Kanada hält an Ceta fest: Unabhängiger vom US-Markt werden
Die EU ist zerstritten, doch Kanada hofft trotz Frust noch immer auf einen Abschluss des Ceta-Abkommens. Warum nur?
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Freeland hatte vergangene Woche zwischenzeitlich die Verhandlungen mit der EU und der belgischen Region Wallonien frustriert abgebrochen und ließ offen, ob sie noch damit rechnet, diese Woche mit Premierminister Justin Trudeau nach Brüssel zur feierlichen Unterzeichnung reisen zu können. Offiziell abgesagt wurde der EU-Kanada-Gipfel bislang noch nicht – wohl um weiterhin Druck auf die Verhandler ausüben zu können.
Die Kanadier machen für die Blockade vor allem die Krise in der EU und Belgien verantwortlich – und der Frust sitzt tief. Zu lange hatte man an die Beschwichtigungen der EU-Kommission geglaubt. Dennoch wollen die Kanadier Ceta nicht endgültig aufgeben. Ceta sei ein „fortschrittliches Abkommen“, das man bereits mehrmals auf Wunsch der EU nachgebessert habe, betonte Freeland.
Nach Berichten kanadischer Medien war Kanada der Regierung Walloniens vergangene Woche in der Frage der Schiedsgerichte zwischen Konzernen und dem Staat entgegengekommen. In einer rechtsverbindlichen Erklärung sollte klargestellt werden, dass nur unabhängige Fachleute in die Tribunale entsandt werden dürfen und nicht wirtschaftsnahe Experten. Doch den Wallonen ging das Zugeständnis offenbar nicht weit genug und die Frage der Schiedsgerichte ist weiter umstritten.
Die jüngsten Kompromissangebote Kanadas unterstreichen, welche große strategische Bedeutung Kanada Ceta beimisst. Die Regierung will der kanadischen Wirtschaft den Zugang zu einem Markt mit 500 Millionen Konsumenten erleichtern und hofft auf rund 18.000 neue Jobs. Nach Schätzungen der EU soll der rund 80 Milliarden Euro starke bilaterale Handel durch Ceta um fast ein Viertel steigen.
Ministerin Chrystia Freeland
Mehrmals telefonierte Trudeau in den vergangenen Tagen daher mit EU-Parlamentspräsident Martin Schulz, um den Vertrag zu retten. Trudeau will sein Land wirtschaftlich unabhängiger von den Vereinigten Staaten machen, und Ceta wäre dafür der ideale Hebel. Kanada liefert derzeit drei Viertel seiner Exportprodukte in die USA, und in Kanada ist man besorgt über die wachsenden protektionistischen Tendenzen in den Vereinigten Staaten.
Zumal sich in den USA beide Präsidentschaftskandidaten gegen die Transpazifische Partnerschaft TPP ausgesprochen haben, einen Handelsvertrag von zwölf pazifischen Ländern, den Kanada unterstützt. Donald Trump will im Fall seines Wahlsieges das nordamerikanische Freihandelsabkommen Nafta mit Kanada und Mexiko aufkündigen oder zumindest neu verhandeln.
Daher treiben die Kanadier neben Ceta weitere Handelsverträge voran – und hoffen, damit indirekt auch die Europäer unter Druck setzen zu können. Ein neuer Vertrag mit Südkorea ist seit 2015 in Kraft. Mit der Ukraine wurden entsprechende Gespräche kürzlich erfolgreich beendet, und die Ratifizierung des Pakts steht jetzt bevor. Mit Japan, Singapur und Indien laufen ebenfalls Gespräche, wenn auch noch in frühem Stadium.
Nicht ganz zufällig erwähnte Handelsministerin Freeland im Zusammenhang mit Ceta auch, dass Kanada kürzlich mit China erste Sondierungen über ein Handelsabkommen begonnen habe. Auch werden in Kanada die Stimmen lauter, die angesichts von Brexit und der schwankenden EU einen eigenständigen Vertrag mit Großbritannien befürworten – dem bislang wichtigsten Handelspartner Kanadas innerhalb der EU. Es wäre eine Art kleines Ceta, eine Art Trostpreis, falls es mit der EU doch nicht mehr klappen sollte.
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