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Kein Referendum über UnabhängigkeitKatalonien bleibt erstmal spanisch

Über eine Loslösung Kataloniens entscheidet ganz Spanien, sagen die obersten Richter in Madrid – stellen aber auch klar: Die Verfassung kan man ändern.

„Katalonien ist nicht Spanien“: Menschenkette in Girona im August. Bild: dpa

MADRID taz | Das spanische Verfassungsgericht hat die Souveränitätserklärung des katalanischen Parlaments für ungültig erklärt. Der Text vom Januar 2013 ernennt das katalanische Volk zum „politischen Subjekt und rechtlichen Souverän“ über seine Zukunft. Die Katalanen hätten das Recht, frei und selbst zu entscheiden, ob sie bei Spanien bleiben oder eigene Wege gehen.

Die 12 obersten Wächter der spanischen Verfassung sehen dies in ihrem Urteil vom Dienstagabend anders. Das Dokument erkenne nur das gesamte spanische Volk als Souverän an. Ein Volksentscheid einer einzelnen Region über die Loslösung vom Gesamtstaat sei nicht zulässig. Die Richter erklärten jedoch, dass „in der Verfassung alle Ideen Platz haben“. Es bestehe „kein Kern, der nicht reformiert werden kann“. Damit lassen sie den Weg für eine Verfassungsreform offen, die separatistische Volksabstimmungen ermöglicht.

Dazu wird es allerdings vorerst nicht kommen. Sowohl die mit absoluter Mehrheit regierende, konservative Partido Popular (PP) von Ministerpräsident Mariano Rajoy als auch die größte Oppostionskraft, die sozialistische PSOE, wollen von einer Reform der Verfassung nichts wissen. Sie wollen weiterhin am Artikel 2 festhalten, dem zufolge Spanien unteilbar ist. Die für den 9. November von der katalanischen Regierung angesetzte Volksabstimmung kann damit im derzeitigen rechtlichen Rahmen nicht durchgeführt werden.

„Für jedes Hindernis auf dem Weg werden wir eine Lösung finden. Der politische Prozess Kataloniens geht weiter“, erklärte der katalanische Ministerpräsident Artur Mas nach dem Urteil. Wie es tatsächlich weitergehen könnte, liegt längst nicht mehr nur in seinen Händen. Denn der Prozess hin zur Unabhängigkeit wird von der Katalanischen Nationalversammlung (ANC) angeführt. Der Bewegung, die die Massenproteste am Nationalfeiertag am 11. September 2012 und die Menschenkette im Jahr darauf organisierte, berät derzeit über einen Fahrplan hin zu einem unabhängigen Katalonien. Die Organisation, der 22.000 Menschen angehören und die weitere 17.000 aktive Sympathisanten zählt, wird ihre Pläne am 5. April vorstellen.

Sollte Madrid im Fall eines Referendums vom verfassungsmäßig verbrieften Recht Gebrauch machen und die katalanische Autonomie aussetzen sowie die dortige Regierung auflösen, will die ANC eine provisorische Regierung und einen Rat gewählter Autonomieparlamentarier ins Leben rufen. Diese Institution soll sich dann einseitig von Madrid lossagen. Unumstößlich, so die ANC, sei das Datum für die Unabhängigkeit. Die katalanische Republik soll am Tag des katalanischen Schutzpatrons, am 23. April 2015, das Licht der Welt erblicken.

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10 Kommentare

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  • Es ist vor allem die spanische Zentralregierung, die die Autonomie-Bestrebungen Kataloniens befördert. Allzu oft hat man den Katalanen mit der Aufhebung ihrer verfassungsmäßig verbrieften Selbstverwaltung gedroht. Nach langer fremdbestimmter Geschichte war das nicht sehr klug. Katalonien wird sich nun umso schneller von Restspanien entfernen. Das ist nur noch eine Frage der Zeit. Ob und für wen das gut ist, ist derzeit nur schwer einzuschätzen.

  • Angesischts der doch zunemenden und in bestimmtem Rahmen auch zu begrüßenden Autonomiewünsche einzelner Territorien in vielen Staaten fällt mir auf, dass ich so gut wie nie etwas dazu gelesen habe, was die Verfassung der BRD vorsieht, wenn hier die Bevölkerung einzelner Gebiete sich nicht mehr mit der Politik der Bundesregierung identifizieren kann.

     

    Gerade in Deutschland, wo die einzelnen Regionen eine lange Tradition bis 1871 hatten, sollte doch auch diesbezüglich Möglichkeiten bestehen für die Bewohner.

    • @Åge Krüger:

      Die Unabhängigkeitserklärung eines Bundeslandes wird mit dem Bundeszwang nach Art. 37 GG vemutlich für nichtig erklärt. Danach kann jede Landesregierung vom Bund aufgelöst und die Landespolizei letzterem unterstellt werden.

      Desweitern sind in der Präambel alle Bundesländer genannt, für die die Verfassung gilt, deren Änderung ein Verstoß gegen Art.20 GG darstellt, der wiederum durch Art 79 III GG eine Bestandsgarantie besitzt.

      So no chance for independence !

      • @lions:

        Dann muss unsere Verfassung aber auch dringend geändert werden.

        • @Åge Krüger:

          Dafür bräuchte man wiederum die nichtaustrittswillige Mehrheit und das dürfte schwer werden.

  • Gerade beim Anblick der buchstäblich nackten Tatsachen müsste doch noch der schlichtesten Seele unübersehbar klar werden, dass es nur Menschen gibt/braucht, und keine "Katalanen", "Kastilier", "Spanier", "Russen", "Ukrainer" etc. - Nacionalistas de todo el mundo, dejen de joder a todo el mundo, joder!

    Peter Kultzen, Berlin

    • @Peter Kultzen:

      Das Argument wirkt allerdings etwas bizarr, wenn heute Nationen, die lange Zeit damit zugebracht haben sprachliche und kulturelle Vielfalt auch gwaltsam zu unterdrücken oder zu vereinheitlichen (Spanien früher, Russland trotz aller Autonomien wahrschl immer noch) heute die kleineren Nationalismen versuchen zu diskreditieren, indem sie sie zu Radikalen stempeln. Und dem katalan. Nationalismus kann man wohl am allerwenigsten vorwerfen kriegerisch u gewalttätig zu sein. Ich gebe Ihnen aber prinzipiell recht, es scheint vielen eine Art Ersatzreligion in der "Geschichte" rumzuwühlen und sich aus längst vergangenen Ereignissen Identitäten und eigene Länder zu stricken, die die Menschen voneinander trennen. Dies hat bislang immer wieder nur neue Gewalt erzeugt. Aber warum? Vielleicht mache ich mir nur unrealist. Vorstellungen aber muss jede neue Sezession exklusiv sein, also im Falle der Katalanen gg die Kastilier gerichtet sein? Wohl nicht. Die Gewalt wird eben MIT durch den Widerstand erzeugt den die Zentralmacht dem sezessionist. Teil entgegenstemmt. Um zukünftig gwaltsame oder in Gewalt eskalierende Sezessionen zu vermeiden, sollte im Völkerrecht ein neuer Mechanismus etabliert werden, ein fester Prozesses, wenn nötig international überwacht, der auch einen Mindestzeitraum von 10 Jahren zum Dialog festlegt (Krimsche Lösungen sollten so auch ausgeschlossen sein) an dessen Ende ein Referendum über Autonomie o Sezession steht. Jede sezessionswillige Region sollte, unabhängig von Unteilbarkeitsklauseln, beim Internat. Gerichtshof, einen solchen Prozess beantragen dürfen. Natürlich klingt es heute reichlich utopisch, dass sich besonders viele Signatarstaaten für eine solche geregelte Sezession finden, aber die Idee und das Instrument sind erst einmal in der Welt, und vllcht erwägt der eine oder andere Staat noch einmal diese Lösung bevor er eine Sezessionsbewegg niederschlägt u einen Bürgerkrieg riskiert.

  • Eines Verfassungsgerichtsurteils hätte es gar nicht bedurft... Der Verfassungstext ist einfach zu explizit. Andrersts kann man heute in solchen Fragen das Volk nicht mehr mit einem patzigen "'s gibt keine Abstimmung, das Land ist unteilbar, verfassungswidrig, basta"abspeisen. Wo doch jeder weiß, dass es- schon länger- einen katal. Nationalismus gibt. Dass die Verfassung keinen Ausweg lässt, weiß auch die katal. Regierung. Und trotzdem zieht sie es durch, erkennt die Autorität der span. Institutionen in der Frage nicht mehr an, das hat auch Madrid verstanden und versucht es deswegen mit Bangemachen- alle die Sezession machen, fliegen automatisch aus der EU und "werden verarmen" - eigentl einer demokrat. Regierung unwürdig. Dafür ist die PP sogar zu Barroso gerannt, Parteigenosse v der iber. Halbinsel, um auch den Schotten mitzuteilen, dass ihnen das selbe blühte, obwohl die sich im Konsens mit London abspalten würden. Dieses Bsp war Madrid immer ein Dorn im Auge, und daher hat Rajoy Barroso weichgeklopft (selbst bei Obama hat er es, erfolglos, versucht). Sollten die Schotten u Katalanen sich aber nicht bange machen lassen, wird Madrid nicht umhin können nach einer Abstimmung pro Sezession binnen kurzem einen Kurswechsel zu vollziehen, ihre Wirtschaftsbeziehungen zu Katalonien sind einfach zu wichtig, u selbst wenn man unabhängig voneinander ist, muss man die ja nicht abbrechen. Rajoy hätte besser daran getan, ein schnelle Verfassungsänderung zu vollziehen, und sehr wahrscheinl hätte es noch nicht einmal eine Mehrheit gegeben. Aber so muss er mit dieser für eine Demokratie peinl Angstkampagne die Zustimmungswerte pro Unabhängigkeit drücken. Man kann gegen oder für Unabhängigkeit oder neutral sein, aber auf diese Weise die Sache abzubügeln, ist in einer modernen Demokratie nicht mehr zeitgemäß, da wünscht man sich sich fast, dass die Independentisten durchziehen und gewinnen.

    • @ingrid werner:

      "...und versucht es deswegen mit Bangemachen- alle die Sezession machen, fliegen automatisch aus der EU und 'werden verarmen'..."

       

      Da würde ich aber gerne mal ein Stellungnahme von Norwegen und Griechenland zu haben, was das "verarmen" anbelangt. Auch die Schweiz und Zypern könnten da einige Hinweise geben, wann ein europäischer Staat verarmt.

  • Können ja mal den Putin fragen, ob der nicht paar "prokatalanische" Truppen entsendet.