Keine Maskenpflicht im Supermarkt: Ungeschützt hinter der Wursttheke
Experten einig: LebensmittelverkäuferInnen sind prädestiniert, Sars-CoV-2 ungewollt zu verbreiten. Dennoch gibt es für sie keine Maskenpflicht.
Bei einem Gang über die vorösterliche Bergmannstraße in Kreuzberg zeigte es sich exemplarisch: Kaum jemand aus dieser Personengruppe trägt eine Maske. Die Angestellten hinter den Theken für Backwaren und Fleisch bei Edeka nicht, der Eis- und der Dönerverkäufer nicht, und auch niemand in den meisten zu Takeaways umfunktionierten Restaurants. Einzige Ausnahme: ein indisches Lokal, wo sowohl der Verkäufer als auch die Küchenpersonal grüne chirurgische Masken tragen.
Dass auch ein einfacher Mund-Nase-Schutz das Risiko einer Fremdinfektion messbar senkt, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Auch dass viele mit dem Sars-CoV-2 Infizierte längst ansteckend sind, wenn sie selbst noch gar keine Symptome bemerken. Und dass jemand, der schon beim Sprechen infektiöse Tröpfchen abgeben kann, nicht ungeschützt mit Brötchen, Wurstscheiben, Minipizzen oder Eiswaffeln hantieren sollte, müsste eigentlich klar sein. Oder?
Eindeutig ja, sagt der Virologe Frank Hufert. Der Direktor des Instituts für Mikrobiologie und Virologie der Medizinischen Hochschule Brandenburg ist der Ansicht: „Jeder dieser Leute müsste einen chirurgischen Mund-Nase-Schutz oder zumindest eine selbstgemachte Maske tragen. Ich habe mich auch schon gefragt, warum das nicht der Fall ist.“
Markt „fast leer gefegt“
Es müsse wohl daran liegen, dass sich das nicht so leicht anordnen lasse, vermutetet Hufert. Aus wissenschaftlicher Sicht sei aber klar: „Wenn eine Person hinter der Lebensmitteltheke bereits Viren ausscheidet und dann am Tag 100, 200 Kunden bedient, kann das ganz schnell für eine Amplifikation des Ausbruchs sorgen.“
Was sagt die Senatsverwaltung für Gesundheit dazu? Wenig. Auf die Anfrage der taz, ob im Rahmen der Eindämmungsverordnung an eine Pflicht zum Tragen von Masken im Lebensmittelverkauf gedacht ist, teilt die Pressestelle nur mit: „Man muss über alles nachdenken dürfen.“ Darüber hinaus verweist sie auf ein Interview, das Senatorin Dilek Kalayci (SPD) kürzlich gab. „Eine Maskenpflicht“, so Kalayci, „kann man nur einführen, wenn man auch ausreichend Masken hat.“ Der Markt für Atemschutzmasken sei „fast leer gefegt“.
Damit bezieht sich die Gesundheitssenatorin allerdings nur auf eine allgemeine Pflicht zum Maskentragen in der Öffentlichkeit. Zudem hat sich die angespannte Situation bei der Versorgung mit Mund-Nasen-Schutz und Schutzkitteln bereits ein wenig entspannt: Am vergangenen Sonntag traf eine Bestellung aus China mit 2 Millionen chirurgischer Masken und 300.000 Schutzkitteln – bestimmt für Kliniken, Pflegeheime und Polizei – ein.
Die Handelskette Edeka teilte der taz mit, die MitarbeiterInnen an den Theken nähmen „regelmäßig an Schulungen zur Hygiene teil“ und das Unternehmen befolge die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts (RKI). Es bestehe „nach dem aktuellen Wissensstand für gesunde Personen kein Anlass für das Tragen eines Mund-Nase-Schutzes, einer Schutzbrille oder von Handschuhen“. Besonders gefährdet seien Personen, die mindestens 15-minütigen engsten Face-to-Face-Kontakt mit einer erkrankten Person haben. „Hieraus kann man schlussfolgern, dass der übliche Kontakt an den Bedientheken nicht ausreicht, um von einem hohen Übertragungsrisiko auszugehen.“
Der Denkfehler: Personen können das Coronavirus ausscheiden, wenn sie „gesund“ sind, also noch keine Symptome entwickelt haben. Das RKI spricht explizit davon, dass selbst eine selbstgemachte „textile Barriere“ Tröpfchen abfangen kann, die die TrägerIn ausstößt. „Das Risiko, eine andere Person anzustecken, kann so verringert werden (Fremdschutz).“ Um zu verhindern, dass infektiöse Tröpfchen auf dem Mohnkuchen landen, könnten die Edeka MitarbeiterInnen beispielsweise wiederverwendbare textile Masken aufsetzen – in der Filiale an der Bergmannstraße gibt es diese für 6,50 Euro in einem Automaten.
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