Karl Lauterbach schlägt vor: Mehr Abstand zwischen Impfungen
Vor dem Bund-Länder-Gipfel veröffentlicht der SPD-Politiker einen neuen Plan mit Kollegen. Demnach könnte man effektiver und mehr Menschen impfen.

Nun legt der Epidemiologe und SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach zusammen unter anderem mit Dirk Brockmann von der Humboldt-Universität in Berlin und Michael Meyer-Hermann vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig ein Strategiepapier vor mit Vorschlägen, wie die Infektionszahlen gesenkt werden können und trotzdem Öffnungsschritte möglich sind.
Konkret schlagen sie vor, die zweite Dosis, die bei den drei bislang in der EU zugelassenen Impfstoffen von Biontech, Moderna und AstraZeneca benötigt werden, erst am Ende des jeweils zugelassenen Spielraums zu verabreichen. Sie berufen sich auf jüngste Untersuchungen, wonach die mRNA-Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna rund zwei Wochen nach der ersten Impfung bereits ausreichend vor schweren und tödlichen Verläufen schützen.
Es würde daher ausreichen, wenn die zweite Impfung mit den Vakzinen von Biontech und Moderna erst nach sechs Wochen verabreicht wird. Die Zeit zwischen der Erst- und Zweitimpfung mit dem Stoff von AstraZeneca ließe sich sogar auf zwölf Wochen strecken. Vor dem Hintergrund der aktuellen Impfstoffknappheit könnten auf diese Weise in den nächsten Wochen mehr Menschen zumindest teilweise immunisiert werden.
Lauterbach geht davon aus, dass durch eine Umstellung der Impfstrategie je nach Verlauf der dritten Welle zwischen 8.000 und 14.000 Covidtote allein in Deutschland verhindert werden. Unter KollegInnen findet der Vorschlag Zustimmung. „Ich war zunächst skeptisch bezüglich verlängerter Impfintervalle“, twittert die Virologin Isabella Eckerle von der Universität Genf. „Die inzwischen extrem guten Daten nach der 1. Impfung haben mich aber inzwischen überzeugt.“
Und auch Deutschlands Kassenärzte fordern, dass die Länder ihre Impfprogramme dringend entbürokratisieren sollten. Bis Ostern könnten ihren Berechnungen nach mehr als 2 Millionen zusätzliche Erstimpfungen gespritzt werden, wenn keine Impfdosen mehr für Zweitimpfungen zurückgelegt werden. Bis zum Beginn der Sommerferien in den ersten Ländern könnten es sogar mehr als 7,5 Millionen sein. Demnach könnten dann 58 Prozent der Bevölkerung mindestens eine Impfung erhalten – nicht 47 Prozent, wie bisher geplant.
Maske und Schnelltests im Einzelhandel
Großbritannien verfährt bereits so. Mehr als 20 Millionen Menschen haben bis Montag bereits eine erste Impfdosis verabreicht bekommen. Die zweite Dosis haben erst rund 760.000 Menschen erhalten. Die Inzidenz ist dort in den letzten Wochen deutlich zurückgegangen.
Über eine zeitliche Entzerrung hinaus fordert Lauterbach zudem, den Impfstoff von AstraZeneca rasch auch bei über 65-Jährigen einzusetzen. Die Ständige Impfkommission hatte aufgrund der aus ihrer Sicht unzureichenden Studienlage bislang davon abgeraten, kündigte vergangene Woche aber an, ihre Empfehlung nun auch auf über 65-Jährige auszuweiten.
Lauterbach plädiert zudem für ein Testprogramm, wonach an Schulen und in Betrieben alle Menschen mindestens einmal pro Woche mithilfe von geschultem Personal einen Schnelltest machen sollen. Wer ein negatives Ergebnis habe, solle anschließend mit dem Nachweis einen Tag lang in Geschäfte gehen dürfen. Dadurch könnten die Läden zeitnah öffnen, natürlich weiterhin mit Maskenpflicht, wird Lauterbach im Spiegel zitiert. Wie am Montag bekannt wurde, plant das Bundesgesundheitsministerium zwei kostenlose professionell abgenommene Schnelltests pro Woche für alle Bürger. Auch darüber sollen Bund und Länder am Mittwoch entscheiden.
Derweil geht das Rätselraten weiter, warum trotz Millionen auf den Impfstoff wartender Bürger*innen sich weiter große Mengen AstraZeneca-Vakzine in den Kühlschränken der Bundesländer stapeln. Bis vergangenen Freitag wurden laut Robert-Koch-Institut nur 364.000 Dosen davon verimpft, aber 1,4 Millionen Dosen geliefert. Weitere 1,7 Millionen AstraZeneca-Dosen kamen am Samstag dazu. Die einen sehen die Hauptgründe in einer ablehnenden Haltung vieler Menschen diesem Präparat gegenüber, weil es eine etwas geringere Wirksamkeit als die Impfstoffe von Moderna und Biontech hat; dabei schützt auch das Vakzin von AstraZeneca vor schwerer Erkrankung. Die anderen vermuten mangelnde Organisation der Impfungen in den Bundesländern.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Krieg in der Ukraine
Keine Angst vor Trump und Putin