Kanzler trifft Katars Emir: Grenzen der Realpolitik
Der Krieg in Israel zeigt, in welche fatalen Abhängigkeiten sich Deutschland begeben hat – etwa zum Hamas-Unterstützerland Katar.
E s ist eine geradezu zynische Gleichzeitigkeit: Während in Gaza und in Israel die Bomben fallen, hat sich Bundeskanzler Olaf Scholz in Berlin mit Katars Emir Tamim bin Hamad Al Thani getroffen. Wenige Stunden vor dem Mittagessen mit einem der wichtigsten Unterstützer der Hamas betonte Scholz am Donnerstag im Bundestag den Platz Deutschlands an der Seite Israels. „Unsere Solidarität erschöpft sich nicht in Worten“, so der Kanzler bei seiner Regierungserklärung. Dabei ist zu hoffen, dass der Kanzler gegenüber dem Emir besser zu sprechen wusste als in erschöpfenden Worten.
Mit dem Angriff der Hamas auf Israel sind die realpolitischen Denkmuster, die Deutschlands Außenpolitik der vergangenen Jahre geprägt haben, an ihre Grenzen gelangt. Diese Ignoranz hat Deutschland erst in Abhängigkeiten mit Russland und dann in die Arme der Kataris getrieben.
Schon zu Zeiten des Gasdeals hatte der Golfstaat im blutigen Bürgerkrieg im Jemen seine Finger im Spiel. Dass Katar eine Rückzugsstätte der Hamas ist, dass die Terrororganisation dort ihr wichtigstes Büro unterhält, dürfte der Bundesregierung schon damals nicht entgangen sein.
Nun also weilt der Emir in Deutschland. Der ursprüngliche Plan, den gemeinsamen Geschäftsabschluss zu feiern, müsste beim Kanzler einer konsternierten Erkenntnis gewichen sein: sich für das kurzfristige Ziel, unabhängiger von Russland zu werden, wieder zum Spielball auf der politischen Bühne gemacht zu haben. Nachhaltige Politik sieht anders aus. Eine „wertegeleitete Außenpolitik“, die sich die Bundesregierung bei ihrem Amtsantritt auf die Fahnen geschrieben hat, auch.
Dobrindts perfide Unterstellung
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt machte am Donnerstag im Bundestag die perfide Unterstellung, Ausländer*innen stünden hinter den antiisraelischen Protestaktionen in Deutschland. Er sagte, „wer Hamas-Terror befeuert und feiert und Gast in Deutschland ist, der hat in diesem Land nichts mehr verloren“. Nach seinen Worten wäre der Emir von Katar, der am Morgen mit massivem Polizeiaufgebot in das Berliner Diplomatenviertel kutschiert wurde, hochgradig ausreisepflichtig.
Doch darum geht es ihm nicht. Die Kritik ist in Deutschland nur zu gut bekannt und verläuft strikt entlang der Abhängigkeiten, auch mit Schurkenstaaten wie Katar. Politiker wie Dobrindt nutzten die salbungsvolle Debatte im Bundestag dazu, die Größe Deutschlands in seiner Solidarität mit Israel zu bekunden und dabei wieder einmal Rassismus und Antisemitismus in diesem Land gegeneinander auszuspielen. Für eine wertegeleitete Außenpolitik, für die die Bundesregierung angeblich steht, ist dies eine katastrophale Basis.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands