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Keine Einigung auf RenaturierungShowdown bei Europas Klimaschutz

Eines der wichtigsten EU-Gesetze, um die Treibhausgas­emissionen zu senken, ist in Gefahr. Der Rechnungshof weist auf einen Mangel hin.

Felder und Forstflächen in Ostflandern Foto: Pattyn/blickwinkel/imago

Berlin/Brüssel taz | Scheitert die ehrgeizige Umwelt- und Klimaschutzpolitik der Europäischen Union? Vier Jahre nach dem Startschuss für den „European Green Deal“, laut dem Europa 2050 klimaneu­tral werden will, häufen sich die Probleme. Im Europaparlament in Brüssel herrscht Krisenstimmung – dort ist das umstrittene Renaturierungsgesetz durchgefallen.

Bei einer Kampfabstimmung im Umweltausschuss des Parlaments fand sich am Dienstag keine Mehrheit für den Entwurf der EU-Kommission. Deutsche Christdemokraten, Konservative und Rechtsextreme stimmten dagegen; der Entwurf fiel mit 44 zu 44 Stimmen durch.

EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen (CDU) wird also unter anderem von ihren eigenen Parteifreunden bedrängt, den Entwurf zurückzuziehen. Von der Leyen und der federführende Klimakommissar Frans Timmermans wollen mit dem Renaturierungsgesetz trockengelegte Moore wieder vernässen, Wälder aufforsten und mehr Grün in Städte bringen. Sie stoßen dabei auf erbitterten Widerstand.

Das Gesetz sei zwar gut gemeint, aber schlecht gemacht, sagt der umweltpolitische Sprecher der konservativen EVP-Fraktion, Peter Liese (CDU). Die Vorlage sei „rückwärtsgewandt und ideologisch“, erklärt seine Parteifreundin Christine Schneider. „Er wird zu einem Rückgang der land- und forstwirtschaftlichen Flächen führen und damit unsere Ernährungssicherheit gefährden.“

Weber soll mit Rauswurf gedroht haben

Noch weiter geht Manfred Weber (CSU). Der EVP-Chef hat seine Truppen auf ein „Nein“ eingeschworen. Be­für­wor­te­r:in­nen des Entwurfs soll Weber sogar mit dem Rauswurf aus der Fraktion gedroht haben. Nur mit Druck und Drohungen, so heißt es im Europaparlament, habe Weber das umstrittene Renaturierungsgesetz zu Fall bringen können.

Das endgültige „Aus“ bedeutet die Schlappe im Umweltausschuss jedoch nicht. Das letzte Wort hat das Plenum. Bei der für Mitte Juli geplanten Abstimmung droht ein Showdown zwischen den Befürwortern – Sozialdemokraten, Grüne, Linke und Liberale – auf der einen und den konservativen und rechten Gegnern auf der anderen Seite.

Die konservative EVP-Fraktion reiße „die Brandmauer nach rechts ein und kündigt ihre Unterstützung für den Europäischen Green Deal auf“, kritisierte die SPD-Europaabgeordnete Delara Burkhardt. „Die destruktive Politik der Konservativen führt zum Erstarken des rechten Randes“, warnte Michael Bloss, der klimapolitische Sprecher der Grünen. CDU-Politiker Liese hält dagegen: „Wenn wir ein einzelnes Gesetz ablehnen, heißt das nicht, dass wir gegen den gesamten Green Deal sind.“

Die EVP stehe weiter hinter dem Umwelt- und Klimaschutz, so Liese. Dennoch: Das Renaturierungsgesetz wird zum Prüfstein. Wenn es im Juli erneut durchfällt, wird es bis zur Europawahl 2024 nichts mehr – dem derzeit wichtigsten Naturschutzgesetz der EU droht dann das Aus.

Die Zweifel daran, dass die EU ihre Klimaziele erreicht, mehren sich. Am Montagnachmittag warnte der EU-Rechnungshof in einem Sonderbericht: Es würden zwar immer wieder ehrgeizige Ziele gesetzt – aber es gebe keine Anzeichen dafür, dass diese ausreichend mit Geld unterfüttert seien. „Das gilt besonders für die Privatwirtschaft“, heißt es in dem Bericht.

Vorreiterrolle der EU steht auf dem Spiel

Außerdem wünschen sich die Hü­te­r:in­nen der europäischen Finanzen mehr Transparenz beim Klimaschutz – und dass überhaupt erst mal alle Emissionen in die offiziellen Klimabilanzen einfließen, etwa auch die aus dem internationalen Luft- und Seeverkehr. „Das ist wichtig, denn die EU hat sich verpflichtet, beim Übergang zur Klimaneutralität eine weltweite Vorreiterrolle einzunehmen“, sagte die zuständige Prüferin Joëlle Elvinger.

Die EU hat versprochen, ihre Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55 Prozent gegenüber 1990 zu senken. Das ist ein Zwischenschritt auf dem Weg zur „grünen Null“ im Jahr 2050.

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16 Kommentare

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  • ...der Moment, wenn Rechtsradikale, Klimawandelleugner, gewalttätige Verschwörungsgläubige und rückschrittliche Konservative (welche schon seit Dekaden das Voranschreiten in Sachen Klimaziele blockieren) das Sagen haben, wenn es um das Einhalten der Klimaziele geht.

    Keine Pointe.

    • @Tyramizou:

      Das Interessante an "Klimagerechtigkeit" ist, dass ein zukünftiges Klimatribunal zwangsläufig befangen sein muss: Opfer werden über Täter richten.

      Geht halt nicht anders.

  • Mal abgesehen vom wahrhaft Ekel erregendem Vorgehen der EVP - Fraktion würde ich gerne darauf hinweisen, dass die Einordnung der Renaturierung als "Klimaschutz" in der Schlagzeile der Sache nicht gerecht wird. Renaturierung trägt zweifellos zum Klimaschutz bei; der wichtigste Aspekt dabei ist aber der Arten - und Biodiversitätsschutz. Dieser dient eben nicht nur dem Klimaschutz, sondern ist in sich extrem wichtig für unser Überleben auf diesem Planeten. Alle ökologischen Notwendigkeiten immer nur durch die Klimaschutzbrille zu sehen, führt uns nicht weiter.

    • @Axel Donning:

      Kommt drauf an, was da renaturiert werden soll. Hier stehen vor allem CO2-speichernde Ökosysteme im Vordergrund, insofern steht tatsächlich Klimaschutz im Vordergrund, und die Biodiversität ist Passagier.

    • 3G
      31841 (Profil gelöscht)
      @Axel Donning:

      Mir kommen viele Berichte sehr auf CO2-/Klimaschutz fixiert vor. Die Ignoranz gegenüber den Veränderungen, die auch so die Biodiversität und die Arten gefährden, hat nicht wenig dazu beigetragen, dass die Entwicklung bei der Klimaignoranz so lange so laufen konnte.

      • @31841 (Profil gelöscht):

        Danke - genau so ist es!

  • Der Klimawandel kann aufgrund entsprechender Voraussetzungen auch bisher nicht ins Kalkül einbezogene Lösungen ermöglichen, die verschiedenene Aspekte von Umweltschutz und Ernährungssicherheit vereinen lassen. Ein Beispiel für alternative Ansätze im Umbau der Landwirtschaft unter Wahrung von Klimaschutzzielen aus der Schweiz:



    //



    "Reis aus der Schweiz?



    Auf Flachmooren kann auch die landwirtschaftliche Nutzung als Weideland oder der Anbau von Nässe liebenden Kulturpflanzen wie Reis zielführend wirken. Gemeinsam mit einigen Landwirten hat das Institut Agroscope den ökologischen Nassreisanbau getestet. In den Feldern siedelten sich darauf wieder Feuchgebietsarten wie Laubfrösche, Kreuzkröten und Bekassinen an. Der Reis sei ausserdem ein hochwertiges Nischenprodukt für die Bauern, wenn auch etwas arbeitsintensiv."



    //



    www.schweizerbauer...us-und-verbuschen/



    //



    Im taz-Archiv sind viele gute Informationen abrufbar, nicht zuletzt von Ute Scheub.

    • @Martin Rees:

      Reis ist einer der Hauptverursacher von Methan, pro Hektar ist Reisanbau schädlicher als Rinderhaltung.

      www.proplanta.de/R...nze1168515712.html

      • @Günter Witte:

        Und Reis benötigt so oder so erhebliche Mengen Wasser zum Anbau. Da ist die Schweiz, die in 1 Generation auf dem Trockenen sitzen wird, so ziemlich das falscheste Land.

        • @Ajuga:

          Danke für die nützlichen Hinweise, hab mich noch etwas belesen:



          //



          utopia.de/ratgeber...en-fuer-das-klima/



          //



          "Ein Schritt in die richtige Richtung ist die internationale Plattform für nachhaltigen Reis (SRP), die einen Standard für nachhaltigen Reis entwickelt hat. Das Projekt unterstützt thailändische Reisbäuer:innen dabei, den Reisanbau ökologischer zu gestalten und setzt sich für bessere Arbeitsbedingungen vor Ort ein. Beteiligte sind Forschungsinstitute, große Unternehmen wie OLAM und internationale Organisationen wie die GIZ oder das Umweltprogramm der Vereinten Nationen.



          Laut GIZ werden durch die Maßnahmen des Projekts bis zu 50 Prozent weniger Treibhausgase freigesetzt, der Wasserverbrauch sinkt um ein Fünftel und die Bäuer:innen kommen mit weniger Pestiziden aus. Gleichzeitig können die Kleinbäuer:innen ihre Gewinne steigern. Der Reis ist entsprechend zertifiziert und im Handel erhältlich."

  • Vielleicht kommt es auch auf die Details des Entwurfs an, nicht auf auf das grobe Ziel?



    Das wäre im Bericht auch eine Würdigung wert gewesen.

  • Ja ist denn noch keinem augefallen, dass die Rechtskonservativen es in dem meisten Fällen nur zur Verabschiedung von Zielen, nie oder doch fast nie zu Maßnahmen zur Erreichung der Ziele kommen ließen?

    Tja und der CSU Weber wollte ja mal mit Hilfe von Orban, der polnischen PIS und dem Lega Chef, Chef der EU-Kommission werden. Wie sagte er damals: er brenne für Europa! Jetzt setzt er das um: er brennt Europa klimapolitisch mit populistischen Lügen (Ernährungssicherheit) nieder.

  • "Die EVP stehe weiter hinter dem Umwelt- und Naturschutz..." Karneval ist doch längst vorbei, oder? Die EVP (hier CDSU) handeln diagonal gegensätzlich zu dieser Aussage, seit Jahrzehnten. Dabei werden sie bleiben.

  • EU und "Vorreiter beim Klimaschutz" ... selten so gelacht.

    Die EU ist in etwa so sehr Vorreiter beim Klimaschutz, wie beim Recht auf Asyl.

    Kein Schlusslicht weltweit gesehen, aber eben auch nicht gerade "Vorreiter".

    Bsp.: Ausbau von Wind + Solar + Speichertechnologien.

    China investiert in dem Bereich seit vielen Jahren mehr als die USA und die EU zusammen. Fast die Hälfte der weltweiten neuen Solaranlagen werden in China installiert und der Ausbau soll intensiviert werden.

    So viel zu Eu und "Vorreiter".

    Vorreiter bei der Sprücheklopferei... so wie bei Menschenrechten halt auch.

    • @sociajizzm:

      Die Schlüsselpositionen der EU sind zur Zeit sehr stark mit Merkels Altlasten besetzt.

  • Die Vorlage sei „rückwärtsgewandt und ideologisch“, erklärt seine Parteifreundin Christine Schneider.



    Äh? Ja, genau darum geht es. Rückwärts in eine Zeit in der Dürren im Wechsel mit Überschwemmungen die Ausnahme waren und nicht die Regel. Und getrieben von der verrückten Ideologie, die Erde könnte ein lebenswerter Planer für uns Menschen bleiben.