Katarische Konsumtempel: Ihr könnt mich alle Mall!
Einkaufszentren in allen Größen stehen wie Mahnmale des Wohlstands in Doha herum. Sogar Schlittschuh laufen kann man da.
D ie Metro-Station Al-Aziziyah ist, egal zu welcher Tageszeit, immer überlaufen. Die Shopping-Wütigen sind hier unterwegs. Sie wollen vor den Fußballspielen in die wohl bekannteste Mall von Doha: Villaggio. Am Ausgang von Al-Aziziyah kommt es zu einem großen Palaver. Eine Frau aus dem Senegal nimmt es lamentierend mit einem Dutzend Polizisten auf.
Die Ordnungshüter bleiben auf Distanz und lassen die Frau zetern. „Das ist so typisch Katar“, ruft sie. „Was ist das nur für ein Land?“ Sie hat eine Trommel dabei. Vielleicht hat man sie nicht trommeln lassen vor der Mall, vermute ich – und gehe über den Parkplatz mit den Schattenspendern für die SUVs, hinein ins Villaggio, das Shopping-„Dorf“.
Kollegen haben gesagt, ich müsste mir das ansehen. Nun stehe ich also leicht benebelt in der Eingangshalle und blicke auf den azurblauem Himmel, den sie an die Decke gemalt haben, mit Kitschwölkchen. Am Abend leuchten die Sterne am Firmament. Was für eine abgeschmackte Truman-Show! Wenn ich den Blick vom Villaggio-Baldachin abwende, sehe ich diesen knapp 200 Meter langen Kanal, auf dem Gondeln im venezianischen Stil schippern.
Asiatische Gondoliere staken katarische Familien und marokkanische Fans über den Kanal. Nicht etwa italienische Renaissance-Klänge sind zu vernehmen, halbwegs passend zum Themenpark, nein, der Muezzin ruft gerade scheppernd zum Gebet, so atonal, dass einem fast die Einkaufstüte aus der Hand fällt.
Eislaufen in Doha
Am Ende von Klein-Venedig wartet eine Eislaufarena auf die Besucher. Ich sehe aber niemanden auf Schlittschuhen. So gehe ich weiter, in diesen oder jenen Trakt vom Villaggio. Artifizielle Palazzo-Atmo da, wo an jeder Ecke ein Gucci-Laden lauert. Luxusmarken, unbezahlbarer Schnickschnack.
Dann verirre ich mich im Labyrinth der Gänge, der Shops, Supermärkte und Foodcourts. Ich renne raus. Ihr könnt mich Mall! Unerträglich das Ambiente, die Unruhe in dieser angemalten Konsumhölle, und erst später lese ich, dass hier vor zehn Jahren 19 Menschen, darunter 13 Kinder, bei einem Feuer umgekommen sind.
Malls in allen Größen und Ausführungen stehen in Doha als Mahnmale des Wohlstands herum. In unmittelbarer Nähe unseres Apartment gibt es allein zwei dieser Trutzburgen. Im Sommer, wenn die Temperaturen in Katar über 40 Grad klettern und sich das Leben nur noch in (über)klimatisierten Innenräumen abspielt, werden sie zum natürlichen Tummelplatz, zur Agora. Mit einem italienischen Villaggio hat das nichts zu tun, assolutamente niente.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Scholz bezeichnet russischen Raketeneinsatz als „furchtbare Eskalation“
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen