Kein Gebetsruf in Bremen: Wer hat Angst vorm Muezzin?
Gemeinsames Fastenbrechen gibt es im Ramadan 2020 nicht. Als Ersatz hört man vielerorts den Ruf des Muezzins. Bremen aber zeigt sich wenig weltoffen.
Nicht ganz so selbstverständlich scheint die Zugehörigkeit der Bremer Muslime in der aktuellen Nachrichtenlage. Den Ramadan, der morgen Abend beginnt, können Muslime aufgrund der Coronakrise nicht wie üblich feiern. Das allabendliche Fastenbrechen mit vielen Menschen und die gemeinsamen Gebete in der Moschee fallen weg.
Um den Gläubigen dennoch eine Form des religiösen Erlebens zu erlauben, wollen einige Moscheen, dass während des Ramadans der Muezzinruf öffentlich erschallt. Doch in Bremen und Bremerhaven soll das nicht oder nur im minimalen Ausmaß möglich sein.
Der Magistrat in Bremerhaven hat den Antrag der Ditib-Moschee „Merkez Camii“ ganz abgelehnt. Baurechtliche Gründe hätten dagegen gesprochen. „Der Muezzinruf ist in den Baugenehmigungen nicht vermerkt,“ so Pressesprecher Volker Heigenmooser. Ob man angesichts der vielen aktuell veränderten Regeln während des Ramadan im Coronajahr mal eine Ausnahme machen könnte? Heigenmooser lacht. „Nee“, sagt er.
Dass neben dem Lärmschutz noch andere Interessen hinter der Entscheidung stehen, hatte der Pressesprecher zuvor bereits gegenüber Radio Bremen geäußert: „Ein solcher Gebetsruf könnte bei der Bevölkerung zu Irritationen führen“, sagte er dort. Was das heißt? „Der Gebetsruf gehört nicht in den akustischen Alltag der Stadt“, so Heigenmooser zur taz. „Das müsste man den Leuten erst erklären. Und ich glaube, wir haben im Moment schon andere Probleme.“
Gedanken macht sich Heigenmooser auch, wie der Muezzinruf in der islamischen Community falsch verstanden werden könnte. Der Gebetsruf solle ja schließlich die Gläubigen in die Moschee rufen. „Und wenn die dann geschlossen ist, wäre das doch auch komisch.“
Solidarität „nur leere Worte“
Fatih Kurutlu ist nicht nur Ditib-Vorsitzender in Bremerhaven, sondern sitzt auch für die SPD im Stadtrat. Dass das Ansinnen der Moschee komplett abgeschlagen wurde, mache ihn traurig. „Wenn das nicht gewünscht ist, machen wir es eben nicht. Es wäre aber eine schöne Geste gewesen“, so Kurutlu. Viele Zusagen der Solidarität vor wenigen Monaten seien wohl „nur leere Worte“ gewesen.
Feiern will man den Fastenmonat dennoch – Gebete laufen online, viel gehe über soziale Medien wie Facebook und Instagram. Außerdem, so erzählt Kurutlu, würden Muslim*innen aktuell Masken nähen oder Lebensmittelpakete für Bedürftige zusammenstellen und so den Ramadan würdigen. Auch kleine Geschenke mit Süßwaren für Polizei und Krankenhausangestellte hätten die Jugendabteilungen zusammengestellt.
Moschee wollte nicht zu viel fordern
In Bremen selbst wird es wohl eine Genehmigung geben, allerdings sehr eingeschränkt. Beantragt hatten die Ditib und der Moscheendachverband Islamische Föderation Bremen (IFB) für jeweils eine Moschee einen Ruf einmal die Woche, am Freitagmittag.
„Das gemeinsame Freitagsgebet muss zurzeit ausfallen, da ist das religiöse Bedürfnis besonders groß“, erklärt Vahit Bilmez, Sprecher der IFB. Der öffentliche Ruf sollte eine Alternative anbieten – ähnlich der Kirchenglocken, die in Corona-Zeiten vielerorts häufiger läuten.
Andernorts haben Moscheen Gebetsrufe mehrfach die Woche beantragt. Das wollte man in Bremen nicht. „Wir wollten die Menschen nicht reizen“, so Bilmez. Auf den Antrag habe die Senatskanzlei vier Wochen lang nicht reagiert. Erst am Dienstagmorgen sei der IFB mitgeteilt worden, dass der Gebetsruf stattfinden dürfe: Einmal am Anfang, einmal am Ende des Ramadans.
Zwei Gebete als Kompromiss
„Ich will nicht bestreiten, dass das auch hätte schneller gehen können“, so Senatspressesprecher Christian Dohle. „Auf der anderen Seite dauert so etwas seine Zeit.“ Bürgermeister Andreas Bovenschulte verteidigt den Beschluss: „Das ist das, worauf sich die Menschen vor Ort geeinigt haben. Ich empfehle, den Kompromiss wertzuschätzen, für den es im Stadtteil eine große Unterstützung gibt.“
Für alles andere gab es diese Unterstützung nicht: Aus der Beiratssitzung in Bremen-Gröpelingen wird berichtet, dass die Vertreter des Stadtteilparlaments Angst hatten, mit einem Beschluss pro Muezzinruf eine Entscheidung für die Zukunft zu treffen. „Wir sind sehr enttäuscht, dass es offenbar so schwerfällt, auf uns zuzugehen“, so Bilmaz. Ob die Gemeinde das Angebot mit nur zwei Gebetsrufen im ganzen Monat annehmen werde, müsse man sich daher noch überlegen.
Vielerorts im Norden keine Angst vorm Muezzin
Andere Städte im Norden schrecken vor dem Gebetsruf weniger zurück. In Hannover etwa ist der tägliche Ruf zum Mittagsgebet den fünf städtischen muslimischen Gemeinden während der Coronakrise erlaubt worden. Die Regel gilt seit dem 14. April und auch abseits des Ramadan bis in Hannover wieder Gottesdienste in den Moscheen möglich sein werden. In Hamburg gibt es eine Sondergenehmigung für den Ramadan.
Im kleinen Delmenhorst, direkt vor Bremens Haustür, soll der Muezzin jeden Tag fünf Minuten zum Gebet aufrufen dürfen. „Aufgrund des Grundrechtes der Religionsfreiheit und freien Religionsausübung, welches für Kirchen, Moscheen, Synagogen und anderen Religionsgemeinschaften gilt, wurde durch die Stadt Delmenhorst diesem Ansinnen vorwiegend stattgegeben“, teilt ein Sprecher der Stadt mit. Bisher sorgt diese Entscheidung in Delmenhorst für wenig Aufruhr.
„Je kleiner die Gemeinde, desto schneller ging es bei vielen Anträgen“, erzählt Emine Oguz aus dem Vorstand des Ditib-Landesverbands Niedersachsen-Bremen. Oft sei die Entscheidung innerhalb weniger Tage gefallen.
Viele Gemeinden hätten bis zuletzt auf eine Öffnung der Moscheen für die Zeit des Ramadans gehofft und ihre Anträge erst spät gestellt. Einige wenige Gemeinden hätten daher noch keine Rückmeldung. Klare Absagen wie in Bremerhaven aber gab es ihres Wissens nach sonst nur in Wolfenbüttel.
Kurutlu will auch für Bremen und Bremerhaven die Hoffnung noch nicht vollkommen aufgeben. Eigentlich gebe es schließlich guten Kontakt zwischen Parteien und Moscheegemeinden in beiden Städten. „Wenn in 100 Jahren wieder so eine Seuche ausbricht, sind wir hoffentlich weiter.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste