Keine Reaktion auf Notrufe?: WaldbesetzerInnen fordern Polizeischutz
Der Konzern RWE will das Sündenwäldchen in NRW roden. AktivistInnen wollen das verhindern – und klagen über Brutalität der beauftragten Sicherheitsfirma.
Energiekonzern RWE will hier baggern – allerdings nicht mehr nach Kohle, stattdessen geht es um Kies und Abraum. RWE braucht Boden als Material, um die steilen Abhänge seiner Tagebaue flacher zu machen und zu stabilisieren.
Jetzt sieht es im Sündenwäldchen aus wie nach einem Bombeneinschlag: Baumstümpfe, Astberge, vereinzelt Schrottteile dazwischen. Männer in blauen Warnwesten häckseln die Holzernte zusammen und verladen sie auf Lkws. Auch meterdicke makellose Eichenstämme, Traumexemplare jedes Schreiners, liegen zum Schreddern bereit.
Eine kleine Fläche Bäume ist geblieben. Darin hängt ein Dutzend Baumhäuser, nach wie vor bewohnt von rund zwei Dutzend Leuten, die den Wald schützen wollen.
Räumung durch private Sicherheitsfirma
Alles also ganz anders als im Hambacher Wald 2018. Da waren zuerst Tausende Polizeikräfte zur Räumung angerückt, militant Stück für Stück vorrückend. Nach der Zerstörung von gut 80 Baumhausstrukturen, dem fürchterlichen Todessturz von Filmemacher Steffen Meyn und der gewaltsamen Vertreibung Hunderter WaldbesetzerInnen sollte die Rodung beginnen. Die verhinderte dann das Oberverwaltungsgericht Münster. Der Hambi blieb.
Im Sündi hingegen: keine Räumung. Und vor allem: keine Polizei, nirgends. Nur die Sicherheitskräfte der Firma Mundt aus Frechen, seit Jahren Security-Partnerin von Auftraggeber RWE Power.
Geschätzt 500 Kräfte, herangekarrt in zehn Reisebussen, wieselten hier tagelang herum. BesetzerInnen berichten: Es habe Schläge, Fußtritte, Übergriffe, Schubsereien sowie andauernd sexualisierte Bemerkungen gegeben. Und vor allem: Das Fällen der Bäume sei hochgefährlich verlaufen, bis nah an die bewohnten Baumhäuser heran, an die Traversen und Sicherheitsseile. Zumindest ein Seil sei auch gekappt worden. Es sei eine Katastrophe möglich gewesen.
Polizei: „Keine Hinweise auf Gefahrensituationen“
Und nirgends Polizei. Eine Sprecherin der zuständigen Dienststelle Rhein-Erft-Kreis bestätigt: „Wir hatten keinen Einsatz vor Ort.“ Wieso? „Es gab keine Hinweise auf potenzielle Gefahrensituationen.“ Die Vorwürfe der AktivistInnen vor Ort hätten die Polizei nicht erreicht, heißt es. „Wenn die Hinweise nicht zu uns durchdringen, können wir nichts machen.“
Ein Aktivist aus dem Sündi, der sich als Dirk vorstellt und seinen Nachnamen nicht öffentlich nennen will, berichtet der taz, er habe am dritten Tag morgens noch bei Dunkelheit in den Wald gewollt. „Plötzlich war da eine Wand von Sicherheitskräften vor mir. Und schon hatte ich eine Faust im Gesicht. Dann bin ich aus dem Wald geschleift und in eine Pfütze geschmissen worden.“ Sein Begleiter sei zusätzlich getreten worden. Beide seien ins Krankenhaus gefahren. „Zum Glück hatte ich nur eine leichte Gehirnerschütterung.“
Schon das Wegtragen von Menschen ist für private Sicherheitsleute nicht legal. Eine Baumhausbewohnerin berichtet der taz zudem davon, von einem Mundt-Trupp durchs Gehölz gejagt worden zu sein, auch sexualisierte Kommentare habe es gegeben. Zudem liege eine Strafanzeige der Filmemacherin Carmen Eckhardt vor. Sie wurde demnach vor Ort gewaltsam angegangen und zu Boden geschubst.
AktivistInnen der Mahnwache im Sündenwäldchen berichten, sie hätten den Polizei-Notruf gewählt. Niemand sei gekommen. Die Polizei behauptet, es habe keine solchen Anrufe gegeben. Ein RWE-Sprecher hält alle Gewaltberichte für „frei erfunden“. Ein RWE-Amtshilfeersuchen? Gab es auch nicht.
Mahnwachler Dirk sagt: „Es ist absurd: Im Hambi haben wir die Polizei verflucht. Hier würden wir uns eine Einsatz-Hundertschaft wünschen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Merkel kritisiert Merz erneut
Ex-Kanzlerin unterschreibt „Oma-gegen-Rechts“-taz
Bildungsmesse Didacta
Der AfD keine Bühne geben
Klimapolitik der nächsten Regierung
Die Pragmatik der Gerechtigkeit
Die Wahrheit
Walversprechen
Wohnungsnot in Deutschland
Bauen bleibt Luxus
Beschluss des Bundesverfassungsgerichts
Später Erfolg für Maja T.