Kampf um Kohledorf: Die letzten Lichter von Lützerath
Rund 70 Aktivist:innen halten über Weihnachten die Stellung in Lützerath. Wie bewahrt man Hoffnung bei Kälte und drohender Räumung?
Hinter dem roten Laster liegt bäuchlings ein Mann auf dem Boden. Sein Blick ist auf zwei Holzplanken gerichtet, die den Wagen tragen. Sie überbrücken eine knietiefe Rinne, gefüllt mit schlammigem Wasser. Die Planken biegen sich gefährlich unter dem Gewicht des ausgemusterten Feuerwehrautos. „Stopp, nicht so schnell!“, schreit der Mann. Mit einem Ruck kommt der Wagen zum Stehen. Eigentlich soll die Rinne Fahrzeuge der Polizei aufhalten, nun müssen die beiden um ihren eigenen Wagen bangen.
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Der Mann auf dem Boden und die Person auf dem Fahrersitz sind zwei von derzeit etwa 70 verbliebenen Aktivist:innen in Lützerath. Es ist der 7. Dezember, der Himmel über dem Dorf in Nordrhein-Westfalen färbt sich rosa, bald geht die Sonne unter. Gestern hat man dem Dorf den Strom gekappt, die Wasserkocher und Heizlüfter sind verstummt, nun müssen die Dorfbesetzer:innen den Baum verheizen, den der Energiekonzern RWE Anfang 2021 fällen ließ. Und dieser Baum liegt zersägt auf dem Laster.
Den Wagen fährt Ronni Zeppelin, Ende 20, große Augen und durchdringender Blick. Zeppelin heißt eigentlich anders, aber das ist geheim, denn eigentlich dürften sie hier gar nicht sein. Im Frühjahr 2022 verlor der Lützeraths letzter Bewohner, Eckhart Heukamp, den Gerichtsprozess um seinen Hof, seit Oktober gehört das Land dem Konzern RWE. Und der will seinen Braunkohletagebau Garzweiler II erweitern.
Es heißt, die Kohle unterhalb von Lützerath werde gebraucht, um die Energieversorgungssicherheit zu gewährleisten. Lediglich eine Mahnwache am Dorfeingang dürfen die Aktivist:innen offiziell abhalten. Tatsächlich aber halten sie mehrere Häuser im Dorf besetzt. Sie wollen es vor dem Abriss retten. Mitte Januar soll geräumt werden. Wie bleibt man hoffnungsvoll, wenn die Temperaturen unter Minus fallen, der Strom wegbleibt und eine Räumung droht?
Hoffnung? Motivation!
„Hoffnung allein hilft nicht viel“, sagt Zeppelin. „Was mich motiviert, ist zu wissen, dass es Lösungen gibt.“ Manchmal sei allerdings auch das frustrierend: „Es kommt mir so offensichtlich dumm vor, dass wir das Klima nicht schützen.“ Die Menschen müssten sich nur endlich ihrer Macht bewusst werden und die Sache selbst in die Hand nehmen. „Denn die Politik macht es nicht“.
Seit Beginn der Besetzung von Lützerath im Jahr 2020 ist Zeppelin fast durchgängig vor Ort, war schon dabei, als das Dorf spontan die erste Mahnwache errichtete, und in den fast drei Jahren nur für wenige Wochen mal woanders. Es ist deshalb nicht das erste Manöver, das Zeppelin mit dem Feuerwehrwagen fährt. Der hat es nun über die Rinne geschafft, das nasse, mit Pilzen überwucherte Holz kann weiter ins Dorf transportiert und in den Kaminen und Öfen der besetzten Häuser verfeuert werden. Nach Weihnachten fühlt sich das nicht an, eher nach Notlösung.
Am Morgen des selben Tages stößt Zeppelin zur Mahnwache am Eingang von Lützerath dazu. Die fünf Aktivist:innen sitzen etwa 50 Meter von der Abbruchkante der RWE-Baugrube entfernt. Man kann das Rattern der Bagger hören. Gerade wird Lützeraths Nachbardorf Immerath dem Erdboden gleichgemacht. Dafür wurden nach Angaben von RWE die Stromleitungen, die Lützerath bis dahin versorgt haben, gekappt.
Vom Himmel fällt kalter Nieselregen, die Aktivist:innen wärmen sich an heißem Kaffee. „Die Stimmung im Camp hängt stark mit dem Wetter zusammen“, sagt Zeppelin, „auch für mich ist es im Moment schwer, mich jeden Tag zu motivieren, aufzustehen.“ Seit bekannt wurde, dass die Räumung erst Mitte Januar starten soll, haben viele Aktivist:innen das Dorf verlassen. Letzte Woche seien noch etwa 130 Menschen vor Ort gewesen. Die Abwanderung rüttele auch an den internen Strukturen. Die Arbeitsgruppen der Dorfgemeinschaft seien zum Teil unterbesetzt. Umso mehr Arbeit bleibt für die Zurückbleibenden.
Der fehlende Strom mache alles nur noch schlimmer. „Alles wird komplizierter. Ist die Sonne einmal weg, ist auch das Licht weg, und man kann nichts mehr wirklich schaffen“, sagt Zeppelin genervt. Am bedrückendsten aber sei die anstehende Räumung. „Ich habe Angst“, sagt Zeppelin, „dass sich die Polizei gewaltvoll verhält und dass Menschen verletzt werden.“ Wie eine dunkle Wolke schwebt die Räumung über dem Dorf.
Am Nachmittag sitzt Ronni Zeppelin mit dem rund zehnköpfigen „Mobi-Team“ in einer stickigen Holzhütte. Es riecht nach Gas-Heizstrahler, Orangenschalen und ungewaschenen Haaren. „So, what is our plan?“, fragt eine junge Frau. Es geht um Mobilisierung: Wie bekommt man Menschen dazu, sich im kältesten Monat des Jahres einem Räumungsversuch durch die Polizei entgegenzustellen? Partnergruppen sollen angefragt, Social Media bespielt werden. Zeppelin bleibt schweigsam, zerteilt die Orangenschalen mit den Fingern in immer kleinere Stücke, bis nur noch Krümel auf dem Tisch liegen.
Nach dem Treffen tritt Ronni Zeppelin vor die Holzhütte, bahnt sich in der Dunkelheit zielsicher einen Weg durch Laub und Matsch und sagt: „Ich fühle mich ungeduldig.“ Es bestehe eine Chance, dass sie das Dorf im Januar erfolgreich verteidigen. Mehr als 11.000 Menschen haben seit dem Sommer in einer Online-Absichtserklärung auf der Petitionsplattform von Campact angegeben, beim Räumungsversuch nach Lützerath zu kommen, um sich „der Zerstörung in den Weg zu stellen“.
Vor allem für die Rettung der Baumhäuser haben sie Hoffnung: Die Rodungssaison im Rheinland geht nur noch bis Februar, danach dürfen keine Bäume mehr abgeholzt werden. „Sechs Wochen müssen wir die Bäume im Dorf verteidigen“, sagt Zeppelin, „Das könnten wir schaffen.“ So oder so – Lützerath sei eine wichtige Bastion der Klimabewegung und ihre Verteidigung entscheidend: „Die Klimagerechtigkeitsbewegung braucht einen Erfolg.“
So wie vor knapp drei Jahren im Hambacher Wald. Jahrzehntelang wurde der Wald immer wieder besetzt. Jede neue Räumungsankündigung war begleitet von Protesten und zivilem Ungehorsam. Im Januar 2020 wurde der Erhalt des Hambacher Walds schließlich beschlossen. „Es hat schon mal geklappt“, sagt Zeppelin. „Dann kann es wieder passieren.“
Doch selbst wenn es nicht gelingt, ist der aktivistische Einsatz für Zeppelin nicht umsonst: „Selbst wenn wir Lützerath nicht retten und die Klimakrise nicht hinauszögern können, bauen wir nachhaltige soziale Strukturen auf.“ Solidarisch und hierarchiefrei, das sei für eine gerechte Gesellschaft notwendig. Besonders in einer Zukunft, in der wir zunehmend mit knappen Ressourcen umgehen müssen, werde es wichtig, zu kooperieren anstatt zu konkurrieren.
So wie damals, Ende 2019. Da begann RWE, Bäume rund um den Tagebau Garzweiler zu fällen und die Dorfbewohner:innen baten die Aktivist:innen vom Hambacher Wald um Hilfe. Fünf Dörfer konnten nicht gerettet werden, aber fünf andere sollen nun verschont bleiben. So wurde es im Oktober verkündet.
Warum Lützerath nicht zu den verschonten Dörfern gehören soll, ist für die Aktivist:innen nicht nachvollziehbar. Die Grüne NRW-Energieministerin Mona Neubaur stützt sich auf drei Gutachten, die belegen sollen, dass die Kohle unter Lützerath für die Versorgungssicherheit gebraucht werde. Der Spiegel bezweifelt deren Unabhängigkeit. Und das Marktanalyseunternehmen Aurora Energy Research sowie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung kamen zu dem Schluss: Die Lützerath-Kohle würde selbst dann nicht benötigt werden, wenn sich der Braunkohlebedarf durch wachsenden Energiebedarf erhöhen sollte.
Auch der CDU-Bürgermeister Stephan Muckel der Stadt Erkelenz, dessen Weiler das Dorf Lützerath ist, stellt sich auf die Seite der Aktivist:innen. Ende November weigerte er sich, die Polizei Erkelenz mit der Räumung des Gebietes zu beauftragen. Dabei zitierte er ein Positionspapier der Stadt Erkelenz aus dem Jahr 2021, laut dessen „jeder erhaltene Quadratmeter Erkelenzer Land ein guter Quadratmeter ist“. Nun droht ihm ein Disziplinarverfahren, vielleicht sogar eine Amtsenthebung.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
„Zu merken, wie viel Zustimmung wir mit unseren Anliegen bekommen, gibt mir Hoffnung“, sagt Zeppelin. Ist Hoffnung die Voraussetzung für Aktivismus? Zeppelin sagt: „Die Frage zeugt von einer sehr privilegierten Sicht auf die Klimakrise.“ In anderen Teilen der Welt, die viel stärker von den Folgen des Klimawandels betroffen sind, gehe es längst nicht mehr um Hoffnung. „Die Menschen dort kämpfen um ihr Überleben.“
Was Zeppelin antreibt, sei eher eine Art Kampfgeist, der sich aus verschiedenen Gefühlen speise: Wut darauf, dass diejenigen, die vom Kapitalismus profitieren, gleichzeitig die größte Schuld an der Klimakrise tragen und der Rest der Weltbevölkerung darunter leiden muss. Und Angst davor, wie das Leben eines Tages aussehen wird, wenn nicht mehr gegen die Klimakrise getan wird.
Am Abend treffen sich alle Besetzer:innen zum Essen in der Scheune. Kopflampen und Kerzen erleuchten schwach die Gesichter. In einer Ecke klimpert jemand auf seiner Gitarre. Unter den Füßen raschelt das Stroh. „Ich fühle mich nirgendwo so sicher wie hier in Lützi“, sagt ein Aktivist. Und das trotz der ständigen Bedrohung durch RWE und die Polizei? „Seltsamerweise ja“, sagt er. Die Menschen, die Gemeinschaft würden Lützerath für ihn zu einem sicheren Ort machen. Aus seiner Jackentasche fischt er eine batteriebetriebene Lichterkette und knipst sie an. Rote, blaue und weiße Lichter tanzen auf dem Tisch, ein kleiner Hauch von Weihnachten.
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