor dem wichtigen Prozess auf ein Käffchen zu treffen und das Cover dafür freizuräumen. Aber mit welchem Motiv? „Vielleicht hofft er, dass ein europäisches Medium wie das Zeit-Magazin weniger scharf über ihn berichtet, als es ein amerikanisches Medium tun würde“, mutmaßt der Text jedenfalls über das Motiv des Schauspielers, um dann genau das zu machen: Kuscheln – und zwar mit Ansage.
Am Ende haben alle was davon
Wie schnell mutmaßliche Täter von diesem Kaliber rehabilitiert werden können, zeigt diese Woche auch ein Auftritt von Filmstar Ezra Miller bei einer Filmpremiere in Hollywood. Miller wurde von mehreren Frauen Körperverletzung und Belästigung vorgeworfen. Außerdem steht Miller im Verdacht, eine Art Kult zu unterhalten und vorrangig junge Fans unter Drogen zu setzen.
Nach einem kurzen Rückzug aus der Öffentlichkeit erschien Miller nun zur Premiere des Actionfilms „The Flash“, in welchem er die Hauptrolle spielt. Warner Bros. gab an, das werde Millers einziger öffentlicher Auftritt im Zusammenhang mit dem Film bleiben – was einem ungelenken Eiertanz gleicht: Man will sich öffentlich irgendwie zu den Vorwürfen verhalten und gleichzeitig von dem Buzz profitieren, den solche Skandale immer mit sich bringen.
Und so ist auch am Zeit-Magazin-Interview mit Spacey interessant, dass der Schauspieler weder auf Unschuldslamm macht, noch irgendeine Art von Reue zeigt. Er sieht sich eher auf der Ersatzbank und gibt an, dass er – sobald er den Prozess gewinne – hochkarätige Rollenangebote bekommen werde von großen Namen, die seit Jahren mit ihm arbeiten wollten, aber sich nicht trauten, aus Angst davor, gecancelt zu werden.
Sicher hat Spacey Recht. Der große Cannes-Auftritt von Frauenschläger Johnny Depp etwa dürfte ihm Hoffnungen gemacht haben. Und das Comeback, das ihm der nun allseits zitierte Zeit-Magazin-Titel noch vor dem Prozess beschert, ist das perfekte Sprungbrett. Am Ende haben halt alle was davon.
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